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Verfassungsrichter prüfen BKA-Gesetz
Binninger verteidigt erweiterte Befugnisse der Ermittler

Der CDU-Innenexperte Clemens Binninger hat das umstrittene sogenannte BKA-Gesetz verteidigt, das die Überwachung von privaten Computern und Wohnungen ermöglicht. Das Gesetz sei eine Reaktion auf die Gefahr des internationalen Terrorismus. Das Bundesverfassungsgericht muss jetzt entscheiden, ob unter anderem das Berufsgeheimnis von Ärzten, Anwälten und Journalisten gefährdet ist.

Clemens Binninger im Gespräch mit Sandra Schulz | 07.07.2015
    Der CDU-Innenpolitiker Clemens Binninger
    Der CDU-Innenpolitiker Clemens Binninger (Daniel Naupold/dpa)
    Der CDU-Politiker betonte, man habe dem Bundeskriminalamt seinerzeit nur die Befugnisse gegeben, die die Landesbehörden schon zuvor gehabt hätten. Weiter sagte er im DLF: Die terroristische Gefahr sei angesichts von mehreren Tausend aus Europa stammenden IS-Kämpfern eher noch größer geworden. "Da jetzt von Big Brother oder von Überwachungsstaat zu reden - dafür habe ich kein Verständnis". Die Anwendungsfälle bewegten sich im ein- bis zweistelligen Bereich pro Jahr.
    Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe befasst sich ab heute mit dem BKA-Gesetz. Auf dessen Grundlage kann die Bundespolizei Online-Durchsuchung von Computern durchführen, sie darf Wohnungen mutmaßlicher Verdächtiger auch mit Kameras bespitzeln, die Telekommunikation belauschen und selbst unbeteiligte Kontaktpersonen überwachen. Zu den Klägern zählen der frühere Bundesinnenminister Baum von der FDP sowie Journalisten, Anwälte und Ärzte, die ihr Berufsgeheimnis ausgehöhlt sehen. Ein Urteil des Verfassungsgerichts wird im Herbst erwartet.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Online-Durchsuchung, Lauschangriff, Spähangriff, Wanzen, Kameras, angezapfte Telekommunikation - das alles sind keine Fantasien der Ermittler, sondern das alles ist Realität seit Ende 2008, seit einer Reform des BKA-Gesetzes. Die Ermittler sollen mit diesen Instrumenten gegen den internationalen Terrorismus effektiver vorgehen können.
    Das ist natürlich ein Ziel, das in den letzten Jahren nicht unwichtiger geworden ist. Aber den Weg zu diesem Ziel, den hielten und hält eine Gruppe von Rechtsanwälten, Oppositions-Bundestagsabgeordneten, Ärzten und Journalisten für falsch, um nicht zu sagen für verfassungswidrig, und darum sind sie nach Karlsruhe gezogen und dort wird die Verfassungsbeschwerde heute verhandelt
    Am Telefon ist jetzt Clemens Binninger, für die CDU Mitglied im Innenausschuss. Guten Morgen.
    Clemens Binninger: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Wenn wir bei diesem Punkt bleiben, der gerade zum Schluss angesprochen worden ist, bei dieser Überwachungs-Gesamtrechnung. Wird die Summe, das Arsenal der Möglichkeiten der Ermittler nicht so groß, dass Big Brother dann im Einzelfall Realität werden kann?
    Binninger: Das sind natürlich Kritikpunkte, die immer wieder fast schon etwas reflexartig vorgetragen werden. Wir haben dem BKA mit Ausnahme der Online-Durchsuchung und der Quellen-Telefonüberwachung ja nur die Befugnisse gegeben zur Gefahrenabwehr, die jede Landespolizeibehörde schon seit vielen Jahren hatte, das BKA aber nicht. Das BKA war immer erst dann zuständig in der Vergangenheit, wenn die Straftat passiert ist, aber nicht, wenn es diese noch verhindern konnte. Das haben wir eingegrenzt auf die Bereiche des internationalen Terrorismus. Da jetzt von Big Brother immer zu reden, ist mir sehr zu kurz gesprungen auf Begriffe wie Überwachungsstaat, muss ich wirklich sagen. Dafür habe ich eigentlich kein Verständnis.
