Freitag, 19. April 2024

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Verfahren gegen "Cumhuriyet"-Journalisten
"Das ist Erdogans Schauprozess"

Für die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen hat das Verfahren gegen zwei Journalisten der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" in der Türkei nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. Es handele sich vielmehr um einen vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan angestrengten Schauprozess, sagte Dagdelen im DLF.

Sevim Dagdelen im Gespräch mit Jasper Barenberg | 26.03.2016
    Dagdelen in einem roten Kostüm am Rednerpult des Bundestages
    Harte Kritik an der türkischen Justiz: Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen (dpa / picture-alliance / Wolfgang Kumm)
    Schon der Ausschluss der Öffentlichkeit von der Verhandlung zeige, dass diese nichts mit rechtsstaatlicher Justiz zu tun habe, sagte Dagdelen im Deutschlandfunk. Sie nannte es zudem skandalös, dass Erdogan und der türkische Geheimdienst als Nebenkläger zugelassen seien. Denn eine Nebenklage sehe das türkische Recht eigentlich nur vor, wenn jemand unmittelbar vom Angeklagten geschädigt worden sei, argumentierte Dagdelen.
    "Erdogan lenkt, was im Gerichtssal passiert"
    Die Bundestagsabgeordnete sagte, für den Prozess seien erst kurz vor Beginn Richter und ein neuer Statsanwalt benannt worden. Dabei handele es sich durchweg um Juristen, die Erdogan treu ergeben seien. Der türkische Präsident lenke somit, was im Gerichtssal passiere.
    Das Bild zeigt den bärtigen grauhaarigen Dündar vor zahlreichen Unterstützern.
    Can Dündar auf dem Weg zum Gericht in Istanbul. (picture alliance / dpa / Sedat Suna)
    Dagdelen fordert die Bundesregierung auf, klarer Position für die drangsalierten Journalisten und Akademiker in der Türkei zu beziehen. Es reiche nicht aus, dies nur in persönlichen Gesprächen auf Regierungsebene zu tun.
    Anklagepunkt Spionage
    In Istanbul hatte gestern der Prozess gegen die "Cumhuriyet"-Journalisten begonnen. Angeklagt sind Chefredakteur Can Dündar und der Leiter des Hauptstadt-Büros in Ankara, Erdem Gül. Den beiden werden unter anderem Spionage und Unterstützung einer Terror-Organisation zur Last gelegt. Geklagt hatte Erdogan selbst. Anlass ist ein Bericht der Zeitung über angebliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Rebellen in Syrien.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Für viele ist dieser Fall ein Beleg für die massive Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei, weil sie über Waffenlieferungen des Geheimdienstes an islamistische Rebellen in Syrien berichtet hatten, wurden zwei Journalisten verhaftet: Can Dündal, Chefredakteur der Zeitung Cum Hürriyet, und der Büroleiter in Ankara, Erdem Gül.
    Der Vorwurf: Spionage und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Staatspräsident Erdogan persönlich hatte Anzeige gegen die beiden erstatten und protestiert, als das Verfassungsgericht nach drei Monaten Untersuchungshaft anordnete, Dündar und Gül bis zum Prozess freizulassen.
    Der hat gestern in Istanbul begonnen, für viele Kritiker auch ein Test für die Rechtsstaatlichkeit der Türkei insgesamt, und damit natürlich auch für die Zusammenarbeit der EU mit Ankara in der Flüchtlingspolitik. Die Bundestagsabgeordnete Seven Dagdelen von der Linkspartei ist zum Prozessauftakt nach Istanbul gereist gestern, sie ist jetzt zurück in Berlin und am Telefon. Schönen guten Morgen!
    Sevim Dagdelen: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    "Ausschluss der demokratischen Öffentlichkeit vom Prozess ist skandalös"
    Barenberg: Frau Dagdelen, auf Antrag der Staatsanwaltschaft haben die Richter gleich zum Auftakt des Prozesses die Öffentlichkeit für alle weiteren Verhandlungen im Gerichtssaal ausgeschlossen, zum Schutz der nationalen Sicherheit, wie es heißt. Wie legitim ist das aus Ihrer Sicht?
