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"Verdruckstheit im Umgang mit dem Afghanistaneinsatz"

Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg bewertet die Arbeit des Untersuchungsausschusses zu der Bombardierung in Afghanistan positiv. Der Ausschuss könne "strukturell Dinge offenlegen" und dazu beitragen, dass Defizite aufgearbeitet werden.

Karl Theodor zu Guttenberg im Gespräch mit Rolf Clement | 14.03.2010
    Rolf Clement: Herr Minister zu Guttenberg, diese Woche sind Zahlen bekannt geworden, nachdem diese Koalition - eine Wunschkoalition von Ihnen und von der FDP hier in Berlin - nur noch 20 Prozent Zustimmung bei den Bürgern findet. Sie wollen alle lieber eine andere Koalition. Wie erklären Sie sich das?

    zu Guttenberg: Zunächst einmal bleibt es unsere Wunschkoalition, aber wir haben diesen Wunsch auch entsprechend zu unterfüttern. Und wenn 20 Prozent als Zahl bleiben, ist das nicht zufriedenstellend, und der Anspruch muss sein, die 80 Prozent davon zu überzeugen, dass diese Wunschkoalition greift.

    Dafür muss man sich disziplinieren, und dafür muss man auch in der Lage sein, das eine oder andere Thema, das vielleicht einmal eine interne Diskussion auslöst, intern zu führen und nicht alles sofort nach außen zu tragen - und insgesamt einfach deutlich zu machen, dass man miteinander regieren will.

    Clement: Die Sicherheitspolitik - die Außenpolitik - ist ja zurzeit im materiellen Sinne kein Streitpunkt. Bisher galt immer als Grundsatz, dass man versucht, für außen- und sicherheitspolitische Themen Mehrheiten auch im gesamten Bundestag über die jeweils regierende Koalition hinaus zu finden. Sehen Sie dieses Bemühen für die nächsten vier Jahre als möglicherweise erfolgreich an?

    zu Guttenberg: Es bleibt fraglos das Ziel, dass man über die Parteigrenzen hinweg, auch über Oppositions- und Regierungsgrenzen hinweg, Außen- und Sicherheitspolitik gestaltet. Und das erfordert zunächst einmal, dass man bereit und in der Lage ist, auf den einen oder anderen erkannten Dissens offen zu diskutieren mit dem gesamten Parlament - auch, ich halte das für nötig, in der Öffentlichkeit den einen oder anderen Punkt deutlich zu machen, weil wir manchmal auch in den letzten Jahrzehnten - eineinhalb Jahrzehnten - sicher noch an Verdruckstheit gelitten haben, was unangenehme außen- und sicherheitspolitische Themen anbelangt.

    Aber es ist gute Tradition, in Konsens zu arbeiten und ein Bild einer Nation nach außen abzugeben, das in Bündnisverpflichtungen steht, das in internationalen Strukturen verpflichtet ist. Und vor diesem Hintergrund ist eine breite Unterstützung von Außen- und Sicherheitspolitik auch eine Stärkung des Ansehens eines Landes.

    Clement: Wenn man das mal runter bricht auf die Afghanistan-Diskussion: Sie haben die letzte Mandatsverlängerung jetzt im Februar so beschlossen, dass Sie praktisch den Text vom Dezember mit anderen Zahlen übernommen hatten. Das wurde hauptsächlich so gemacht, um die SPD dazuzugewinnen, dem zuzustimmen. Wenn Sie jetzt eine neue Strategie entfalten, wie sie ja damals in London besprochen worden ist, und dies ins Mandat reinschreiben würden, würde dann die Zustimmung der SPD wegfallen?

    zu Guttenberg: Da darf ich schon korrigieren. Das Mandat reflektiert auch diese neue Strategie, und wir haben die engstens abgestimmt auch gerade mit der SPD, haben auch keinen Hehl daraus gemacht, dass man über den einen oder anderen Impuls, der auch aus den anderen Parteien kam, dankbar ist. Es ist ja nicht so, dass die SPD über die letzten Jahre hier nicht in Verantwortung gestanden wäre. Und vor diesem Hintergrund bin ich zunächst mal dankbar, dass die SPD aus der Opposition heraus bereit war, einen solchen Konsens mitzutragen und diese außenpolitische Verpflichtung auch weiterhin gemeinsam anzugehen.