    "BKA-Befugnisse sind Folge einer zunehmenden Terrorgefahr
    Schulz: Ist doch aber, da bleibe ich noch mal bei, in der Gesamtsumme immer mehr geworden. Die Spähkompetenz fürs BKA, Wohnungen mit Kameras versehen, ob da jemand zuhause in der Nase popelt, oder vielleicht nackt durchs Wohnzimmer tanzt. Was bleibt da von der Privatsphäre übrig?
    Binninger: Frau Schulz, natürlich, wenn Sie so eine Befugnis einzeln vorlesen, denken Sie ja, es geht sehr tief. Das ist auch richtig. Aber wir haben zum Beispiel für diese Wohnraumüberwachung, die es in anderen Gesetzen schon lange gibt, sehr hohe Hürden vorgesehen. Und jetzt muss man mal sehen: All das, was wir gemacht haben, haben wir jetzt nicht einfach nur aus Aktionismus heraus begangen.
    Das war immer auch eine Reaktion auf die leider, leider zunehmende Gefahr des internationalen Terrorismus und der Schwachstellen, die wir erkannt haben.
    Ich bin jetzt schon ein paar Jahre dabei und auch bei ein paar Gesetzen dabei gewesen. Immer kam dieses Argument, es wird dann zu viel, ihr überwacht alle. Wir lassen uns ja turnusmäßig berichten, wie häufig wurden in der Vergangenheit solch andere Terrorbekämpfungsgesetze angewandt, und man kann wirklich sagen, die Anwendungsfälle - sie konzentrieren sich ja auf Terrorverdächtige - bewegen sich fast überwiegend im ein- bis zweistelligen Bereich pro Jahr in Deutschland. Da von Big Data und großer Überwachung zu sprechen, finde ich, geht ein bisschen an der Gefahr vorbei.
    Schulz: Sie sagen, Sie haben das jetzt schon lange Jahre mitgemacht. Es hat natürlich viele Gesetze gegeben in der Sicherheitsabwehr.
    Binninger: Das ist richtig!
    "Dass geklagt wird, heißt nicht, dass wir überziehen"
    Schulz: Es hat allerdings auch viele Urteile aus Karlsruhe gegeben, in denen der Gesetzgeber das ziemlich um die Ohren bekommen hat, Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung, Anti-Terror-Datei-Gesetz. Jetzt sagen Sie wieder, das ist verhältnismäßig. Was macht mich da so sicher, dass es diesmal denn stimmt?
    Binninger: Ich korrigiere Sie nur ungern, aber ich will darauf hinweisen, dass wir außer beim Thema Vorratsdatenspeicherung, die aber grundsätzlich auch für verfassungsgemäß zulässig erklärt wurde, nur das Gesetz wurde angegriffen, ...
    Schulz: Aber mit wesentlichen Korrekturen aus Karlsruhe.
    Binninger: ... , wir bei der Anti-Terror-Datei im Grunde auch Recht bekommen haben. Und das Urteil zur Online-Durchsuchung, das fiel ja vor unserem Gesetz. Das haben wir exakt so berücksichtigt in unserem Gesetz und haben uns dann die Kritik anhören müssen, ihr schreibt ja nur das Urteil von Karlsruhe ab. Mit der Kritik kann ich natürlich leben. Nur dass geklagt wird heißt nicht, dass wir überziehen.
    "Es geht um Gefahren des internationalen Terrorismus"
    Schulz: Aber Karlsruhe hat immer wieder für unverhältnismäßig erklärt, was der Gesetzgeber in Berlin für verhältnismäßig gehalten hat. So war es ja auch bei der Online-Durchsuchung. Sie haben es gerade gesagt. Das Urteil aus Karlsruhe ist natürlich eingearbeitet.
    Trotzdem bleibt es jetzt dabei, dass nur ein Amtsrichter drüberschauen muss. Wird das dann im Alltag bei der Belastung, die Amtsrichter sicherlich in ihrem Alltag haben, fließbandmäßig durchgewunken?
