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Verbrechen
Hirnaktivität verrät Tathergang

Jeder, der regelmäßig Tatort sieht, weiß: Eine sichere Art, Kriminelle zu überführen, ist ihnen Details über den Hergang zu entlocken, die nur der Täter kennen kann. Erreichen kann man das über eine geschickte Verhörtechnik - oder einen direkten Blick ins Gehirn.

Von Anneke Meyer | 02.12.2014
    Ein Lügendetektor
    Beim Tatwissenstest werden, wie beim Lügendetektor, Herzschlag und Hautleitfähigkeit gemessen. (picture-alliance / dpa)
    Betont lässig versuche ich den Flur hinunter zu schlendern. Trotzdem ertappe ich mich dabei, dass ich schleichen will. Ich bin dabei ein Verbrechen zu begehen – im Dienste der Wissenschaft.
    Dazu angestiftet hat mich Judith Peth. Sie erforscht am Institut für Systemische Neurowissenschaften in der Hamburger Uniklinik, wie sich Verbrecher anhand ihres Tatwissens überführen lassen.
    "Bei unseren Studien geht es uns darum, wir können die natürlich nicht direkt im Feld durchführen mit realen Straftaten, aber dass wir so ein bisschen das mehr an die Praxis angliedern wollen. Und deswegen ist es bei uns so, dass die Leute instruiert werden ein Rollenspiel durchzuführen."
    "... in dem sie einen Diebstahl begehen. So wie ich jetzt gleich."
    Der Tatort ist eine Besenkammer am Ende eines langen Flures voller Büros. In der kleinen Kammer stehen ein Rollcontainer und ein Regal. Beide sind mit Gerümpel verstellt, dass ich beiseite räumen muss. In dem Rollcontainer finde ich den Schlüssel zu einer roten Geldkassette, die im Regal versteckt ist.
    Darin liegen fünfzig Euro. Ich räume alles wieder an seinen Platz und stecke das erbeutete Geld in meine Hosentasche. Vorsichtige öffne ich die Tür und spähe hinaus.
    Als die Luft rein ist, verlasse ich den Tatort. Obwohl alles nur ein Spiel ist, schlägt mein Herz etwas schneller als normal.
    "Während sie dieses Verbrechen durchführen, können sie dann bestimmte Details kennenlernen, nach denen wir später im eigentlichen Tatwissenstest fragen."
    Messen von Herzschlag und Hautleitfähigkeit
    Um schwitzige Hände oder ein pochendes Herz zu bekommen, braucht ein Missetäter nicht zu lügen. Es reicht schon Szenen zu betrachten, die an das Verbrechen erinnern. Beim Tatwissenstest werden, wie beim Lügendetektor, Herzschlag und Hautleitfähigkeit gemessen. Die Hamburger Forscher gehen aber noch einen Schritt weiter. Sie benutzen einen Magnet-Resonanz Tomographen, um geheim gehaltenes Wissen direkt im Gehirn aufzuspüren. Also lege auch ich mich in die Röhre.
    "Alles klar? Ja, alles Klar"
    "Worin befand sich der von Ihnen gestohlene Wertgegenstand?"
    Verschiedene Bilder leuchten auf einem Bildschirm auf. Ein Tresor, eine Tasche, ein Karton. Ich versuche die rote Geldkassette nicht zu beachten, aber so richtig gelingt es mir nicht.
    Verräterisches Wissen, das sich bei einem Blick in die vom Tomographen gemessene Hirnaktivität zeigt.
    "Wir haben gefunden, dass sobald man das Detail kennt, die gleichen Gehirnregionen anspringen, egal ob Täter oder Unschuldige. Und das ist halt ganz interessant, weil damit zeigt sich, dass ist nicht Lügen, sondern es ist einfach wirklich Gedächtnis für bestimmtes Wissen."
    Unschuldige können sich entlasten
    Für Unschuldige, die kein Detailwissen haben, ist der Tatwissenstest deshalb eine sehr sichere Möglichkeit sich zu entlasten. Was man nicht weiß, kann man eben nicht verraten. Entsprechende Laborstudien zeigen Trefferquoten von achtzig bis neunzig Prozent, für Unschuldige sogar fast hundert Prozent. Einfache Messungen der Hautleitfähigkeit sind dabei genauso zuverlässig wie Hirnscanns.
    Für einen Augenzeugen oder einen Mitwisser funktioniert das nicht mehr so leicht. Woher ein Verdächtiger Tatwissen hat, aus Beobachtung, von informierten Quellen oder dem eigenhändigen Ausführen der Tat, verraten schwitzige Hände nicht. In der Hirnaktivität lassen sich allerdings entsprechende Hinweise finden.
    "Was wir jetzt machen ist ein Ansatz, da guckt man, ob man bestimmte Muster im Gehirn entdecken kann. Und da sieht man, dass eine Trennung zwischen Tätern die die Handlung ausgeführt haben und von Unschuldigen, die auch das Wissen haben, dass die möglich ist."
    Methode zur Wahrheitsfindung
    Die Analyse der Hirnaktivitätsmuster erkennt mit etwa siebzig prozentiger Wahrscheinlichkeit richtig, ob Detailwissen direkt im Zusammenhang mit einer Tat erlangt wurde. Judith Peth ist es wichtig dieses Ergebnis nicht über zu interpretieren. Für eine praktische Anwendung vor Gericht taugt die Methode noch nicht. Das ist aber auch nicht das oberste Interesse der Wissenschaftlerin.
    "Also uns interessiert natürlich einfach auch noch: Wie werden diese Prozesse gesteuert, wie greifen die ineinander? Was genau passiert da im Gehirn und welche Rückschlüsse sind zulässig und welche sind eben nicht zulässig?"
    Die Forschung hilft einzuordnen, unter welchen Umständen eine Methode zur Wahrheitsfindung sinnvoll eingesetzt werden kann.
    In Deutschland kann der Tatwissenstest inzwischen vor Gericht verwendet werden. Allerdings nur in einer frühen Phase der Verhandlung. Also bevor der Verdächtige Detailwissen, etwa über seinen Anwalt, erfahren hat. Damit wird berücksichtigt, dass der Test nicht Schuldig von Unschuldig unterscheidet, sondern Wissend von Unwissend.