    Der Strategiewechsel ist offen mit allen Parteien debattiert, und er ist in das Mandat eingeflossen. Es ist nicht nur eine Kopie des alten Textes, es geht auch darum, dass man deutlich macht, dass ein Mandat zunächst mal eines ist, das sich auf die militärischen Strukturen im Wesentlichen beschränkt, dass aber die Afghanistan-Strategie als solche kein allein keine militärische ist.

    Clement: Das ist der Punkt. Ist das eigentlich schon - nach Ihrer Sicht - ausreichend umgesetzt? Ende Januar war die Londoner Konferenz, wo man viel stärker die zivile Komponente in den Vordergrund gerückt hat, was die deutsche Position eigentlich schon seit vielen Jahren war.

    Ist das ausreichend bereits umgesetzt worden vor Ort? Man hört nur von Offensiven, die die Amerikaner im Süden Afghanistans gegen die Taliban zurzeit durchführen, von dem anderen hört man nicht mehr viel.

    zu Guttenberg: Also, wir haben Ende Januar den Beginn eines Prozesses beschlossen, der neue zivile Komponenten beinhaltet, auch insbesondere neue militärische Komponenten. Einen militärischen Strategiewechsel umzusetzen, ist nicht etwas, was innerhalb von wenigen Tagen oder zwei, drei Wochen geschieht. Das ist ein Prozess.

    Dieser Prozess ist eingeleitet, das ist auch seitens der Amerikaner bereits spürbar. Ich erinnere beispielsweise daran, was an Ausbildungskräften auch in den Norden Afghanistans kommen wird, wo wir gemeinsam dann auch dieser Ausbildungsleistung nachkommen werden. Aber das ist etwas, was aufwächst, und wo man nicht einfach mal an einem Tag 5000 Soldaten nach Afghanistan schicken kann und sie sofort in ihrem Tätigkeitsfeld hat.

    Das Gleiche gilt für die zivilen Anstrengungen. Die zivilen Anstrengungen sind von deutscher Seite beispielsweise verdoppelt worden. Die Verdoppelung ist ja nicht nur eine, die sich in Geldmitteln niederschlägt, sondern auch in der Umsetzung vor Ort. Wir brauchen also die Unterstützung von zivilen Kräften, wir brauchen die Möglichkeiten, tatsächlich Infrastruktur bauen zu können. Und all das ist etwas, was schrittweise geschieht, was mit Nachdruck geschieht, da darf es auch zu keinen Verzögerungen kommen, aber wo man sich bereits jetzt in der Umsetzung dieses neuen Konzeptes befindet, wo man allerdings die Umsetzung in ihrem Gesamterfolg natürlich auch erst in den nächsten Monaten sehen wird.

    Und ich kann noch mal auf den militärischen Teil zurückkommen: Hier wird der Wechsel als solches erst in den Sommermonaten spürbar sein, weil wir ja auch Ausbildungsleistungen für diese neue Strategie bezüglich unserer Soldaten, aber auch bezüglich ziviler Kräfte vornehmen müssen.

    Clement: Wann können Sie denn die Region Feysabad an die afghanischen Behörden übergeben?

    zu Guttenberg: Wir haben die Zielsetzung, gewisse Distrikte - und auch in der mittelfristigen Zielsetzung dann auch ganze Provinzen - in die Verantwortung afghanischer Kräfte zu übergeben. Welche das letztlich sein werden, bemisst sich dann an dem jeweiligen Zeitpunkt an der Stabilität dieser jeweiligen Region. Es wäre verwegen, Herr Clement, wenn ich mich jetzt heute hinstellen und sagen würde: Dieser Distrikt wird zu diesem und jenem Zeitpunkt übergeben.

    Wir haben vor, ab dem Jahr 2011 bereits die Übergabe in Verantwortung schrittweise vorzunehmen. Ich werde aber den Teufel tun und Namen von Distrikten nennen, weil man damit im Zweifel einen Magnetismus auslöst bei jenen Kräften, die wir dort eigentlich nicht sehen wollen.