    Dagdelen: Na ja, also Geheimverhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit haben meiner Meinung nach nichts mehr mit einem fairen Prozess, fairer Justiz und auch dem Rechtsstaat zu tun, und dementsprechend war ja auch die Reaktion der großen Besucheranzahl, die auch international war, die an diesem Prozess interessiert ist, Journalisten, Rechtsanwälte, Menschenrechtsverteidiger von überall auf der Welt kamen dort hin, aber vor allen Dingen auch natürlich aus der türkischen Zivilgesellschaft protestierten gegen diese Entscheidung.
    Ich muss allerdings sagen, es war nicht nur skandalös der Ausschluss der demokratischen Öffentlichkeit vom weiteren Prozessverlauf, sondern zuvor gab es einen Antrag auf Nebenklage seitens des türkischen Geheimdienstes mit und seitens der Rechtsanwältin persönlich für den türkischen Staatspräsidenten Erdogan.
    Und bevor das Gericht sozusagen die Zwischenentscheidung bekannt gab, den Ausschluss der Öffentlichkeit, haben sie zugelassen, dass der Staatspräsident Erdogan als Nebenkläger und der türkische Geheimdienst auch als Nebenkläger zugelassen wird bei diesem Prozess. Und das finde ich eigentlich auch einen nicht minder großen Skandal.
    "Es gibt keine Legitimität für Erdogans Nebenklage"
    Barenberg: Warum ist das ein Skandal, wenn der Geheimdienst und der Staatspräsident als Nebenkläger zugelassen werden?
    Dagdelen: Zunächst einmal ist es ein Skandal, weil juristisch, laut türkischem Strafgesetzbuch es überhaupt keinen Grund, keine Legitimität dafür gibt, dass es hier eine Nebenklage gibt. Bei einer Nebenklage muss es eine direkte, unmittelbare Beschädigung seitens des Angeklagten zu sagen oder seiner Tat, seiner mutmaßlichen Tat gegenüber dem Nebenkläger geben. Und die gibt es hier aber nicht.
    Erdogan selbst wurde ja nicht durch die Berichterstattung direkt beschädigt und auch nicht der türkische Geheimdienst. Wenn überhaupt, muss das erst erwiesen werden bei diesem Urteil. Und interessant finde ich natürlich, dass eigentlich die Zulassung dieser Nebenklage implizit bereits zugibt, dass Erdogan diesen Befehl erteilt hat, dass diese Lastwagen voller Munition ausgeliefert werden sollten. Weil warum sollte er sonst geschädigt worden sein durch diese Berichterstattung?
    "Das ist nicht ansatzweise ein rechtsstaatliches Verfahren"
    Barenberg: Sie haben von den Unterstützern gesprochen, von denen gestern viele am Ort des Geschehens in Istanbul waren. Wir haben erfahren, dass Hunderte Autoren fordern, die Vorwürfe gegen Dündal und Gül fallenzulassen. Internationale Journalistenverbände kritisieren diesen Prozess, ebenso der Europarat. Nach dem, was Sie bisher geschildert haben, wie beurteilen Sie die Chancen, dass es überhaupt so etwas wie ein faires Verfahren geben kann?
    Dagdelen: Das ist nicht ansatzweise ein rechtsstaatliches Verfahren. Das ist Erdogans Schauprozess, und das hat schon begonnen mit der Geschichte, wie dieser Transport des Geheimdienstes stattgefunden hat, als das rauskam. Als die türkischen Sicherheitskräfte, die Polizei nämlich diese Lastwagen des Geheimdienstes voller Waffen und Munition gestürmt hatten und untersuchen wollten, hatte der jetzige Ministerpräsident Davutoglu erklärt, was in dem Lastwagen war, geht niemanden etwas an. Und Erdogan tobte und erklärte, die Operation gegen den Geheimdienst war ein Spionageakt, die Person, die diese Exklusivnachricht veröffentlicht hat, wird dafür einen hohen Preis zahlen. So einfach lasse ich den nicht davonkommen.
