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Mein Klassiker
Das schwarze Gewissen Amerikas

Mit seinem eindringlichen Querflötenspiel prägte Ian Anderson den Sound seiner Rockband Jethro Tull. Er selbst ließ sich von klassischer Musik inspirieren und vom Blues der schwarzen Bevölkerung Nordamerikas. Sein "Klassiker" ist ein Konzert von J.B. Lenoir, der schon in den 1950er-Jahren die Diskriminierung der Schwarzen im Süden der USA anprangerte.

Von Uli Kniep | 15.11.2016
    Ein Mann trägt schwarzes Kopftuch und spielt auf einer grün beleuchteten Bühne Querflöte. Er steht neben einem Gitarristen und wirft das rechte Bein beim Spielen in die Höhe.
    Ian Anderson: Gründer und Querflötist der britischen Band Jethro Tull (EPA / Keystone / Laurent Gillieron)
    Es wäre einfach zu sagen, dass das Beatles Konzert in Blackpool, das ich mit 14 Jahren sah, mein Klassiker war. Oder der Auftritt der Rolling Stones nur wenige Monate später, oder die "High Numbers", die später zu "The Who" wurden. Aber tatsächlich war es der amerikanische Musiker J. B. Lenoir, der längst nicht so bekannt ist.
    Er hat mich beeindruckt, denn er war so etwas wie das schwarze Gewissen Amerikas. Das war zu der Zeit recht ungewöhnlich. Nur wenige Schwarze behandelten kritisch die Probleme einer weißen Gesellschaft. Er aber sang über Rassenpolitik und Kriege wie den in Vietnam, aber er tat das nicht in Form eines Klagelieds. Er tat es vielmehr auf eine sehr respektvolle und angenehme Art und Weise. Er hatte eine wunderbare Stimme und spielte die akustische Gitarre auf eine einfache Art und Weise.
    Ich sah in der Free Trade Hall in Manchester und erfuhr erst später, dass es mein Freund, der verstorbene Konzertveranstalter Fritz Rau und sein Partner Horst Lippmann, es waren, J. B. Lenoir nach England geholt hatten! Sie waren die treibende Kraft, die all diese schwarzen Blues und Jazzmusiker nach Europa einluden. So beeinflussten sie eine ganze Generation von weißen jungen Leuten aus der englischen Mittelklasse. All diese Gitarristen wie Jimmy Page und Jeff Beck kamen zu diesen Blues Shows. Es war eine Art Pilgerfahrt, um die schwarzen Originale zu sehen, deren Musik in unsere Herzen und Köpfe stieg.
    Das war eine bedeutsame Zeit. Wir waren bewegt von dieser anderen Kultur, einer anderen Rasse. Das öffnete unsere Augen, wir wurden wir sensibilisiert, für das was außerhalb unserer kleinen Insel in anderen Teilen der Welt passierte, und wovor wir manchmal unsere Augen verschließen. Das Konzert war also das Tor zu einer anderen musikalischen Welt, durch das wir gingen. Das bewegte mich mehr als die Beatles, die eine gut gelaunte fröhliche Popgruppe aber vergleichsweise harmlos waren.