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Verdacht des Gefälligkeitsjournalismus

Bei der Berichterstattung über Tibet und die Olympischen Spiele wurde es offensichtlich: Die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem chinesischen Programm der Deutschen Welle nahmen zum Teil groteske Züge an. Ist die Berichterstattung der chinesischen Redaktion tendenziös, wurde immer wieder gefragt?

Von Frank Hessenland | 27.10.2008
    Die Übersetzungen der chinesischen Homepage der Deutschen Welle, die sich mit den Themen Tibet und Olympische Spiele befassen, zeigen, dass sich der chinesische Dienst der Deutschen Welle vom deutschen Programm des Senders sehr unterscheidet. Es entsteht der Eindruck, es handele sich um zwei verschiedene Medien, die sich womöglich bekämpfen. Man muss kein Dissident sein, um zu dem Schluss zu kommen, dass das chinesische Programm stark an den Stil sozialistisch-kommunistischer Propaganda erinnert. So werden aus

    "Tibetischen Protesten","

    wie es auf der deutschsprachigen Internetseite heißt, auf der chinesischsprachigen Seite

    "Gewalttätige Krawalle!","

    und aus "Demonstranten" werden "Separatisten", die mit starken Truppenkontingenten zu "befrieden" seien. Die chinesische Online-Redaktion der Deutschen Welle tendiert dazu, distanzlos lange Propagandazitate aus chinesischen Zeitungen zu übernehmen, die zum Beispiel dazu auffordern:

    ""Die gefährliche separatistische Sprengkraft der Unabhängigkeitbewegungen Tibets klar zu erkennen, die Fahne der sozialen Stabilität hochzuhalten und die verschwörerischen Abspaltungsbestrebungen entschieden zu bekämpfen"."

    Die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem chinesischen Programm nehmen zum Teil groteske Züge an. So fordert die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag Herta Däubler-Gmelin im deutschen Onlinedienst von China,

    ""Die Menschenrechte müssen auch nach Olympia auf der Agenda bleiben","

    ... um sich im Chinaprogramm am selben Tag zu verbessern:

    ""China hat Riesenfortschritte bei Menschenrechten gemacht. Ich bin gegen erhobene Zeigefinger"."

    Die Redakteure des chinesischen Programms, die häufig keine Autorennamen hinter ihre Artikel setzen, sondern als Kollektiv "DW China" auftreten, kritisieren die Bundeskanzlerin hart und feiern dagegen die Abgeordnete Schneider der Linksfraktion der Hamburger Bürgerschaft als mutige Dissidentin, wenn sie den Dalai Lama mit Khomenei vergleicht:

    ""Linke Abgeordnete setzte Dalai mit Khomenei gleich. Dieser Vergleich hat eine Protestwelle ausgelöst (....).
    Am vorliegenden Fall kann man ( ... ) erkennen, dass die öffentliche Meinung (...) die Unterstützung des Dalai Lama und der Tibeter verlangt. Es existieren zwar abweichende Ansichten, die aber ungern öffentlich geäußert werden, denn dies könnte ein großes Unglück für den Betreffenden bedeuten."

    Der Redakteur der Deutschen Welle unterstellt, dass abweichende Meinungen in Deutschland mit Repressionen bestraft werden. Aber auch Fehlinformationen finden sich auf der China-Homepage. Etwa wenn es in einem Artikel vom 24. Juli heißt, der Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland habe sich lautstark pro China zu Wort gemeldet:
    "Deutscher Bischof schreit: Chinas Behandlung ungerecht! ( ...) Während sich das Publikum der deutschen Medien bereits weitgehend an Chinas negatives Image gewöhnt hat, ist aus den religiösen Kreisen Deutschlands eine andere Stimme zu vernehmen. Eine der beiden größten Kirchen Deutschlands, das evangelische Missionswerk, dessen Vorsitzender Bischof Psychen ist, hat die Berichterstattung der deutschen Medien über China kritisiert ( ... )."