    Clement: Wie beurteilen Sie denn zurzeit die Sicherheitslage in Kundus? Man hört nicht mehr viel von Zwischenfällen, auf der anderen Seite weiß man natürlich, dass es da immer wieder Kampfhandlungen kleinerer Art gibt - kleinerer Art jetzt vom Umfang her, nicht von der Intensität her. Wie beurteilen Sie das im Moment?

    zu Guttenberg: Die Sicherheitslage ist weiterhin eine sehr angespannte. Die Lage um Kundus ist eine - um es nicht mit einem militärischen Begriff auszudrücken, sondern allen verständlich - eine gefährliche für jene, die sich in diesem Raum bewegen. Und deswegen war es auch wichtig, auch dort zu einer Umstellung der Strategie zu kommen.

    Es kann nicht sein, dass man den Eindruck erweckt, im Wesentlichen vom Lager aus zu operieren und sich gleichzeitig aber der Ring um das Lager sich immer enger schließt und man von daher kaum noch den Schutz der Bevölkerung vornehmen kann und das, was wichtig ist, auch die Isolierung der Talibankräfte von der Bevölkerung, insbesondere der aufständischen Kräfte, die auch insbesondere auch ideologisch motiviert sind und vor keiner Gewalt zurückschrecken. Das erfordert, dass man im Raum präsent wird, das erfordert, dass man nicht mehr nur berechenbar Patrouillen fährt und damit auch zum berechenbaren Ziel wird. Und all das trägt dazu bei, dass man einen - weil Sie die Frage gestellt haben - einen weiterhin in der Sicherheitslage angespannten Raum dann mit seiner Strategie auch gerecht wird.

    Clement: Die Schutzaufgabe, die Sie ja stärker beschreiben, ist ja letztendlich auch eine Kampfaufgabe, der Begriff Schutz hat einen anderen Klang in Deutschland. Aber das heißt ja auch, Sie müssen, um etwas schützen zu können, eventuell gegebenenfalls auch freikämpfen.

    Die Soldaten sind weniger im Lager, sie sind mehr draußen. Ist da die Semantik der Politik nicht hinter dem zurück, was die Bevölkerung eigentlich zu akzeptieren bereit ist? Die Bevölkerung sieht weitgehend die Situation vor Ort doch recht klar.

    zu Guttenberg: Ich bin weiterhin dafür, dass wir hier ganz offen mit den Gegebenheiten umgehen. Und eine Schutzaufgabe ist keine, die ohne Waffen auskommen kann. Eine Schutzaufgabe ist keine, die darauf verzichten kann, dass man auch gegebenenfalls von den Waffen Gebrauch machen muss. Eine Schutzaufgabe ist keine, die zwingend ungefährlicher werden würde.

    Aber eine Schutzaufgabe ist eine, die zunächst einmal auch durch Präsenz gewährleistet werden kann, und Präsenz kann dazu führen, dass man angegriffen wird. Und dann muss man in der Lage sein, sich auch entsprechend wehren zu können. Und dafür hat eine deutsche Bevölkerung jedes Verständnis. Um überhaupt eine Schutzaufgabe wahrnehmen zu können, muss man sich in einen Raum erst mal sich begeben können.

    Jetzt wird man versuchen, wenn man einen Raum als solches erschließt - ich benutze mal diesen unmilitärischen Begriff -, dass man diesen Raum mit möglichst wenig Kampfhandlungen erschließt und dass man nicht den Fehler macht, über Offensivhandlungen gleichzeitig viele Unbeteiligte oder solche, die nur eben mal für ein paar Tage rekrutiert wurden, mit entsprechenden Folgewirkungen dann in diesen Bann mit hineinzuziehen. Das ist natürlich auch Teil einer Umsetzung einer neuen Strategie.

    Aber dass wir in Zukunft mit der Schutz- und Ausbildungskomponente gänzlich auf Kampfhandlungen werden verzichten können, ist etwas, wo man offen sagen muss - das käme einer Illusion gleich.

