Ökonom Tilman Santarius warnt vor dem Stromfresser Internet

"Wir brauchen eine sanfte Digitalisierung"

Ein Rechenzentrum, in dem Server aufeinandergestapelt sind
Sie verbrauchen viel Strom und werden immer mehr: Rechenzentren © Photothek/Imago
Tilman Santarius im Gespräch mit Ute Welty · 17.11.2018
Das Internet ist verantwortlich für zehn Prozent des weltweiten Strombedarfs. Diese Zahl könnte bald drastisch steigen. Der Ökonom Tilman Santarius warnt nun vor den Folgen und zeigt eine Lösung auf.
Ute Welty: Nicht Laptop und Lederhose, sondern Bits und Bäume. Veranstaltungsort ist auch nicht München, sondern Berlin, Ab heute geht es zwei Tage lang um Kosten und Nutzen der Digitalisierung. Rund tausend Gäste werden zu der Konferenz erwartet, für die sich unter anderem Tilman Santarius verantwortlich zeichnet, der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler leitet die Forschungsgruppe Digitalisierung und Nachhaltigkeit von Technischer Universität Berlin und vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung. Guten Morgen, Herr Santarius!
Tilman Santarius: Guten Morgen! Hallo!
Welty: Nur die USA und China verbrauchen ja mehr Strom als das Internet, werden wir uns das auf Dauer leisten können?
Santarius: Ja, das ist schon eine horrende Strommenge, die alle digitalen Geräte und Rechenzentren veranstalten, zehn Prozent des weltweiten Stromverbrauchs entfallen auf das Internet. Das für sich genommen ist schon eine Herausforderung, aber es wird ja vermutlich an Digitalisierung noch zugelegt werden, die Szenarien sagen, dass der Anteil des Weltstromverbrauchs auf 30 oder gar 50 Prozent der Weltnachfrage in den nächsten 20 Jahren ansteigen kann – das könnten wir uns tatsächlich auf diesem begrenzten Planeten nicht leisten.
Welty: Wie berechnet man eigentlich, wie viel Strom das Internet verbraucht, in welchem Keller ist der Zähler untergebracht?
Santarius: Ja, das sind natürlich nicht nur die Zähler in den Kellern, sondern das sind vor allen Dingen ja die Rechenzentren, die viel Energie verbrauchen, aber auch die Infrastrukturen, von den Routern über die Relaisstationen bis hin zu den Datentransferzentren, die Unterseekabel bedienen, das alles muss berücksichtigt werden, und da gibt es überschlägige Rechnungen, auch zugegebenermaßen mit Schwankungsbreiten, weil das auch nur Einschätzungen sind.

"Wir können Ökologie und Menschenrechte nicht trennen"

