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Verfassungsgericht billigt Tarifeinheitsgesetz
Wirtschaft erleichtert - Gewerkschaften gespalten

Nach der Billigung des Tarifeinheitsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht will die Deutsche Bahn mit den Gewerkschaften über das weitere Vorgehen beraten. Personalvorstand Weber kündigte Gespräche mit EVG und GDL an. Beide Gewerkschaften verbuchten das Verfassungsgerichtsurteil als Erfolg.

11.07.2017
    Die Richter des Bundesverfassungsgerichts.
    Die Richter des Bundesverfassungsgerichts. (dpa / Uli Deck)
    Der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, Weselsky, sagte im Deutschlandfunk, ein existenzgefährdender Angriff auf Berufsgewerkschaften sei abgewehrt worden. Er habe sich aber gewünscht, dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zurückweist. Die GDL hatte sich in den vergangenen Jahren zweimal harte Arbeitskämpfe mit der Bahn geliefert. Dabei ging es nach Ansicht von Beobachtern auch um die Konkurrenz zur größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft. Der EVG-Vorsitzende Kirchner erklärte, die EVG sehe sich in ihrer Auffassung bestätigt, dass solidarische Tarifpolitik nur von den Gewerkschaften mit den meisten Beschäftigten verantwortet werden könne. Auch der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis begrüßte das Urteil.
    Der Chef des Marburger Bundes, Henke, sagte, man fühle sich durch das Urteil als Berufsgewerkschaft für Ärzte gestärkt und anerkannt. Auch die Bundesregierung ist mit dem Urteil zufrieden. Arbeitsministerin Nahles sagte, sie sehe die solidarische Interessenvertretung durch die Gewerkschaften gestärkt. Die vom Gericht gemachten Auflagen und Vorgaben würden die Anwendung des Tarifeinheitsgrundsatzes in der Praxis erleichtern. Es gelte nun, die Urteilsgründe "gründlich und sorgsam" zu analysieren. Von der Gewerkschaft Verdi kommt dagegen Kritik. Ihre Vizechefin Kocsis äußerte die Befürchtung, dass unzählige Prozesse vor Arbeitsgerichten drohten.
    Verfassungsrichter fordern Nachbesserungen
    Die Karlsruher Richter hatten das Tarifeinheitsgesetz gebilligt, forderten aber Nachbesserungen zum Schutz von Spartengewerkschaften wie der GDL. Das seit zwei Jahren gültige Gesetz sieht vor, dass bei konkurrierenden Tarifverträgen in einem Betrieb nur der Abschluss mit der mitgliederstärksten Gewerkschaft gilt. Andere Arbeitnehmervertretungen können sich diesen Vereinbarungen nur durch nachträgliche Unterzeichnung anschließen. Wer die meisten Mitglieder hat, das sollen im Zweifel die Arbeitsgerichte entscheiden.
    Das Gesetz soll dafür sorgen, dass sich Rivalen von vornherein an einen Tisch setzen und sich abstimmen. Spartengewerkschaften, wie es sie bei der Deutschen Bahn oder der Lufthansa gibt, fürchten um ihre Durchsetzungskraft. In Karlsruhe sind insgesamt elf Verfassungsklagen gegen die Tarifeinheit anhängig, über fünf davon hat der Erste Senat nun stellvertretend entschieden. (Az. 1 BvR 1571/15 u.a.)
    Teilnehmer einer Mahnwache von dbb Beamtenbund und Tarifunion gegen eine Zwangs-Tarifeinheit halten am 02.03.2015 vor der CDU-Parteizentrale in Berlin ein Plakat mit der Aufschrift "Freiheit statt Tarifdiktatur".
    Etliche Gewerkschaften hatten gegen das Tarifeinheitsgesetz geklagt. (dpa / picture-alliance / Wolfgang Kumm)
    Streikrecht nicht in Gefahr
    Die Richter stellen fest, dass das Gesetz Grundrechte beeinträchtigen kann. So habe es die schwächere Gewerkschaft im Betrieb womöglich schwerer, Mitglieder zu werben und zu mobilisieren. Das Streikrecht sei aber nicht in Gefahr. Der Senat sieht allerdings das Risiko, dass die Interessen kleinerer Berufsgruppen wie Piloten oder Krankenhausärzte unter den Tisch fallen. Dazu muss der Gesetzgeber bis Ende nächsten Jahres eine Neuregelung schaffen.
    In anderen Punkten nehmen die Richter die Arbeitsgerichte in die Pflicht und machen verbindliche Vorgaben. Sie sollen beispielsweise dafür Sorge tragen, dass kein Arbeitnehmer Zusagen verliert, auf die er bei der Lebensplanung fest vertraut hat. Dazu gehören die Altersvorsorge, eine Arbeitsplatzgarantie oder die Lebensarbeitszeit. Die Entscheidung war im Senat umstritten. Zwei von acht Richtern stimmten dagegen, weil sie das Gesetz für zu scharf hielten.
    Anlass für die Neuregelung war ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2010, das verschiedene Tarifverträge nebeneinander möglich machte. Mit dem Tarifeinheitsgesetz wollte Bundesarbeitsministerin Nahles zurück zu der über Jahrzehnte gängigen Praxis nach dem Motto "ein Betrieb - ein Tarifvertrag".
    Wirtschaft zeigt sich erleichtert
    In der deutschen Wirtschaft wird das Urteil mit Erleichterung aufgenommen. Arbeitgeberpräsident Kramer sprach von einem guten Tag für die Soziale Marktwirtschaft, weil nun Rechtssicherheit herrsche. Auf ein positives Echo stieß das Urteil auch beim Arbeitgeberverband Gesamtmetall und dem Bundesverband mittelständische Wirtschaft. Dessen Präsident Ohoven sagte, es sei gut, dass die Möglichkeit der Spartengewerkschaften, das Wirtschaftsleben lahmzulegen, beschränkt bleibe.
    (mw/ach)