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Referendum in Italien
Abstimmung über die größte Verfassungsreform seit dem Krieg

Das Referendum über die Verfassungsreform spaltet Italien. Die zweite Kammer - der Senat - soll entmachtet werden, damit Entscheidungen schneller getroffen werden können. Die Opposition hat die Abstimmung zu einem Si oder No über die Regierung und den Ministerpräsidenten gemacht.

Von Jan-Christoph Kitzler | 04.12.2016
    Der italienische Ministerpräsident gibt seine Stimme beim Verfassungsreferendum ab.
    Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi während der "Si"-Kampagne für ein weitreichendes Verfassungsreferendum. (picture alliance / dpa / Maurizio Degl' Innocenti)
    Die italienischen Zeitungen geben heute meist klare Wahlempfehlungen ab. Nur auf der Titelseite der römischen Zeitung Il Tempo sieht man ein "Si" und ein "No" – doch angekreuzt ist das "Boh", also der Laut, den Italiener beim Achselzucken machen. Achselzuckend, unsicher werden viele heute auch Ihre Stimme abgeben. Wie dieser Mann in Rom:
    "Ich bin 56 und glaube nicht mehr an die Politik, an das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik und an das, was der Wert des Bürgers und des Volkes sein müsste."
    Zukunft der Regierung Renzi steht zur Abstimmung
    Matteo Renzi hat auch schon am Vormittag in Florenz seine Stimme abgegeben. Die Italiener entscheiden heute nicht nur über die größte Verfassungsreform seit dem Krieg, sondern auch über die Zukunft seiner Regierung. Renzi hatte mehrfach gesagt, er werde zurücktreten, wenn die Reform scheitert. In seiner letzten großen Rede am Freitag war davon allerdings nicht mehr die Rede. Renzi betonte, diese Reform sei wichtig für die Zukunft Italiens:
    "Diese Reform ist nicht nur das Ja zu dem Entwurf, den alle über Jahre für grundlegend gehalten haben. Es ist das Ja zur Würde der Institutionen. Das gibt den Politikern Glaubwürdigkeit zurück. Und das heißt, dass unsere Kinder nicht weitere 20 Jahre warten müssen, so wie wir."
    Die zweite Kammer, der Senat, soll entmachtet werden, damit Entscheidungen und Reformen schneller passieren. Renzi würde mehr Macht haben. Auch wenn er in seinen Reden betont hatte, es gehe nicht um ihn: Die Opposition, ein weites Feld vom rechten bis zum linken Rand, hat die Abstimmung zu einem Si oder No über die Regierung und den Ministerpräsidenten gemacht. Selbst Silvio Berlusconi, dessen politische Karriere ihren Zenit schon lange überschritten hat, gab noch einmal eine Wahlempfehlung ab:
    "Ihr müsst wählen gehen, um zu verhindern, dass Renzi Eurer Herr wird und der Herr Italiens. Ihr müsst alle überzeugen, wählen zu gehen, um ein festes, entschiedenes, verantwortliches Nein zu sagen."
    Zahl der Unentschiedenen eher größer als kleiner geworden
    Ob das viele Wähler beeindruckt? Immerhin scheint die Unsicherheit vor der Wahl noch einmal gestiegen. Meinungsforscher sagen, die Zahl der Unentschiedenen sei kurz vor dem Wahltermin eher größer als kleiner geworden. Doch es gibt sie auch, die Überzeugten, wie diesen älteren Wähler in Rom:
    "Ich persönlich habe mit Überzeugung Ja gestimmt. Ich bin sehr überzeugt. Aus ethischen Gründen und außerdem bin ich von weither gekommen, um meinen Willen auszudrücken. Viele werden nicht einverstanden sein. Aber Geduld!"
    Es reicht die einfache Mehrheit
    Viele Wähler wissen, dass sich in Italien manches verändern muss. Doch nicht bei allen führt diese Erkenntnis zu einem Ja für die Reform, im Gegenteil:
    "Ich hätte gern, dass sich irgendetwas ändert. So geht es nicht weiter. Das Geld reicht nicht mehr. Die Rentner sterben am Hunger, und wir helfen auch noch den Enkeln. Meiner Meinung nach gewinnt das Nein."
    Die Italiener haben nun das Wort. Insgesamt fast 51 Millionen sind wahlberechtigt. Rund 1,6 Millionen Italiener im Ausland haben bereits ihre Stimme abgegeben. Für die Entscheidung ist die Wahlbeteiligung unerheblich, es reicht die einfache Mehrheit.
    Die Wahllokale sind bis 23 Uhr geöffnet – mit einem Ergebnis wird schon am frühen Montagmorgen gerechnet. Das Referendum über die Verfassungsreform jedenfalls hat Italien tief gespalten – und so wird es auch morgen früh Ansichtssache sein, ob das Ergebnis ein gutes oder ein schlechtes für Italien ist.