Welty: Der Stromverbrauch dürfte ja nur eine Kennziffer sein, wenn es um nachhaltige Digitalisierung geht, was gehört noch dazu?
Santarius: Es gehört natürlich auch der Ressourcenverbrauch der Geräte dazu. Nehmen wir mal das Beispiel Smartphone, alleine für die sieben Milliarden Smartphones, die seit Einführung des ersten iPhones 2007 produziert wurden, fielen zum Beispiel 180.000 Tonnen Aluminium an. Das ist nur eines unter vielen Metallen, die im Smartphone verbaut werden, und Smartphones sind ja nur eines unter vielen digitalen Geräten, also da fällt eine Menge an Ressourcenverbrauch an. Und das können wir nicht außen vor lassen, wenn wir über Digitalisierung und ökologische Fußabdrücke sprechen.
Welty: Inwieweit ist es Ihnen wichtig, auch Fragen der Gerechtigkeit und der Menschenrechte mitzudenken?
Santarius: Das ist enorm wichtig. Wir können ja Ökologie und Gerechtigkeit gar nicht voneinander trennen, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Die Digitalisierung hat nicht nur Risiken für die Umwelt, sondern auch Chancen. Wir können in den verschiedensten Sektoren, Energie, Mobilität, Industrie optimieren, und auch in sozialer Hinsicht hat natürlich Digitalisierung Auswirkungen, eine Chance ist etwa flexibleres Arbeiten, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, es werden auch neue Jobs entstehen im Zuge der Digitalisierung, sind ja auch schon entstanden. Eines der größten Risiken der Digitalisierung in sozialer Hinsicht ist aber, dass die neuen Jobs, die entstehen, vermutlich mehr im Niedriglohnsektor liegen werden und weniger im Hochlohnsektor, und dass insgesamt so die Digitalisierung zu einer weiteren Polarisierung, zu einer Spaltung der Einkommen führen wird, und das würde dann zu einer Art digitalen Neofeudalismus, wo sich wenige Reiche, die Softwareingenieure, die Aktionäre der IT-Unternehmen zulasten einer verarmenden Mehrheit bereichert – das müssen wir natürlich so gestalten, dass das nicht passiert.
Welty: Das Ganze ist ja ein großer Komplex, nahezu unüberschaubar. Wo setzt man da an, auch gerade auf so einer Konferenz?
Santarius: Unser erster Schritt auf der Konferenz ist erst mal, die verschiedenen Akteure zusammenzubringen, die sich mit den Chancen und den Risiken der Digitalisierung auseinandersetzen. Da sind zum einen ja netzpolitisch aktive Menschen, Akteure, die aus der Tech-Szene kommen, Hacker, Nerds und andere. Und auf der anderen Seite sind das die Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewegten, diese Communitys arbeiten bisher kaum zusammen. Und die "Bits für Bäume"-Konferenz, die wir jetzt heute und morgen machen, ist eigentlich das erste Mal ein Ort, wo diese verschiedenen Bewegungen zusammenkommen, um gemeinsam über eine zukunftsfähige Digitalisierung zu beraten und eben auch Lösungen aufzuzeigen und Forderungen an die Politik zu stellen.

Politische Regulierung und Steuerung

Welty: Wie hoch ist der Preis für nachhaltige Digitalisierung, kostet uns das nicht vor allem Zeit, die wir eigentlich nicht haben?
Santarius: Ja, das glaube ich auf jeden Fall auch. Wenn wir die Digitalisierung der Gesellschaft und der Wirtschaft so gestalten wollen, dass sie wirklich einen Beitrag lastet zur Nachhaltigkeit, dann müssen wir vor allen Dingen Tempo rausnehmen. Deswegen sagen mein Co-Autor Stefan Lange und ich in unserem Buch "Smarte, grüne Welt" auch, wir brauchen eine sanfte Digitalisierung, also nicht zack, zack, durchdigitalisieren, sondern eher Tempo rausnehmen, sanfte, kluge, selektive Digitalisierung in den Bereichen, wo es Sinn macht und wo es der Gesellschaft etwas bringt. Und auch für politische Regulierung und Steuerung braucht man Zeit, das sind Aushandlungsprozesse, die brauchen Zeit, und deswegen ist der Zeitfaktor ein ganz wichtiger Punkt, den Sie ansprechen.
Welty: Aber macht das dann auch jemand?
Santarius: Ich glaube, die Politik ist aufgewacht, die Bundesregierung, die ja in der letzten Legislatur vor allem von Industrie 4.0 und Breitbandausbau gesprochen hat, ist jetzt mit dem neuen Eckpunktepapier für eine Strategie zu künstlichen Intelligenz schon etwas vorsichtiger geworden, da ist nicht mehr nur Positivsprech drin, sondern da wird eben auch erwähnt, künstliche Intelligenz made in germany soll nicht nur der Wirtschaft etwas bringen, sondern auch die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, Nachhaltigkeit und andere Anliegen, Teilhabe zum Beispiel, gesellschaftliche Teilhabe, im Auge behalten. Darauf lässt sich aufbauen. Jetzt müssen natürlich diesen wohlmeinenden Worten auch Taten folgen durch eine Digitalpolitik, die auch wirklich auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit abzielt.
Welty: Was bedeutet das konkret an Forderungen?
Santarius: Ich glaube, wir brauche eben nicht nur ein bisschen digitale Bildung und Breitbandausbau und Plattformen, wo sich Akteure austauschen können, sondern wir brauchen wirklich handfeste Regulierung. Nehmen wir mal eine Forderung, ich schlage vor, eine Designrichtlinie für Produkte der Informations- und Kommunikationstechnologie zu entwerfen, also für Smartphones, Laptops, Handys, aber eben auch Rechenzentren, wo beispielsweise drinsteht, dass Energiestandards eingehalten werden müssen, dass auf möglichst wenig Datengenerierung geachtet werden soll, die nennen das Datensuffizienz. Und wo dann auch die Geräte dahingehend beleuchtet werden, dass sie aus nachhaltigen Produkten entstehen, dass sie reparierfähig sind, das sie langlebiger sind und dergleichen mehr. Das ist eine ganz konkrete Forderung, eine Designrichtlinie für digitale Geräte.

