Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Zäsur der 68er-Bewegung
Brandanschläge, Studentenproteste und Gewalt

Vor 50 Jahren zündeten die späteren RAF-Terroristen Gudrun Ensslin und Andreas Baader gemeinsam mit zwei Komplizen in Frankfurt am Main zwei Kaufhäuser an. Es war eine Zäsur für die Studentenbewegung. Für eine kleine Gruppe war Gewalt zum legitimen Mittel des politischen Protests geworden.

Von Monika Dittrich | 02.04.2018
    Polizisten wurden von den demonstrierenden Studtenten in - teilweise auch heitere - Gespräche verwickelt. Am 29.05.1968, dem Vortag der dritten Lesung der Notstandsgesetze im Bonner Bundestag, demonstrierten in München tausende Studenten, Schüler, Arbeiter und Angestellte. | Verwendung weltweit
    Demonstration gegen Notstandsgesetze in München 1968 (dpa)
    Nachrichtensprecher: "In zwei Kaufhäusern der Frankfurter Innenstadt brachen in der Nacht zum 3. April dieses Jahres Brände aus. Feuerwehr und Kriminalpolizei entdeckten in den Trümmern die Reste von Brandsätzen und elektrischen Zündern."
    Gudrun Ensslin: "Ich werde mich niemals damit abfinden, dass man nichts tut. Ich habe dem Richter gesagt: Ich weiß, warum Sie sagen, man kann nichts tun. Weil Sie nichts tun können wollen! Aber ich will etwas getan haben."
    Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr sichten am 3. April 1968 den Schaden in der ausgebrannten vierten Etage des Frankfurter "Kaufhof". In der Nacht waren in zwei Kaufhäusern der Stadt Feuer ausgebrochen. Sprengpatronen am Tatort sowie ein Bekenneranruf in der Frankfurter Redaktion der dpa Deutschen Presse-Agentur legen den Verdacht politisch motivierter Anschläge nahe. Unter den Tätern sind, wie sich herausstellt, die späteren RAF-Mitglieder Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Die Tat und ihre Folgen werden als Wurzel des RAF-Terrors angesehen. | Verwendung weltweit
    Polizei und Feuerwehr untersuchen am 3. April 1968 die Brandschäden in der vierten Etage des Frankfurter Kaufhof (dpa)
    Wolfgang Kraushaar: "Also, die Warenhausbrandstiftung am 2. April 1968 in zwei Frankfurter Kaufhäusern ist sicherlich eine Art Fanal gewesen, aber auch gleichzeitig eine Art Irrlicht."
    Fanal und Irrlicht: Am 2. April 1968 erlebt die Studentenbewegung in Deutschland eine Zäsur. Eine kleine Gruppe will es nicht beim friedlichen Protest belassen und erklärt "Gewalt gegen Sachen" zum legitimen Mittel des politischen Protests.
    Mit der Kaufhausbrandstiftung sei eine Grenze überschritten worden, sagt der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Wolfgang Kraushaar, aber: "Ich glaube, dass die Wurzeln für das, was sich dort als Gewaltabspaltung seitens der außerparlamentarischen Opposition, der 68er-Bewegung insgesamt, abgezeichnet hat, das war bereits zuvor im Gange gewesen."
    Der 2. April 1968 war ein Vorspiel für das, was später im Linksterrorismus der Rote-Armee-Fraktion münden sollte. Aber was war überhaupt passiert?
    Ensslin ruft an: "Gleich brennt es im Kaufhof und bei Schneider"
    In der Nacht zum dritten April 1968 ruft Gudrun Ensslin bei der Deutschen Presse-Agentur an und sagt in etwa folgende Sätze: "Gleich brennt es im Kaufhof und bei Schneider. Wenn Sie sich dafür interessieren, dann kann ich Ihnen sagen, dass das ein politischer Akt ist."
    Zuvor hatte die Germanistikstudentin und Mutter eines kleinen Sohnes gemeinsam mit ihren Freunden Andreas Baader, Horst Söhnlein und Thorwald Proll in zwei Kaufhäusern in Frankfurt am Main Brandsätze deponiert, benzingefüllte Plastikflaschen mit Gasanzündern und batteriebetriebenen Reiseweckern.
    In der Nacht brachen im Kaufhaus Schneider und im Kaufhof in der Einkaufsstraße Zeil mehrere Feuer aus, es brannten Spielwaren und Sportartikel, eine Umkleidekabine, ein Schrank.
