Dienstag, 23. April 2024

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Verbrechen und Alter

Wenn Hunkeler Sachen macht, dann immer anders als alle anderen. Hansjörg Schneiders Kriminalkommissär ist bei seinen Basler Kollegen und Vorgesetzten berüchtigt für seinen Aargauer Dickkopf, für die unorthodoxen Methoden, die nicht wirklich Methoden sind, sowie für die unangekündigten Rückzüge sein Elsässer Ferienhaus, wo er beim Ausmisten seines Hühnerstalls auf Eingebungen hofft, die er meistens auch hat nach ungefähr fünf Karren Hühnerdreck und einem gelegentlichen Schwatz mit dem Bauern von nebenan. Im neuen Hunkeler-Roman gerät der eigenwillige Protagonist allerdings zum ersten Mal in ernsthafte Schwierigkeiten wegen seiner Arbeitsweise. Diese Schwierigkeiten sind so ernsthaft, dass sich Staatsanwalt Suter trotz Schmerz im Bürokratenherz gezwungen sieht, seinen besten Mann vom Dienst zu suspendieren.

Von Sacha Verna | 27.08.2004
    Alles beginnt damit, dass Peter Hunkeler in einer kalten Oktobernacht eines über den Durst trinkt. Leider befindet sich das Bäumchen, an dem sich Hunkeler in betreffender Nacht erleichtert, am Ort eines Verbrechens, und leider kotzt Hunkeler diesen Ort auch noch voll, als er das Verbrechen entdeckt: Stromer Hardy, wie Hunkeler Stammgast in der Wirtschaft "Milchhüsli", sitzt regungslos auf einer Steinbank, stranguliert und mit aufgeschlitztem Ohrläppchen. Dass Staatsanwalt Suter Hunkelers unschickliche Markierung des Tatorts missbilligt, ist das eine. Das andere ist, dass ein Verdächtiger in dem Fall entkommt, nachdem Hunkeler ihm einen unerlaubten Besuch in der Zelle abgestattet hat.

    Obschon eine Gehirnerschütterung und zwei ausgeschlagene Zähne belegen, dass Hunkeler dem Inhaftierten das Feld nicht kampflos überlassen hat, muss der Kommissär sein Büro räumen.
    Hunkeler macht Sachen ist Hansjörg Schneiders fünfter Hunkeler-Krimi. Besorgten Fans sei verraten: Es ist vermutlich nicht der letzte, zumal Hunkelers Rauswurf bei der Basler Kriminalpolizei nur ein vorübergehender ist. Und doch, an Peter Hunkeler nagt das Alter.

    Prostatabeschwerden, Kurzatmigkeit, die Zeichen sind unschön und deutlich. Geblieben ist Hunkeler der Instinkt, und der sagt ihm, dass es sich beim Mord an Hardy keineswegs um das Werk von Kleinbasels albanischer Drogenmafia handelt, wie die Behörden gerne glauben würden. Vielmehr sieht er einen Zusammenhang zwischen dieser Tat und Barbara Amsler, einer jungen Frau, die man im Sommer aus einem Weiher gezogen hat – ebenfalls stranguliert und mit aufgeschlitzem Ohrläppchen.

    Vogelfrei, wie sich Hunkeler aufgrund seiner Beurlaubung fühlt, kümmert er sich noch weniger um Vorschriften als sonst, und er tut, was er am besten kann: Er mischt sich unters Volk. Dies bedeutet, dass der Roman zu zwei Dritteln in rauchigen Kneipen auf dem Land und noch rauchigeren Etablissements in der Stadt spielt.

    Dort, zwischen Waadtländer Saucisson, Kartentteppich und ein paar Gläschen Rotwein, laufen Hunkeler und Hansjörg Schneider gleichermassen zur Höchstform auf. Hunkeler, indem er zuhört und Dinge erfährt, die seine an ihren Schreibtischen klebenden Kollegen nicht einmal verstehen würden. Schneider, indem er eine unverwechselbare Atmosphäre kreiert. Hansjörg Schneider ist ein meisterhafter Porträtist dessen, was man im alten Berlin das "Miljöh" nannte.

    Er zeichnet Menschen wie Luise im Tüllkleid, den kleinen Cowboy oder Laufenburger mit der Siamkatze, und zwar ohne, dass diese Figuren auch nur entfernt kitischig wirken. Es geht nicht um die Beschwörung alkoholgetränkter Idyllen und schon gar nicht um die Verklärung von Schicksalen, denen längst alles Verklärbare abhanden gekommen ist. Es geht darum, der Welt und ihren Bewohnern Gesichter und Stimmen zu verleihen. Als Beispiel folgendes Zitat: "Es sassen drei alte Frauen in der Wirtschaft, schön zurechtgemacht mit geblümten Kleidern und Dauerwellen.

    Sie aßen Kuchen und tranken Kaffee. Sie berichteten sich gegenseitig von ihrer Verwandtschaft, d’Fröi vo mim neuveu, dr mari vo minere Schweschter, dr beau-frère, la nièce, dr Onggle. Alles war offenbar in bester Ordnung im Familienkreis." Zitatende. Sparsamer und treffender lässt sich ein Kaffeekränzchen im Elsass kaum beschreiben.

    Die Hunkeler-Krimis sind ein Beweis dafür, dass Orignalität nicht zwingend ist. Hansjörg Schneiders Held erinnert stark an Georges Simenons Maigret, an Friedrich Glausers Wachtmeister Studer und manchmal an Friedrich Dürrenmatts Kommissar Bärlach. Dabei verfügt Hunkeler über mindestens so viel Charakter und Format wie jeder einzelne seiner grossen Vorgänger. Dasselbe gilt für den Autor. Schneider zieht der rasanten Plotentwicklung Bedächtigkeit vor, packend sind menschliche Dramen, nicht Kugelhagel und Showdown.

    Vor brisanten Themen scheut Schneider jedoch durchaus nicht zurück. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, und in diesem Roman ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Schweizer Sozialstaates: Die Aktionen des 1926 gegründeten "Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse", in dessen Namen hunderte von jenischen Familien auseinandergerissen und zwangszivilisiert wurden. "Hunkeler macht Sachen" ist kein Pamphlet zur Anprangerung gesellschaftlicher Missstände. Es ist einfach ein guter Kriminalroman und sehr gute Literatur.

    Hansjörg Schneider
    Hunkeler macht Sachen
    Ammann, 300 S., EUR 18,90