    Der Bischof ist in Wirklichkeit eine Bischöfin mit Namen Maria Jepsen, die nicht die Vorsitzende "einer der beiden größten Kirchen"' ist, sondern nur des evangelischen Missionswerks, einer Organisation für Auslandsmissionierung. Der Eindruck ist unwahr, die deutsche Evangelische Kirche habe China lautstark gegen die Medien verteidigt. Einzelne Stimmen ausgenommen ist das Gegenteil richtig. Innenminister Schäuble wird auf der chinesischen Onlineseite der Deutschen Welle mit folgenden Worten zitiert:

    ""( ... ) man sollte nicht hoffen, dass die politischen Ideale, die wir Deutsche als richtig erachten, nach den Spielen auf der ganzen Welt umgesetzt werden. Gleichzeitig müssen wir verstehen, dass die Menschen in anderen Erdteilen nicht verpflichtet sind zu meinen, dass alles Deutsche automatisch das Ideal sei. Erst recht nicht, wo wir mit unseren eigenen Angelegenheiten auch nicht völlig zufrieden sind. Daher ist die Ansicht, man könne über die Olympischen Spiele europäische Demokratie und rechtsstaatliche Vorstellungen nach europäischen Normen nach China exportieren, schon im Ansatz falsch. Diese Auffassung steht nicht im Einklang mit dem olympischen Geist."

    Hat der deutsche Innenminister dies wirklich so gesagt oder wurde einseitig übersetzt? Über den deutschen Redaktionsleiter der China-Redaktion der Deutschen Welle heißt es aus chinesischen Dissidentenkreisen, er spreche nicht gut genug Chinesisch, um wirksam zu kontrollieren. Plausibel ist die Darstellung der Dissidenten, dass es Kommunisten sein müssen, die kommunistisch schreiben. Über acht teils leitende chinesische Redakteure der Deutschen Welle kursiert derzeit ein Papier, das deren Verbindungen zur Kommunistischen Partei Chinas zeigt:

    ""Ehefrau des ersten Sekretärs der Botschaft der Volksrepublik ( ... ) zur Zeit des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens", "Ehefrau eines Abteilungsleiters im chinesischen Außenministerium”, "Tochter des stellvertretenden Vorsitzenden des Nationalrats zur Förderung des Handels”, "Tochter des ehemaligen Kulturattaches der Botschaft ( ... ).” "

    Verständlicherweise fordern Bürgerrechtler im In- und Ausland in mittlerweile drei offenen Briefen, unter den Mitarbeitern der China-Redaktion zumindest eine Balance von Kommunisten und Demokraten zu schaffen und für einen höheren Standard der Berichterstattung zu sorgen. Die Iranredaktion der Deutschen Welle bestehe schließlich auch nicht mehrheitlich aus Mullahs oder deren Frauen. Der Verdacht, der Auslandssender betreibe einen Gefälligkeitsjournalismus, müsse auf jeden Fall vermieden werden, sagt der SPD-Abgeordnete Dieter Wiefelspütz.

    " "Wenn man davon ausgeht, dass es vielleicht ganz hilfreich sein könnte, wenn man mit angezogener Handbremse Journalismus macht gegenüber einem Staat, der doch totalitäre Züge hat, dann können wir doch wirklich einpacken ( ... ). Wenn es so wäre, wäre es ein richtiger GAU, ein Skandal im öffentlich-rechtlichen System ( ... ).Wenn es Anhaltspunkte für solche Dinge gibt, bin ich sehr dafür, dass man eine ( ... ) sehr klärende Untersuchung durchführt und dann müssten allerdings auch Konsequenzen bis hin zu personellen Konsequenzen gezogen werden.”"

    Anhänger und Freunde des bisherigen chinesischen Programms der Deutschen Welle, wie der dort häufig zitierte und interviewte Chinaexperte Eberhard Sandschneider von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, wollen das Gegenteil erreichen. Um negative Reaktionen aus China zu vermeiden, fordern sie die Wiedereinsetzung der von ihren Leitungsfunktionen entbundenen Redakteurin Zhang Dahong, die die Diskussion ursprünglich ausgelöst hatte.

    ""Dass eine chinesische Journalistin in Deutschland auf diese Art und Weise disziplinarrechtlich behandelt wird, ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die in China etwas anderes wollen, als wir es haben wollen ( ... ). Das erste, was ich mir politisch wünschen würde, wäre, dass dieser Zusammenhang sehr schnell und sehr sauber beendet wird, auch um gegenüber China klarzumachen, dass das, was wir den chinesischen Medien vorwerfen, Zensur, Karrierebeeinträchtigung von Menschen, die nicht staatstragend genug berichten, hier bei uns nicht stattfindet.”"

    Mittlerweile mehren sich die Anzeichen, dass die Diskussion den redaktionellen Alltag zu beeinflussen beginnt. So lehnte der chinesische Buchautor Zhou Qing, der durch sein Buch über die Lebensmittelsicherheit in China weltweit bekannt geworden ist, eine Interviewanfrage der Deutschen Welle ab. Er forderte sie auf, zunächst die Vorwürfe gegen die China-Redaktion ernsthaft zu prüfen.