    Verletzt wurde niemand, der Schaden belief sich auf einige hunderttausend Mark und wurde von der Versicherung bezahlt. Die Täter waren schnell gefasst, wie der Norddeutsche Rundfunk damals berichtete: "Schon zwei Tage später führte eine Anzeige zur Verhaftung von vier Verdächtigen."
    Gewaltfrage kam immer wieder auf
    Das waren zum einen Gudrun Ensslin und Andreas Baader, die später zu den Gründern und Rädelsführern der Rote-Armee-Fraktion gehören sollten. Horst Söhnlein und Thorwald Proll hingegen traten danach nicht mehr mit kriminellen oder terroristischen Taten in Erscheinung.
    Alle vier zählten sich zur Außerparlamentarischen Opposition. Ihr Motiv für die Brandstiftung: Protest gegen den Krieg in Vietnam, wo die USA gemeinsam mit Südvietnam gegen den kommunistisch regierten Norden des Landes kämpften.
    Für viele junge Menschen damals war Vietnam das Symbol für Ungerechtigkeit und die Unterdrückung der dritten Welt durch den Westen. Der Widerstand gegen den amerikanischen Feldzug in Vietnam einte die Studentenbewegung.
    Erst im Februar 1968 hatte an der Technischen Universität in Berlin der Internationale Vietnamkongress stattgefunden, veranstaltet und organisiert vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund SDS. Tausende Studenten und Delegierte aus 14 Ländern nahmen an der Konferenz teil. Die Redner kritisierten das amerikanische Vorgehen in Vietnam, den westlichen Imperialismus, die Ignoranz der bundesdeutschen Gesellschaft.
    Der Vietnamkongress und die große Abschlussdemonstration in Berlin gehören zu den wichtigen Wegmarken der deutschen Studentenbewegung.
    Einsatzkräfte sichten am 3. April 1968 den Schaden in der ausgebrannten vierten Etage des Frankfurter "Kaufhof". In der Nacht waren in zwei Kaufhäusern der Stadt Feuer ausgebrochen. Sprengpatronen am Tatort sowie ein Bekenneranruf in der Frankfurter Redaktion der dpa Deutschen Presse-Agentur legen den Verdacht politisch motivierter Anschläge nahe. Unter den Tätern sind, wie sich herausstellt, die späteren RAF-Mitglieder Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Die Tat und ihre Folgen werden als Wurzel des RAF-Terrors angesehen. | Verwendung weltweit
    Ein Kaufhaus zu treffen, sollte auf eine politische Ruhigstellung der Menschen durch Konsum aufmerksam machen, sagte Ensslin später (dpa)
    Einer der Wortführer war Rudi Dutschke: "Die sich von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr steigernde Aggression des US-Imperialismus in Vietnam materialisierte sich in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern, besonders bei uns. Um mit Oskar Negt zu sprechen, als abstrakte Gegenwart der Dritten Welt in den Metropolen, als geistige Produktivkraft im Bewusstwerdungsprozess über die Widersprüche der heutigen Welt."
    Dutschke und auch andere Akteure der Studentenrevolte hatten immer wieder die Gewaltfrage zur Diskussion gestellt. Ob also Gewalt gegen Sachen oder gar gegen Menschen angemessen sei, um die eigenen politischen Ziele durchzusetzen.
    Der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar, der als Chronist der Studentenbewegung gilt und auch ihre Radikalisierung erforscht hat, sieht das Gewaltmotiv bereits sehr früh:
    "Man kann das gut daran erkennen, dass jemand wie Rudi Dutschke bereits im Februar 1966 davon gesprochen hatte, dass man sich auch eine Stadtguerilla als Option überlegen müsse. Und das Zweite ist, dass Dutschke ein Referat gehalten hat, das sogenannte Organisationsreferat, auf der alljährlichen Delegiertenkonferenz des SDS im September 1967 dann, in der er die Versammelten aufgefordert hat, sich dafür zu entscheiden, Teil einer Sabotage- und Verweigerungsguerilla zu werden."