    Clement: Entsteht nicht manchmal der Eindruck, dass man innenpolitisch etwas abschwächt, um einen breiteren Konsens im Bundestag zu haben und damit bei der Bevölkerung und auch bei den Soldaten manchmal einen falschen Eindruck von einem Einsatz erweckt?

    zu Guttenberg: Ich habe jetzt die gegenteilige Erfahrung gemacht, nämlich die, dass man gar nicht deutlich genug in Afghanistan die Realitäten ansprechen kann, um eben ein Verständnis bei den Soldaten erwecken dafür, was sie tatsächlich dort unten tun und damit darüber hinaus dann eben auch in der Folge ein Verständnis der Bevölkerung zu bekommen. Das ist der erste Schritt hin auch zu einer Unterstützung des Einsatzes. Und dran krankte es auch in den letzten Jahren über alle Parteigrenzen hinweg, dass wir zu verschüchtert über die Realitäten vor Ort gesprochen haben.

    Das war einer der Gründe, weshalb ich so viel Wert darauf gelegt habe, auch den Bezugspunkt hin zum Begriff Krieg zu finden, obwohl der völkerrechtlich natürlich nicht sauber ist. Deswegen musste ich mich des Begriffes kriegsähnlich zunächst einmal bedienen. Ich sage aber immer, ich habe jedes Verständnis, dass man umgangssprachlich auch von Krieg da unten spricht. Es war notwendig, mit einer klaren Sprache dafür zu sorgen, wie ordnen wir das völkerrechtlich ein?

    Es ist ja Gott sei Dank jetzt mittlerweile der Bundesregierung gelungen, dass wir hier den Konsens hergestellt haben, weil ohne diese Einordnung der Schritt hin zur Rechtssicherheit der Soldaten gar nicht gewährleistet werden könnte und ich weiterhin der Meinung bin, es gibt kaum etwas Absurderes, als unseren Soldaten das Gefühl dort unten zu geben, dass, wenn sie mandatsgemäß von ihrer Waffe Gebrauch machen, dann plötzlich vor dem Strafrichter in Deutschland landen zu müssen.

    Clement: Herr Minister, es gibt einen Untersuchungsausschuss im Zusammenhang mit den Vorfällen in Kundus. Sie werden wahrscheinlich jetzt hier nicht Ihre Aussage vor dem Ausschuss vorweg nehmen, wenngleich das natürlich das Schönste wäre in einem Interview im Deutschlandfunk.

    Aber trotzdem die Frage: Die Tatsache, dass das hier so untersucht wird, ist das für Soldaten, die vor Ort in einer Entscheidungssituation stehen, nicht ein großer Hemmschuh?

    zu Guttenberg: Es wäre dann ein Hemmschuh, wenn von einem Untersuchungsausschuss lediglich parteistrategisches und politisches Getöse bliebe. Das ist etwas, wofür die Soldaten kein Verständnis haben und was ich nachvollziehen kann. Gleichzeitig unterstütze ich aber den Auftrag dieses Untersuchungsausschusses. Und das mag erstaunlich klingen, weil man ja immer wieder auch in den Fokus dieses Ausschusses selbst gerückt und geschoben wird.

    Ich unterstütze den Auftrag, weil er strukturell Dinge offen legen könnte, die es offen zu legen gilt, und weil der Vorfall in Kundus, so grauenvoll er in seinen Auswirkungen dann auch war, wie unter dem Brennglas auch viele Defizite offengelegt hat, und hier es wichtig ist, dass dem auf den Grund gegangen wird. Und vor diesem Hintergrund ist das auch etwas, was durchaus der Befindlichkeit unserer Soldaten nahe kommen kann, wenn es letztlich dazu beiträgt, dass man Defizite aufarbeitet. Wenn es lediglich ein parteipolitisches Krawallinstrument ist, wovon ich jetzt erst mal nicht ausgehen will, dann wäre eine große Chance versäumt.

    Clement: Welche Defizite sehen Sie denn?

    zu Guttenberg: Zum einen wurde deutlich, dass an der einen oder anderen Stelle Rules of Engagement, wie man es nennt, nachgebessert werden muss, dass Verhaltensregeln im internationalen Kontext auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Das ist in Teilen schon geschehen.

