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Verdammt zum Glück. Der Fluch der Moderne

Dieses Gefühl, glücklich sein zu müssen, ist eine Krankheit, eine geistige, psychische Krankheit, die seit langem Nordamerika und Westeuropa erobert hat und die auch die Länder des Ostens erobern wird, wenn sie ein ausreichendes wirtschaftliches Niveau erreicht haben werden. Denn es kommt der Moment, wo sich der Hedonismus in sein Gegenteil verkehrt und zur Sorge wird: Bin ich schön genug? Bin ich schlank genug, braun genug? Bin ich ein guter Sexpartner? Bin ich noch verführerisch genug?

Christoph Vormweg | 15.02.2002
    Der Mensch hat ein Recht auf Glück - das war einst der "emanzipatorische Wahlspruch" der Aufklärung. Im 20. Jahrhundert jedoch - so die Diagnose des französischen Moralphilosophen Pascal Bruckner - hat sich die Verheißung in ein Gebot verwandelt: "Seid glücklich!" fordern heute ganze Branchen und verdienen sich goldene Nasen - von der Psychotherapie und den spirituellen Heilslehren über die Konsumgüterindustrie bis hin zur Medizin und Schönheitschirurgie. Weder Trieb- noch Gesetzes-Konflikte quälen demnach das Individuum in den westlichen Demokratien am meisten, sondern die Angst, glückstechnisch zu versagen. Den "Wahnsinn der Moderne" ortet Pascal Bruckner deshalb in dem vermessenen Ziel, das Paradies auf Erden bauen zu wollen. Mit seinem Essay 'Verdammt zum Glück - Der Fluch der Moderne" will er seinen Lesern vor allem eines nehmen: das Schuldgefühl, wenn's nicht so läuft.

    In Frankreich haben die Leute das Buch als ein Buch der Toleranz aufgefasst, als ein Buch, das den Lesern sagt: "Beschuldigt Euch nicht wegen Momenten der Schwäche und Unsicherheit, denn - im Gegensatz zu dem, was man Euch heute weismachen will - sind diese Momente des Nachlassens Zeichen Eurer Menschlichkeit." Ein Mensch ohne Phasen der Leere, ohne Phasen der Depression und Schwäche wäre vollkommen unmenschlich. Und das Glücksideal, das man uns Tag für Tag im Fernsehen, in Magazinen und Büchern einzutrichtern versucht, ist ein übermenschliches Ideal, das nur zu einer Rasse von Titanen passen würde, einer Rasse von Übermenschen, die ihre Zwietracht, ihre Sorgen überwunden haben müssten und die in der Lage wären, ständig das hohe Niveau zu halten, ständig auf den Gipfeln der Intensität und Glückseligkeit zu leben.

    Vom übermenschlichen Glücksideal zu einer Rasse von Titanen: auch mehr als ein Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch des Kommunismus sieht Pascal Bruckner den ärgsten Feind des Menschen in totalitären Ansprüchen. Wie so viele der in den 80er Jahren so genannten "neuen Philosophen" Frankreichs, die in das von Jean-Paul Sartre hinterlassene Vakuum vorstießen, kann er von seinen Warnungen gut leben. Mehr als 100.000 Exemplare seines Essays Verdammt zum Glück - Der Fluch der Moderne sind in Frankreich in einem Jahr über die Ladentheke gegangen. Und die Präge ist in der Tat, wann ein Philosoph aktueller Trends zum Trittbrettfahrer des Zeitgeistes wird. Doch sollte man nicht übersehen, dass Bruckner ein sehr genauer Beobachter der verborgenen Muster menschlichen Zusammenlebens in der Konsumgesellschaft ist. Dass gerade in den westlichen Ländern der Markt der Glücksillusionen blüht wie kein anderer, mag er der Regierungsform der Demokratie jedoch nicht anlasten:

    Trotz allem verfügt die Demokratie über die Fähigkeit, permanent Selbstkritik zu üben. Und so mäkelt die vorherrschende Klasse, das Bürgertum, ja auch ständig an sich selbst herum. Diese Fähigkeit zur Selbstanalyse, zur permanenten Selbstinfragestellung erklärt auch, da& die Demokratie zuweilen in den letzten Zügen zu liegen scheint und doch immer wieder wie ein Phönix aus der Asche aufersteht. Wo sie sich trotz ihrer Mängel, trotz ihrer Mittelmäßigkeit festgesetzt hat, schlägt sie sich nicht allzu schlecht. Es sind eher die Diktaturen, die verschwinden. Die Demokratie scheint - trotz oder vielleicht wegen ihrer Unvollkommenheiten -strapazierfähig.