    "Subversive Aktion" und Kommune 1
    Mit diesem Vorschlag kam Dutschke im SDS zwar nicht durch, doch sei die Debatte ein Beleg dafür, dass über die Gewaltfrage und die Möglichkeit, Gewalt als Mittel des politischen Protests einzusetzen, schon vor 1968 diskutiert wurde:
    "Die Wurzeln für die Gewaltaffinität von einem bestimmten Teil in der 68er-Bewegung liegen in einer Gruppe namens Subversive Aktion, die ursprünglich aus München stammte, die von Dieter Kunzelmann gegründet worden war und in der allerdings mit Rudi Dutschke und Bernd Rabehl auch zwei Berliner Mitglieder waren."
    Der erwähnte Dieter Kunzelmann war Mitbegründer der Kommune 1, einer politisch motivierten Wohngemeinschaft in Berlin, die ein Gegenmodell zur bürgerlichen Kleinfamilie darstellen wollte und mit provokanten und sogenannten Spaßguerilla-Aktionen von sich reden machte.
    Wolfgang Kraushaar: "Ich glaube, dass das Motiv mit der Brandstiftung aus der Kommune 1 stammt."
    Brand in Brüsseler Kaufhaus mit über 300 Toten
    Die Vorgeschichte dazu: Im Mai 1967, also im Jahr zuvor, war in Brüssel im Kaufhaus "A l'Innovation" ein Feuer ausgebrochen, mehr als 300 Menschen starben. Die Brandursache wurde nie aufgeklärt. Doch hatte es in dem Kaufhaus zu dieser Zeit eine Ausstellung mit amerikanischen Produkten gegeben, weshalb nun spekuliert wurde, ob eine Brandstiftung vorliegen könnte – mit antiamerikanischem Motiv. Jedenfalls veröffentlichte die Kommune 1 wenige Tage später Flugblätter, in denen sie den Brüsseler Großbrand thematisierte:
    "Flugblatt Nr. 7 vom 24. Mai 1967. Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum ersten Mal in einer europäischen Großstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen."
    Wolfgang Kraushaar: "Und damit war das Gewaltmotiv sehr stark gesetzt. Man hat das verbunden mit dem Vietnamkrieg."
    "Flugblatt Nr. 8 vom 24. Mai 1967. Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh heraus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen: Sie zünden ein Kaufhaus an, dreihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben und Brüssel wird Hanoi. (…) Burn, warehouse, burn!"
    Zwei Kommunarden mussten sich wegen dieser Flugblätter vor Gericht verantworten, wurden aber im März 1968 freigesprochen.
    Außerparlamentarische Opposition
    Der Protest gegen den Vietnamkrieg, wie ihn etwa die amerikanische Band "Country Joe and the Fish" besang, war nur ein Thema der weltweiten 68er-Bewegung. Angefangen hatten die Proteste in Deutschland schon viele Monate zuvor mit der Kritik an verkrusteten Strukturen in den Universitäten, aber auch an den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik.
    Die Große Koalition mit Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger war vielen jungen Leuten ein Dorn im Auge. Sie protestierten etwa gegen die von dieser Regierung geplante Notstandsgesetzgebung und verstanden sich in dieser Rolle als Außerparlamentarische Opposition. Maßgeblich für ihre weitere Radikalisierung war ein Ereignis im Juni 1967:
    Reporter: "Die Straße sieht bereits aus wie ein Schlachtfeld. Zwischen der Polizei und den Demonstrierenden kam es bereits zu mehreren Handgreiflichkeiten…"
    Studenten demonstrieren am 5. Juni 1967 in München aus Anlass der Tötung von Benno Ohnesorg
    Der Tod Benno Ohnesorgs radikalisierte 1967 Teile der Studentenbewegung. Eine Gruppe benannte sich nach seinem Todestag "Bewegung 2. Juni". (dpa/AP/Helmut Lohmann)
    Am 2. Juni 1967 demonstrieren Studenten in Berlin gegen den Besuch des iranischen Staatsoberhauptes, Schah Reza Pahlavi. Die Demonstranten sehen in ihm einen Despoten, eine Marionette der USA, der sein eigenes Volk unterdrückt und nun in der Bundesrepublik hofiert wird.
    Reporter: "Das, meine Damen und Herren ist die Begrüßung der etwa 500 Studenten, die auf der gegenüberliegenden Seite des Einganges der Deutschen Oper Berlin hinter den Sperrgittern der Polizei stehen. Der Schah ist eben vorgefahren, sein Wagen wurde unter das Überdach der Oper gefahren, damit ihn die Eier und die Tomaten, die hier geworfen werden, nicht erreichen."
