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Verdrängte Geschichte

In der Nähe der österreichischen Stadt Linz liegt der Ort Gusen. 1939 entstand hier das größte Konzentrationslager Österreichs. Die Häftlingsbaracken, das Krematorium und die SS-Siedlung dehnten sich über den gesamten Ort und Teile der Nachbarorte aus. 37.000 Menschen wurden in Gusen ermordet. Dass man diesen Ort, anders als das nahe Mauthausen, heute nicht mit der Topographie des Terrors in Zusammenhang bringt, liegt daran, dass er nach dem Krieg wieder zu dem wurde, was er vorher war: ein Wohnort. Dass die Häuser, in denen sie lebten, zur Ausbeutung und Ermordung von europäischen Juden, polnischen und spanischen Zwangsarbeitern und russischen Kriegsgefangenen gedient hatten, darüber sprachen die Bewohner nicht. Der Künstler Christoph Mayer ist in der Nähe von Gusen aufgewachsen. Dort hat er nun ein ganz besonderes Projekt realisiert, den "Audioweg Gusen".

Von Frank Olbert | 13.06.2009
    Herr Mayer, der "Audioweg Gusen" ist ein Projekt auch im Zusammenhang mit der Kulturhauptstadt Linz. Wie sieht das denn genau aus? Wie geht man diesen Audioweg entlang?

    Man begibt sich an einen Ort, der von Linz 15 Autominuten entfernt ist, leiht sich Kopfhörer aus und drückt einen Start-Knopf und dann geht es los. Man wird ganz präzise durch diese Landschaft geführt und hört Originaltonaufnahmen von Zeitzeugen. Das Ganze dauert 90 Minuten. Man ist selber anwesend an einem Ort, an dem man vielleicht gar nicht sein sollte. So ein Gefühl stellt sich bei vielen Menschen, die den Audioweg gehen, her.

    Und wie geht es den Leuten, die dort wohnen?

    Das ist ganz verschieden. Manche finden das ganz großartig und wichtig und sagen, dass sie jetzt verstehen, warum über die Jahrzehnte immer wieder Leute durch diese Siedlungslandschaft gelaufen sind und teilweise wild gestikuliert haben. Man hat sie ja nicht verstanden, weil sie meistens andere Sprachen gesprochen haben. Teilweise ist es so, dass man sich kriminalisiert fühlt. Das ist das Wort, das verwendet wird. Das heißt, man lebt normal an einem Ort wie jeder andere auch und plötzlich ist das etwas, das man eigentlich nicht tun sollte.

    An dem Projekt "Audioweg Gusen" haben außer dem Radiojournalisten Andreas Hagelüken und dem Komponisten Kai-Uwe Kohlschmidt viele Leute mitgearbeitet. Wer war denn alles beteiligt?

    Es waren viele Leute, die den Erarbeitungsprozess begleitet haben. Wir brauchten historische Beratung, weil viele Dinge überhaupt erst erforscht werden mussten. Das hat das Gedenkdienstkomittee Gusen übernommen, das ist ein gemeinnütziger Verein. Es gab eine psychologische Betreuung durch Clava Grimm. Sie hat die Prozesse des Erfragens bei den Soldaten und ehemaligen SS-Leuten wesentlich begleitet. Das ist ein schwieriges Unterfangen, weil sie ja meistens nicht darüber sprechen wollen. Sie hat aber auch die Gespräche mit Überlebenden und mit heutigen Bewohnern Gusens begleitet. Jedes Gespräch wurde ausgewertet und auch geschaut, was das mit einem selber macht, ob das einen selber verändert, wie man auf die Person reagiert. Das war sehr wesentlich.

    Der Termin für die Ursendung des Hörspiels "Das unsichtbare Lager - Audioweg Gusen" von Christoph Mayer: Samstag, 20. Juni, 20.05 Uhr im Deutschlandfunk.
    www.audioweg.gusen.org