"Jeder kann entscheiden, wann er welches Gerät nutzt"

Welty: Die Zukunftsforschung ist sich weitgehend einig, dass alles digitalisiert wird, was sich digitalisieren lässt. Wo bleibt da der Raum für Nachhaltigkeit?
Santarius: Ich glaube nicht, dass wir das so fressen müssen, was uns da serviert wird. Das ist auch viel so eine self fulfilling prophecy, es kommt alles, wir können da nichts tun. Letztendlich ist es, glaube ich, die Gesellschaft und eben auch die Politik und wir Nutzerinnen und Nutzer, die darüber entscheiden, wo wir uns und wie wir uns digitalisieren. Das kommt nicht vom Himmel oder wird vom Silicon Valley dem Rest der Welt aufgestülpt, sondern wir können das gestalten als Gesellschaft, als politische Akteure. Und auch jeder selbst kann entscheiden, wie viel Digitalisierung will ich in meinem Leben zulassen, wann nutze ich welches Gerät oder welche Anwendung.
Welty: Das Publikum auf dem Kongress weiß bereits, wovon Sie sprechen, aber wie wollen Sie ein breites Verständnis schaffen für die Thematik und vor allem für die Problematik?
Santarius: Das klappt eigentlich schon ganz gut, denn wir starten ja mit der Konferenz nicht nur eine Fachdebatte oder eine communityinterne Debatte, sondern das schwappt bereits rüber in die Medien. Schauen Sie, wir unterhalten uns jetzt hier auf einem Radiosender, das ist doch schon mal perfekt, das hören viele Leute. Es gibt etliche Kommentare in Zeitungen, es gibt neue Studien, die rauskommen, und eben auch die Politik reagiert darauf und wird ihrerseits wieder öffentliche Debatten damit anstoßen. Also, ich glaube, das ist ein kleiner Beitrag, diese Konferenz, zu einer viel größeren öffentlichen Debatte über die Chancen und Risiken der Digitalisierung, für die Nachhaltigkeit, und auch über die Frage, welche Digitalisierung möchte Deutschland, möchte eine Gesellschaft in Europa, vielleicht auch in Abgrenzung zum chinesischen oder zum US-amerikanischen Weg der Digitalisierung eigentlich haben. Diese Debatte brauchen wir und die hat längst begonnen.
Welty: Heute und morgen diskutiert die Konferenz "Bits und Bäume" über Digitalisierung und Nachhaltigkeit, ich habe darüber gesprochen mit dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Tilman Santarius, der zum Kernteam von "Bits und Bäume" gehört. Herr Santarius, haben Sie Dank und erfolgreiches Tagen wünsche ich!
Santarius: Vielen Dank! Und noch einen Hinweis: Man kann alle Podien der Konferenz auf einem Livestream verfolgen, schauen Sie auf die Webseite www.bits-und-bäume.org. Einen schönen Tag!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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