    Ein zweiter Teil ist die Frage, wie sind die Kommunikationswege ausgestaltet gewesen. Ein Dritter ist die Frage, kann man tatsächlich die Strukturen, wie man sie vorgefunden hat, als ideal bezeichnen, wenn jemand sich in einer solchen Drucksituation befindet und sich plötzlich zu einer solchen Handlung dann auch berufen oder gezwungen sieht. Auch das klärt der Untersuchungsausschuss derzeit auf. Ist es deswegen möglicherweise notwendig, eben eine andere Strategie, einen anderen Ansatz auch vor Ort zu wählen.

    Das wird ja in Teilen auch schon jetzt umgesetzt. Es sind viele, viele Fragestellungen, die damit zusammenhängen bis hin zu der Frage der Verdruckstheit im Umgang mit dem Afghanistaneinsatz, der plötzlich offen gelegt hat, wir müssen offener, wir müssen ehrlicher auch über Defizite sprechen, auch über Fehler, die geschehen sind und damit eben die Grundlage für Verständnis nähren.

    Clement: Herr Minister, noch zu einem anderen Thema: In der vergangenen Woche haben Sie noch mal Geld zugeschossen in die Entwicklung des A400M, des Militärtransporters, den Sie auch für die Einsätze brauchen. Ein neues Transportflugzeug ist dringend notwendig, das ist unter allen Fachleuten ja unstrittig.

    Die Tatsache, dass man nun wiederum noch mal nachgebessert hat auf der finanziellen Seite, ist das nicht Strukturpolitik aus dem Wehretat?

    zu Guttenberg: Also, zunächst einmal sind die letzten Wochen und Monate, was auch die Verhandlungen anbelangte um diesen A400M, nicht solche gewesen, die mich wirklich euphorisch gestimmt hätten, weil auch das Ausdruck gewisser Gewohnheiten und Strukturen ist, an denen wir zu arbeiten haben und wir unsere Lehren ziehen müssen.

    Es war nun erstmals so, dass es eine vergleichsweise starre Vertragsstruktur gab und man an dieser starren Vertragsstruktur offensichtlich absehbar vor Jahren bereits gescheitert ist. Und das kulminierte jetzt in dem Ergebnis. Wichtig war, dass man deutlich gemacht hat, dass man sich gegenüber ursprünglichen Vorstellungen auch des industriellen Partners jetzt in dieser Frage nicht hat erpressen lassen und dass man gleichzeitig aber immer noch die Zielsetzung hat, eine notwendige Beschaffungsmaßnahme zu vollziehen, die angesichts der Alternativen, die wir haben, vor dem Hintergrund tatsächlich jetzt geboten war und auch durchgesetzt werden musste.

    Ist das Strukturpolitik? Für den Verteidigungsminister ist zunächst einmal im Vordergrund: Was brauchen wir? Was braucht eine Truppe, was ist unter Sicherheitsgesichtspunkten zu sehen, was ist tatsächlich notwendig? Wenn es dann gleichzeitig eine industriepolitische Komponente gibt, die auch einem Land gut tut, dann kann das ein Nebeneffekt sein, aber es darf nicht die maßgebliche Zielsetzung sein. Und trotzdem bleibt es für mich wichtig, dass wir möglichst haushaltsneutral hier agieren können, auch mit der Lösung, die wir gefunden haben, und dass, sollte der Steuerzahler tatsächlich mit in die Pflicht genommen werden bei solchen Maßnahmen, dass deutlich gemacht wird, dass das auch an der einen oder anderen Stelle positive Rückwirkungen haben kann, bis hin zu Arbeitsplätzen. Aber das allein maßgebliche Ziel kann das nicht sein.

    Clement: Also Sie machen keine Strukturpolitik mit dem Wehretat, normalerweise?

    zu Guttenberg: Der Wehretat dient zunächst einmal der Sicherstellung von Schutz und Ausrüstung, der Sicherstellung einer Armee, die wir mittlerweile global im Einsatz haben und dass man diesen Aufgaben auch gerecht werden kann.