    Und so rackert sich der 1948 geborene Pascal Bruckner für eine Besserung der Demokratie in kleinen Schritten ab. Dabei überzeugt er vor allem als Jäger der Paradoxe, der Widersprüche und Doppeldeutigkeiten der modernen westlichen Gesellschaften. Reihenweise seziert er sie mit jener Skepsis, die einst die französischen Moralisten des 17. und 18. Jahrhunderts ausgezeichnete: etwa die Tatsache, dass das Leiden m den westlicheil Gesellschaften umso mehr zunimmt, je mehr der Mensch es auszurotten versucht; oder die Tatsache, dass" viele, die den Rückzug des Staates gefordert haben, heute bei der kleinsten Katastrophe nach ihm schreien. Was viele übersehen, schreibt Bruckner, sei die Tatsache, dass das Leben "die Struktur eines Versprechens" habe, "nicht die eines Programms";

    Deshalb stimme ich in der Mitte des Buches auch das Lob auf den Wert des Romanhaften an. Denn eine der großen Annehmlichkeiten des Lebens ist, dass es nicht im voraus festgelegt ist, dass wir nicht wissen, was passieren wird, und dass, solange wir offen dafür bleiben, das Unvorhergesehene und Unbekannte eintreten kann. Und genau das zeigt uns, dass wir noch lebendig sind. Das Wunderbare im Leben ist das Neue, das Noch-nicht-Dagewesene. Ich persönlich ziehe eine Leben ohne Glück vor, wenn es abwechslungsreich ist, voller unbekannter Geschichten. Das Neue ist für mich wichtiger als das Glück, denn das Neue ist eine der Voraussetzungen der Lust.

    Pascal Bruckner fordert, Abschied zu nehmen von den Illusionen, von den wohlfeilen Selbstlügen, er fordert, Tod und Leid nicht langer zu verdrängen, sondern wieder anzunehmen als Teil des Lebens. Denn das Glück ist in seinen Augen eine "Kunst des Indirekten" und allenfalls für Momente zu haben:

    Wenn ein Teil des Glücks, wie ich glaube, in der Sorglosigkeit liegt, dann heißt "glücklich sein" eine Art Parenthese leben, wo man alle Sorgen hinter sich lässt, alle alltäglichen Kümmernisse. Vielleicht sollte man sich - wenn einen die Frage nach dem Glück so schnell bekümmert und krank macht - einfach keine Sorgen mehr darum machen, ob man nun glücklich ist oder nicht. Vielleicht sollte man wirklich in Betracht ziehen, dass das Glück - anders als man uns seit langem sagt - nicht notgedrungen das Ziel des Lebens sein muß, ja, dass niemand weiß, was dieses Ziel ist. Wie sagte doch ein bedeutender Mystiker: das Leben ist ohne Warum. Wir erleben Momente des Glücks: Nehmen wir sie doch einfach als solche hin! Und versuchen wir nicht, sie festzuhalten! Denn wir sollten aus dem Glück kein unerreichbares Ideal machen. Das hätte nur zur Folge, dass unser Alltagsleben vergiftet würde. Wenn das Leben alltäglich ist, ist es nämlich weder glücklich noch unglücklich. Das ist das gewöhnliche Leben.

    Verdammt zum Glück - Der Fluch der Moderne überzeugt weniger durch seine Verallgemeinerungen, als durch seine hintersinnigen Einzelanalysen - etwa des "bittersüßen Epos des grauen Alltags" oder der "Utopie des Fun". Belehren will Pascal Bruckner seine Leser jedenfalls nicht, vielmehr verunsichern und auf mögliche Auswege aus den Sackgassen der Glücksverheißung aufmerksam machen. In diesem Sinne stellt er den in Frankreich derzeit allgegenwärtigen Medien-Intellektuellen mit Vehemenz in Frage:

    Die Rolle des Rolle der Intellektuellen hat sich seit Sartre leider überhaupt nicht gewandelt. Im Gegenteil; vorher gab es einen Sartre, jetzt gibt es mindestens 2000 davon in Paris, die alle etwas zu sagen haben über BSE, die Währungsunion, die deutsch-französischen Beziehungen, über den Aufbau Europas, über Tschetschenien, Mazedonien, über die Wiedereröffnung der Bordelle, die Prostitution et cetera - der Intellektuelle, das ist die Omnikompetenz, er weiß alles über alles. [...] Je mehr er sich äußert, desto mehr verliert er an Glaubwürdigkeit, desto mehr macht man sich über ihn lustig. Doch gleichzeitig wird er um so öfter eingeladen. Das ist eine Art Trubel, der typisch für Frankreich ist. Je öfter die Intellektuellen zu Diskussionen, je öfter sie in Minsterien, zum Staatspräsidenten oder zu offiziellen Essen eingeladen werden, desto mehr führen sie sich natürlich als Verfolgte auf, als Opfer der Zensur oder einer Hexenjagd, desto mehr hüllen sie sich in das Gewand des Dissidenten, des Verdammten, des Parias. Das alles stellt den Begriff des Intellektuellen in ein schädliches, ungesundes Licht.