    Während der Schah in der Deutschen Oper der Zauberflöte lauscht, eskaliert draußen die Situation. Die Polizei drängt die Demonstranten auseinander, die in umliegende Straßen ausweichen. Unter ihnen ist auch der Student Benno Ohnesorg, der an diesem Abend in einer Nebenstraße der Deutschen Oper erschossen wird. Die Kugel, die seinen Kopf durchbohrt, hat Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras abgefeuert, der sich dafür zwar vor Gericht verantworten musste, aber freigesprochen wurde.
    Ohnesorgs Tod: Erweckungserlebnis von Linksterroristen
    Die Ereignisse am 2. Juni 1967 wurden zu einem Gründungsmythos der Studentenbewegung – wenn auch erst im Nachhinein. Viele spätere Linksterroristen bezeichneten Ohnesorgs Tod als Erweckungserlebnis und Wendepunkt für ihre Radikalisierung; einige schlossen sich in der Terrorgruppe "Bewegung 2. Juni" zusammen.
    Manch ein Anhänger der Studentenbewegung sah in dem erschossenen Demonstranten einen Märtyrer – und in seinem Tod den Beleg dafür, dass die Bundesrepublik ein mörderisches System ist, dem man nicht vertrauen kann.
    Dieses Misstrauen in Staat und Gesellschaft sei ein typisches Merkmal für die gesamte 68er-Generation gewesen, sagt der Soziologie Heinz Bude:
    "Der allgemeine Eindruck bei den Heranwachsenden war, dass das eigentlich eine Gesellschaft des doppelten Bodens ist."
    Das kollektive Trauma der 1938 bis 1948 Geborenen
    Bude lehrt an der Universität Kassel Soziologie, immer wieder hat er sich mit den charakteristischen Eigenschaften und politischen Einstellungen bestimmter Generationen in der Bundesrepublik beschäftigt, mit der Flakhelfer-Generation etwa oder mit der sogenannten Generation Berlin. Auch die Herkunftsgeschichte der 68er, die damals freilich noch niemand so nannte, hat Bude erforscht.
    Er fasst in dieser Alterskohorte die Jahrgänge 1938 bis '48 zusammen und beschreibt, welche Erlebnisse für diese Generation prägend und identitätsstiftend waren: die Kindheit im Krieg, die Zerstörung der Städte, die Bombennächte, die abwesenden Väter und das Aufwachsen in den Trümmern der Nachkriegszeit.
    In vielen Gesprächen mit Achtundsechzigern sei ihm immer klarer geworden, "dass das eigentlich der Kern, wenn Sie so wollen, der Lebensfonds dieser Generation ist. Aus dieser Situation herauszukommen, wo man erlebt, dass die Verhaltensheimat, die man eigentlich in der frühen Kindheit braucht, einem vor den Augen zerstört wird."
    "Wir werden jetzt die Lüge dieser Gesellschaft platzen lassen"
    In den 50er- und 60er-Jahren fanden sich die ehemaligen Kriegskinder in einer Gesellschaft wieder, die so tat, als sei nichts geschehen: Sie erlebten den Wiederaufbau, die Kontinuität der Karrieren ehemaliger Nazi-Größen, das Wirtschaftswunder, das Verschweigen und Verdrängen der NS-Verbrechen.
    All das empfanden die 68er als große Lüge, sagt Bude: "Und das ist, glaube ich, der Kern, der diese Generation ausmacht, der dann zu etwas ganz Wahnsinnigem führt. Nämlich dass sie dann der Meinung waren: Wir werden jetzt die Lüge dieser Gesellschaft platzen lassen. Das heißt, wir werden etwas tun, was niemand erwartet hat, wir werden nämlich sagen, dass alles scheiße ist."
    Und dazu habe eben auch die Bereitschaft zur Gewalt gehört. Auch wenn es letztlich nur wenige Akteure der 68er waren, die ihre Ideen in die Tat umsetzten:
    "Ich glaube, dass den Achtundsechzigern als Generation insgesamt von Anfang an klar war, um es mal in der Sprache der Zeit zu sagen, dass Vergesellschaftung immer auch die Einführung eines Regimes von Gewalt ist. Oder wie es der Theodor W. Adorno, der große Fürsprecher und Dolmetscher dieser Generation, gesagt hat, die Gesellschaft ist ein Verblendungszusammenhang. Und um diese Verblendungen zu durchstechen, muss man unter Umständen etwas sehr Radikales tun."