    Clement: Ein ganz anderes Projekt ist gescheitert, nämlich die Tatsache, dass ein deutsches Konsortium beteiligt wird an der Beschaffung von Tankflugzeugen in den USA. In den USA wird auch diskutiert über das gemeinsam entwickelte System MEADS. Gibt es denn hier in der Rüstungszusammenarbeit mit den USA nur eine Einbahnstraße?

    zu Guttenberg: Es sollte keine Einbahnstraße geben. Ich schließe mich aber auch nicht mit vorauseilender Wonne all jenen an, die plötzlich laut Protektionismus geschrien haben. Dass eine Entscheidung auch für einen Anbieter des eigenen Landes ausfallen kann, ist nun nichts ganz Ungewöhnliches. Und ich kann nur sagen, was ich an Kenntnis hatte, dass das Angebot, das von europäischer Seite kam, eines war, das sich sehen lassen konnte und man sich grundsätzlich faire Wettbewerbsbedingungen wünscht. Das steht völlig außer Frage.

    Bei uns ist es auch so, dass wir jedes Projekt, auch das wir gemeinsam auf den Weg bringen, immer und auch weiterhin kritisch auf den Prüfstand stellen. Das gilt auch für MEADS. Das will ich an der Stelle auch sagen. Es ist nicht so, dass man alles, was jetzt über Jahre hinweg als in Stein gemeißelt gesehen wurde, dass das für immer und ewig auch so sein muss, sondern wir müssen sehen: Macht das tatsächlich sinn, brauchen wir es wirklich, wo gehen die Entwicklungskosten hin, wo gehen Beschaffungskosten im Zweifel hin, gibt es Alternativen? Und das ist nicht allein eine Frage des transatlantischen Verhältnisses, sondern der Vernunft vor Ort.

    Clement: Also Sie sehen da keinen Trend? Man hat ja vor Jahren immer mal wieder gesagt, eigentlich ist die Rüstungskooperation mit den USA eine reine Einbahnstraße. Wir kaufen bei denen, die kaufen bei uns so gut wie nichts. Die Gefahr sehen Sie nicht?

    zu Guttenberg: Wir müssen daran arbeiten, dass unsere Produkte auch in den USA für reizvoll erachtet werden. Aber es ist eine Sache der Wirtschaftspolitik zunächst auch einmal und eine, wo wir unseren Beitrag für unser Land entsprechend mit leisten wollen, damit hier unsere Industrie nicht völlig vor die Hunde geht. Nur, wir haben vorhin ja gerade darüber gesprochen, macht das Verteidigungsministerium Strukturpolitik und da hat es zunächst einmal seinen Schwerpunkt auf die originären Dinge zu setzen.

    In der Diskussion auch auf der Spitzenebene mit den USA spielt das eine Rolle. Aber es spielt keine Rolle, die jetzt auf einen offenen Konflikt hin steuern würde, sondern es muss mit guten Argumenten gearbeitet werden. Die Industrie muss sich mit guten Argumenten einbringen. Es ist nicht so, dass auch von amerikanischer Seite mal an anderen Systemen Interesse gezeigt würde. Und wenn man tatsächlich besser ist, dann kann man das ja auch entsprechend durchsetzen.

    Clement: Herr Minister, Sie haben ein großes Thema auf dem Tisch: die Verkürzung der Wehrdienstzeit von W9 auf W6. Wie sieht das neue Konzept für W6 aus?

    zu Guttenberg: Zunächst einmal ist das ein ambitioniertes Thema. Es ist eines, das im Koalitionsvertrag festgelegt wurde und das eine Herausforderung darstellt für die Bundeswehr wie für die Zivildienstträger - das muss man so sehen -, aber eine Herausforderung, die umsetzbar ist, und wo wir uns entgegen manchem Geunke, das derzeit zu hören ist, unmittelbar auch vor Abschluss unserer Arbeit im Ministerium befinden, und zwar schneller, als ursprünglich angedacht. Wir hatten mal gesagt, wir seien Ende März mit den Vorarbeiten im Ministerium fertig. Es ist jetzt in den nächsten Tagen bereits der Fall.

    Und wir gehen dann in die Diskussionen mit den Fraktionen und in eine Diskussion, der ich heute an dieser Stelle noch nicht vorgreifen will, weil es etwas ist, was von der Sensibilität des Themenkomplexes, aber auch aufgrund des Zeitdrucks, den wir uns gesetzt haben, nicht vorauseilend an Einzelpunkten dann plötzlich Reflexe auslösen sollte.