    Und alles, das ganze Arrangement, das ganz Tableau, was ich gestern im Gerichtssaal vorgefunden habe, entspricht dem. Zunächst einmal muss man sagen, Erdem Gül und Can Dündal waren jetzt drei Monate bereits in Haft. Auf Weisung des Verfassungsgerichts wurden sie wieder auf freien Fuß gesetzt und der Staatspräsident persönlich erklärte öffentlich, dass er diese Weisung des Verfassungsgerichts nicht anerkennen wird und dass sie auf jeden Fall hinter Gitter kommen werden.
    "Das ganze Arrangement ist auf Erdogan zugeschnitten"
    Und dem entspricht, dass zwei Tage vor Prozessbeginn der Staatsanwalt ausgetauscht wurde. Der neue Staatsanwalt ist regimetreuer. Die zwei beisitzenden Richter waren kurz zuvor noch Anwälte, wurden ganz kurzfristig berufen als Richter, als beisitzende Richter bei diesem Verfahren. Und einer von ihnen ist ein bekannter – es ist bekannt, dass er Rechtsanwalt der AKP, also der Regierungspartei in (Anm. d. Red.: An dieser Stelle ist das Interview leider aufgrund einer schlechten Verbindung unverständlich) ist.
    Also das ganze Arrangement ist auf Erdogan zugeschnitten. Er lenkt im Moment, was im Gerichtssaal passiert. Insofern ist das ein Schauprozess, und meine Sorge ist, dass das jetzt unter Geheimhaltung stattfindet und dadurch natürlich die Gefahr groß ist, dass die internationale Öffentlichkeit, und das haben Can Dündar und Erdem Gül mir vorgestern persönlich in einem langen Gespräch noch mal versichert, dass das ihr einziger Schutz sozusagen ist und dass sie sich darauf verlassen, dass diese Öffentlichkeit nicht abnimmt. Meine große Sorge ist, durch die Geheimverhandlung, dass die abnehmen wird.
    "Die Bundesregierung muss hier klar Position beziehen"
    Barenberg: Nun hat die Bundeskanzlerin, hat Angela Merkel von sich selbst gesagt, dass sie die Bedeutung von Meinungs- und Pressefreiheit noch in jeder Begegnung mit Vertretern der türkischen Regierung, mit dem Ministerpräsidenten angesprochen hat. Andere werfen der Bundesregierung ja eine gebückte Haltung in solchen Fragen vor. Was sollte die Bundesregierung anders machen?
    Dagdelen: Die Bundesregierung muss hier klar Position beziehen. Es reicht nicht, in inoffiziellen Gesprächen oder inoffiziell, in der Öffentlichkeit sozusagen Position zu beziehen, und Regierungsvertretern der AKP zu sagen, was man von Pressefreiheit und Meinungsfreiheit hält, sondern sie müssen hier ganz klar Position beziehen.
    "Die Bundesregierung schweigt zur Mittäterschaft von Erdogan und Davutoglu"
    Die Bundesregierung muss an der Seite der 32 Journalisten, die in Haft sind in der Türkei, weil sie Mut zur Wahrheit bewiesen haben, an deren Seite sein, an der Seite der Akademiker, die über Tausende waren, die einen Friedensappell unterzeichnet haben, und jetzt auch viele von denen strafverfolgt werden und in Einzelhaft sind in der Türkei. Und das reicht halt nicht.
    Ich finde, dass die Bundesregierung hier wirklich schweigt zu der Mittäterschaft von Erdogan und Davutoglu, weil sie sind es ja, die diese Waffenlieferungen verantworten an Terrormilizen, an wirkliche Mörderbanden in Syrien, und damit natürlich auch die Fluchtursache mit darstellen in Syrien.
    Und Can Dündar und Erdem Gül gebührt Anerkennung und Auszeichnung, und da erwarte ich mehr von der Bundesregierung. Statt die Anklagebank – auf die Anklagebank gehören halt diejenigen, die die Kriegsverbrechen, die die Waffenlieferungen an islamistische Terrorbanden in Syrien verantworten oder diese begehen, also Erdogan und Davutoglu.
    Barenberg: Sevim Dagdelen. Sie sitzt für die Linkspartei im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Danke für das Gespräch heute Morgen!
    Dagdelen: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.