    Die früheren RAF-Mitglieder Andreas Baader neben Gudrun Ensslin vor der Urteilsverkündung im Frankfurter Kaufhausbrandstifter-Prozess am 31.10.1968
    Andreas Baader und Gudrun Ensslin im Oktober 1968 vor der Urteilsverkündung im Frankfurter Kaufhausbrandstifter-Prozess (dpa - Manfred Rehm)
    Die Gesellschaft aufrütteln mit einer radikalen Aktion – so erklärten auch die Frankfurter Kaufhausbrandstifter ihre Tat. Die Pfarrerstochter und spätere RAF-Ikone Gudrun Ensslin war überzeugt davon, dass die junge Bundesrepublik schon wieder auf dem Weg in den Faschismus war. Und dass es der Konsum sei, der die Gesellschaft ruhigstellen soll:
    "Die Leute in unserem Land und in Amerika und jedem westeuropäischen Land: Die müssen fressen, um nicht auf die Idee zu kommen und nachzudenken, dass und was wir zum Beispiel mit Vietnam zu tun haben. Und ich kann nicht glauben, dass der Tag irgendwann mal ausbleibt, dass die Leute es irgendwann mal satthaben, nur satt zu sein. Dass sie den Selbstbetrug satthaben. Mir gefallen auch alle Sachen, die man in Kaufhäusern kaufen kann, aber wenn man sie kaufen muss, damit man nicht zu Bewusstsein kommt, dann ist der Preis, den man dafür zahlt, zu hoch."
    Im Oktober 1968 begann vor dem Frankfurter Landgericht der Prozess gegen die vier Kaufhausbrandstifter. Zu den Verteidigern gehörten der spätere SPD-Innenminister Otto Schily und Horst Mahler, ein Mann, der sich im Lauf seines Lebens vom linken zum ganz rechten Rand bewegte und unter anderem wegen Volksverhetzung verurteilt wurde.
    "Höchstmaß an Selbstinszenierung" im Prozess
    Der Kaufhaubrandstifter-Prozess in Frankfurt verlief turbulent – auch wegen des provokanten Auftretens der vier Angeklagten. Es gibt Fotos, auf denen zu sehen ist, wie sie lachend auf der Anklagebank sitzen, teilweise mit dicken Zigarren im Mund. Andreas Baader trägt eine Sonnenbrille, die Hand hat er Gudrun Ensslin auf die Schulter gelegt. Die beiden sind ein Paar. Mit jeder Geste zeigen sie, dass sie ihre Gewalttat für richtig und notwendig halten. Wolfgang Kraushaar:
    "Von Anfang an ist das ein Höchstmaß an Selbstinszenierung gewesen. Weil man wusste, dass da die Presse stark vertreten war und dass die öffentliche Resonanz dieses Prozesses ganz ernorm sein würde. Eine andere Sache sollte man vielleicht noch in Erinnerung rufen, als nämlich die Urteile verkündet wurden, ist Daniel Cohn-Bendit aus dem Zuschauerraum aufgestanden und hat gerufen: Die gehören zu uns. Also um deutlich zu machen, dass das keine Abspaltung der 68er war. Dass sie dennoch zur 68er-Bewegung und zur Apo zählen würden."
    Die Brandstifter gehörten zur 68er-Bewegung: So sieht es auch der Soziologie-Professor Heinz Bude: "Und ich glaube, dass man sagen muss, dass die Rote-Armee-Fraktion, dass der Linksterrorismus ein wesentlicher Bestandteil von 1968 ist."
    Drei Jahre Haft für jeden der vier Brandstifter
    Gudrun Ensslin, Andreas Baader und die beiden anderen Angeklagten wurden am 31. Oktober 1968 zu jeweils drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Strafe wurde von vielen Kommentatoren als außergewöhnlich hart wahrgenommen.
    Die Anwälte legten Revision ein und die Haft wurde zunächst ausgesetzt. Als die Revision aber verworfen und das Urteil rechtskräftig wurde, tauchten Andreas Baader und Gudrun Ensslin unter, zunächst in Paris, dann in West-Berlin. Dort wurde Baader 1970 von der Polizei gefasst und inhaftiert.
    Seine gewaltsame Befreiung aus der Haft, an der die Journalistin Ulrike Meinhof beteiligt war, gilt als Geburtsstunde der RAF.