    Ich bin allerdings zufrieden mit der Arbeit, die im Hause geleistet wurde. Es sind viele Themenkomplexe, die hier mit einfließen: Wie hoch ist die Zahl der Einzuberufenen, in welchem Rhythmus muss man innerhalb eines Jahres einberufen, gibt es eine Stichtagsregelung, ja oder nein, wird man an der einen oder anderen Stelle über Urlaub nachdenken müssen oder kann man das in sechs Monaten nicht mehr machen? Das mag furchtbar banal klingen, ist aber plötzlich auch ein emotionaler Faktor.

    Zielsetzung von meiner Seite ist es, einen attraktiven Wehrdienst zu gestalten, für diese sechs Monate auch die Bestgeeignetsten zu finden, dass man diese sechs Monate als einen Gewinn auch im jungen Leben sehen kann. Die Vorteile von diesen sechs Monaten haben gerade die jungen Menschen. Für sie ist es leichter, schneller ins Berufsleben wieder einzusteigen. Diese sechs Monate sind solche, die den Eintritt ins Studium als solches möglicherweise früher dann auch gewährleisten. Aber sie müssen gut genutzt sein. Und das ist darstellbar. Es ist auch darstellbar, dass eine Grundausbildung sauber geleistet werden kann. Es ist darstellbar, dass man auch den Anreiz setzen kann für freiwillig länger Dienende, beziehungsweise auch für Soldaten auf Zeit.

    Da sind gute Vorarbeiten in meinen Augen aus dem Hause geleistet. Ich bin gespannt auf die Diskussionen mit den Fraktionen. Ich sage aber auch ganz offen, ich hätte mir etwas mehr Impulse auch gerade von jenen gewünscht, die derzeit laut öffentlich gelegentlich schreien, was kommt und da passiert nichts und wir hören nichts. Ich habe die Fraktionen aufgefordert, ihre eigenen Impulse zu geben, beziehungsweise ich habe es ihnen angeboten, so muss man es natürlich sagen.

    Ich habe es ihnen angeboten und von einigen kam so gut wie gar nichts. Allerdings hört man immer wieder, dass man ansonsten mit allem unzufrieden sei. Und da wäre es schon gut gewesen, etwas zu hören. Aber da hat man ja vielleicht jetzt noch mal die Möglichkeit in der Debatte als solches darzustellen.

    Clement: Werden Sie am Ende denn mehr Wehrpflichtige einziehen?

    zu Guttenberg: Es ist weiterhin Zielsetzung, dass man nicht in eine völlige Schieflage kommt. Das ist eine Diskussion, die ja nicht gänzlich neu ist. Dem kommt zunächst einmal vordergründig die demografische Entwicklung entgegen, auch in den kommenden Jahren.

    Wir kommen jetzt dann in die geburtenschwächeren Jahrgänge und haben gleichzeitig aber dann einen anderen Rhythmus. Und da ist es nicht auszuschließen, dass das zu einer Anpassung kommt, die auch diese lange, nicht immer nur mit besten Argumenten geführte Debatte, ist das nun gerecht, ja oder nein, und wie kann man einen sauberen Zivildienst gewährleisten, aber insbesondere auch die weiterhin notwendige Verknüpfung zwischen Gesellschaft und Bundeswehr aufrecht erhalten durch eine ebenso aufrecht zu erhaltende Wehrpflicht. Ich halte das weiterhin für geboten, dass man dem auch nahekommt. Ich glaube, das kann jeder.

    Clement: Sie haben die Demografie angesprochen. Die Demografie sagt, wir haben jetzt geburtenschwache Jahrgänge. Kann es sein, dass Sie in übersehbarer Zeit die Wehrdiensteinberufungskriterien verändern müssen?

    zu Guttenberg: Auch das ist ein Punkt, der derzeit überprüft wird. Ich sehe derzeit - so viel darf ich schon mal vorgreifen - auf fachlicher Ebene dazu keinen Bedarf. Allerdings ist das auch etwas, was wir durchaus diskussionsoffen stellen, weil ich auch im Hause darum gebeten habe, ohne Tabus die unterschiedlichen Fragestellungen anzugehen und auch manche Frage, die wir auch in den letzten Jahren nicht geführt haben, weil wir gesagt haben, man muss es nicht, auch mit aufzunehmen. Und dieser Aspekt ist jetzt einer, der nicht gänzlich neu ist aber der angesichts dessen, was wir sehen und was konzeptionell auch jetzt vorgelegt wurde, diesen Handlungsbedarf noch nicht sehen.