    Binninger: Jetzt will ich mal den Amtsrichter nicht abwerten. Es ist ein Richter, der sonst auch in der Strafprozessordnung ja genannt ist für Anordnung von Maßnahmen, und wir haben bei der Online-Durchsuchung - das werden wir ja evaluieren -, glaube ich, so hohe Hürden gesetzt, dass man wirklich wie bei anderen intensiven Eingriffsmaßnahmen wie Wohnraumüberwachung auch, dass man am Ende möglicherweise nur über wenige Einzelfälle, wenige Einzelfälle zu entscheiden hat, von den technischen Schwierigkeiten mal ganz zu schweigen. Da sehe ich jetzt wirklich kein Problem.
    Ich will noch mal deutlich machen, das kam ja auch im Vorfeld raus: Es geht um Gefahren des internationalen Terrorismus. Nur für diesen Aufgabenbereich haben wir dem BKA Gefahrenabwehr-Kompetenzen gegeben, die die Länderpolizeien schon hatten. Und wenn bei aller Wertschätzung Herr Baum mit den Beispielen kommt aus den 70er-Jahren - das war eine sehr schwierige Zeit und auch schlimme Zeit mit den Anschlägen der RAF -, dann ist das nicht ganz vergleichbar, und er hat auch ein paar Dinge dabei übersehen, was jetzt Zusammenarbeitsformen betrifft. Insofern, glaube ich, haben wir diese Sorgen, die er damals sicher noch hatte, heute nicht mehr.
    Wir haben heute andere, dass die Gefahr des internationalen Terrorismus auch durch den IS, dreieinhalbtausend Kämpfer aus Europa in dieser Krisenregion, die alle zurückkommen irgendwann, eher größer, leider, muss man sagen, denn kleiner geworden ist und wir eigentlich diese Gefahrenabwehrbefugnis jetzt schon zurecht eingeführt haben.
    Schulz: Und die Befugnisse, die gibt es ja jetzt auch schon seit sechs Jahren. Lässt sich denn sagen, was die gebracht haben?
    Binninger: Wir hatten ja im Gesetz eine Evaluation vorgesehen, dass wir nach fünf Jahren eine Evaluation durchführen. Jetzt haben wir den Terminplan nicht ganz eingehalten, haben das letzte Woche beschlossen. Die machen wir nicht selber, die macht auch das BKA oder das Bundesinnenministerium nicht selber, sondern da wird ein Sachverständiger beauftragt.
    Schulz: Aber was es gebracht hat, wissen Sie jetzt noch gar nicht?
    Binninger: Wir bekommen ja im Einzelfall die Lagen geschildert. Wenn quasi ein Terroranschlag verhindert werden kann, oder wenn eine Gefahr abgewehrt werden kann, Fälle von besonderer Bedeutung, bekommen wir natürlich berichtet in den zuständigen Gremien.
    Aber es gibt jetzt nicht die Aufstellung, wie wir sie im Gesetz vorgesehen haben, das wäre auch gar nicht klug gewesen, sondern da haben wir gesagt, bestimmte Befugnisse - dazu gehört zum Beispiel die Online-Durchsuchung - sollen von einem unabhängigen Sachverständigen untersucht werden, und das wird das Max-Planck-Institut sein. Das haben wir letzte Woche im Deutschen Bundestag beschlossen. Die Frist wäre eigentlich fünf Jahre gewesen; die haben wir jetzt nicht ganz eingehalten.Das ist unser Versäumnis, aber wir werden das tun.
    Und es war ja immer auch der Wunsch der Opposition zu sagen, das Bundesinnenministerium soll die Gesetze, die für seine Behörden gelten, nicht selber überprüfen und dann irgendwie eine Statistik und Erfolgsmeldung liefern. Das soll ein unabhängiger Sachverständiger machen und das werden wir jetzt tun.
    Schulz: Der CDU-Innenpolitiker Clemens Binninger heute hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen". Danke Ihnen für das Interview.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.