    Clement: Herr Minister, es knappst auch an der Struktur der Bundeswehr. Immer wieder hört man davon, dass es da Nachsteuerungsbedarf gibt. Normalerweise nennt man das dann Reform. Sie haben eine Strukturkommission eingesetzt. Wie weit ist die eigentlich - oder Sie wollen eine einsetzen.

    zu Guttenberg: Strukturkommission ist auch ein Auftrag aus dem Koalitionsvertrag, einer, den ich sehr stütze, eine Strukturkommission, die Vorschläge erarbeiten soll, die dann für das Ministerium eine Handreichung bedeuten und eine Umsetzung für notwendige Reformschritte. Wir sind bereits in einem Transformationsprozess seit Jahren. Aber wenn man von Prozess spricht, wird es damit auch deutlich, das man längst noch nicht zu einem Abschluss gekommen ist und wahrscheinlich auch immer in einem gewissen Prozess bleiben muss und bleiben wird.

    Ich habe zunächst einmal, als der Auftrag des Koalitionsvertrages kam, etwas gemacht, was manche als ungewöhnlich bezeichnet haben, nämlich das Haus selbst gebeten, die Stärken, aber auch die Defizite und Schwächen in den Strukturen offen zu legen, um damit eine Grundlage für die Arbeit der Kommission zu schaffen. Und dieser erste Schritt ist jetzt in diesen Tagen auch abgeschlossen. Es wird jetzt, glaube ich, noch bis Ende März laufen. Und dann wird im Zuge dessen die Strukturkommission eingesetzt.

    Clement: Herr Minister zu Guttenberg, Sie haben in den letzten zwei Jahren eine ganze Reihe von Aufgaben gehabt. Sie waren Generalsekretär der CSU, Sie waren Wirtschaftsminister, Sie sind jetzt Verteidigungsminister. Was hat Ihnen eigentlich am meisten Spaß gemacht oder macht Ihnen am meisten Spaß?

    zu Guttenberg: Die derzeitige Aufgabe macht mir viel Freude. Sie ist natürlich auch immer wieder mit Punkten verbunden, wo das Wort Spaß nie zutreffen würde und auch nicht zutreffen darf, weil man dann zum Zyniker werden würde. Aber der Umgang mit der Truppe macht mir wirklich viel Freude, weil ich hoch motivierte Soldatinnen und Soldaten antreffen darf, weil ich auf der anderen Seite auch Strukturen vorfinde, die ja zum einen reformbedürftig sind, aber wo auf der anderen Seite auch erkennbar ist, dass man sich den Herausforderungen dieser Zeit stellen will. Und deswegen ist es mit eine der spannendsten Aufgaben, die man derzeit haben kann, weil Verteidigungspolitik als solche ja nicht mehr Verteidigungspolitik im engeren Sinne ist, dass man sie nur an den Landesgrenzen definiert und dass man sie nur mit dem Begriff Verteidigung umschreiben könnte, mit den sogenannten Asymmetrien dieser Zeit umzugehen. Und das ist etwas, was über die Ressortgrenzen ja auch hinweggeht, wo die Gemeinsamkeiten zu suchen sind mit einem Auswärtigen Amt, Gemeinsamkeiten mit einem Entwicklungsministerium, Gemeinsamkeiten mit einem Wirtschaftsministerium.

    Das Berechenbarste in dieser Zeit ist die Unberechenbarkeit geworden. Wir haben plötzlich sehr schnell eintretende Bedrohungslagen. Und darauf muss sich eine Politik einstellen. Darauf müssen wir unsere Bevölkerung einstellen. Dafür müssen wir dann letztlich auch werben für neue Strukturen, für neue Herangehensweisen, auch für neue Aufgaben, was unsere Soldatinnen und Soldaten anbelangt. Und das ist einer der Punkte, die sicherlich mit am schwierigsten zu handhaben sein werden in den nächsten Jahren. Aber das ist fordernd und das macht Freude. Und wenn es keine Herausforderung wäre, dann sollte man sich eigentlich nicht in das politische Geschäft begeben.