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Frankreichs Muslime in der Mittel- und Oberschicht
Die "Beurgeoisie" erhebt ihre Stimme

In Frankreich steht der Begriff "beur" für Araber. Mittlerweile ist dort auch von einer "Beur-geoisie" die Rede: Gemeint sind die Kinder nordafrikanischer Einwanderer, die es in die Mitte oder sogar an die Spitze der Gesellschaft geschafft haben. Dennoch ringen diese um ihre Identität.

Von Suzanne Krause | 13.11.2016
    Vor dem islamischen Halbmond und Stern weht die französische Flagge.
    Eine französische Fahne weht über der Großen Moschee von Paris (AFP/Patrick Kovarik)
    "Beur: Jugendlicher maghrebinischer Abstammung, in Frankreich in einer Einwandererfamilie geboren."
    So steht es im Larousse, dem französischen Pendant zum Duden.
    Als sogenannter "kleiner Beur" trat Rachid Ferrache schon 1986 in einer sehr beliebten Unterhaltungssendung im französischen Fernsehen auf. Damals war Rachid 16 Jahre alt, hatte in einigen Filmen mitgespielt und startete gerade eine Musiker-Karriere. Zu französischen Schnulzenklängen versicherte der Teenager: Er sei ein "kleiner Beur" – vor dem sich aber niemand zu fürchten brauche.
    Ausdruck einer neuen Identität
    Der Begriff "Beur" kam in Frankreich Anfang der 1980er-Jahre auf, als erstmals nordafrikanische Einwandererkinder in den Trabantensiedlungen rund um Lyon Randale machten. Weil die restliche Bevölkerung sie in geringschätzigem Ton als "Arabe" – also als Araber - bezeichnete. Die Jugendlichen drehten den Spieß, respektive das Wort, um. Aus "Arabe" wurde "Beur": Ausdruck einer neuen Identität.
    Und aus einigen der damaligen "Beurs" sind mittlerweile Vertreter der sogenannten "Beurgeoisie" geworden. In einem Dokumentarfilm definieren junge Franzosen maghrebinischer Abstammung, was "Beurgeoisie" für sie bedeutet.
    "Ein 'Beur', der satt wird." – "Die Kinder maghrebinischer Einwanderer, die nun begütert sind. Die aus der Trabantensiedlung in die schicken Pariser Viertel umgezogen sind. Und BMW-Cabrio fahren." – "Beurgeoisie steht dafür, dass die weißen Franzosen nun auch endlich unseren sozialen Aufstieg mitbekommen."
    Das scheint bitter nötig zu sein. Denn im aktuellen Wahlkampf in Frankreich um das höchste Amt im Staat geht es auch um 'Identität'. Die Vorfahren der Franzosen seien Gallier gewesen und wer Franzose sei, müsse dies anerkennen, erklärte kürzlich Nicolas Sarkozy. Der konservative Ex-Staatspräsident will noch einmal in dieses Amt und buhlt gerade mit anderen in seiner Partei um die Kandidatur.
    Wer Franzose sein will, darf die Gallier, die keltischen Vorfahren, nicht vergessen: Solche Töne gehen zulasten der Muslime in Frankreich. Wie viele das tatsächlich sind, ist nicht präzise zu sagen, weil religiöse und ethnische Statistiken in Frankreich verboten sind. Doch Schätzungen zufolge lebt in Frankreich, aufgrund seiner Kolonialgeschichte, die europaweit größte muslimische Gemeinde. Ihr Ansehen in der Öffentlichkeit ist allerdings negativ geprägt – nicht nur im Wahlkampf, bestätigt Jérôme Fourquet vom renommierten Pariser Meinungsforschungsinstitut IFOP.
    Viele stereotypische Vorstellungen
    "Es gibt diese stereotypischen Vorstellungen über Muslime in Frankreich: der arbeitslose, rebellische Jugendliche in der Banlieue oder nun auch die Frau, die sich verschleiert. Zum Klischee zählen gleichfalls der Rap-Sänger und der Sportler, insbesondere der Fußballer."
    Gewachsen ist die Palette der Stereotypen mittlerweile um den religiös motivierten Terroristen. Diese Entwicklung war kaum absehbar, als Sonia Kichah 2010 ihre Fernsehdokumentation drehte. Die junge Filmemacherin, selbst Franko-Algerierin, nannte ihr Werk: "Reise in die Beurgeoisie" – als handele es sich um einen Ausflug in eine Welt, die vielen Franzosen unbekannt ist.
    "Mit diesem Dokumentarfilm wollte ich etwas zeigen, was im französischen Fernsehen nur selten zu sehen ist: Franzosen maghrebinischer Abstammung, die beruflich erfolgreich sind. Ärzte, Anwälte, Professoren. Die sich bestens in die französische Gesellschaft integriert haben. Sie sind Franzosen und sie fühlen sich als Franzosen."
    "L'Arabe du coin" – der Tante-Emma-Laden nordafrikanischer Einwanderer, bis spät nachts geöffnet, ist aus dem französischen Alltag nicht mehr wegzudenken, ebenso wenig wie nordafrikanische Cous-Cous-Gerichte in den Kantinen. Der Franko-Tunesier Jules Ouaki brachte es mit seiner hippen Billigklamottenkette Tati zum Millionär. Bedienstete im Gesundheitssystem haben heute oft arabische Namen. Viele Nachfahren nordafrikanischer Einwanderer arbeiten in Banken, als Führungskräfte in Firmen und Behörden. Sie sind Dozenten, Forscher oder auch Medienschaffende. Kürzlich erhielt die Franko-Marokkanerin Leila Slimani den Prix Goncourt – den wichtigsten französischen Literaturpreis.
    Claudine Attias-Donfut ist Soziologin und hat den Werdegang von Einwanderern jahrzehntelang verfolgt.
    "Dieser soziale Aufstieg ist ein weit verbreitetes Phänomen. Kein Wunder – genau deshalb sind die Einwanderer ja hergekommen."
    Erfolgsgeschichten gehören mittlerweile zum Alltag
    Im Dokumentarfilm "Reise in die Beurgeoisie" kommt auch Madjid Hadj-Larbi zu Wort. Der Mittvierziger hat eine gute Stellung bei der Postbank. Und geht ehrenamtlich in Schulen in der Banlieue. Um den sozial benachteiligten Jugendlichen zu vermitteln, dass auch sie nach den Sternen greifen können.
    "Mein Vater war Arbeiter, meine Mutter verdiente als Tagesmutter dazu. Dass mein Bruder heute in der Finanzwelt tätig ist und ihnen eine schöne Wohnung gekauft hat – damit hätten sie früher wohl nie gerechnet. Und so etwas macht stolz."
    Solche Erfolgsgeschichten gehören heute zum Alltag in Frankreich. Ziemlich lautlos sind die Vertreter der "Beurgeoisie" vom Rand in die Mitte der Gesellschaft gewandert. Einige Vertreter sogar an deren Spitze.
    Ausgerechnet Nicolas Sarkozy, der im laufenden Wahlkampf nun die gallischen Wurzeln Frankreichs hervorhebt, setzte im Mai 2007 ein politisches Zeichen. Damals als Staatspräsident ernannte er Rachida Dati zur Justizministerin. Datis Vater, ein Maurer, stammt aus Marokko. Der Sozialist und heutige französische Präsident François Hollande machte einst die Franko-Marokkanerin und Bauarbeiter-Tochter Najat Vallaud-Belkacem zur Wahlkampfsprecherin. Inzwischen ist sie Bildungsministerin.
    Die "Beurgeoisie" gibt sich im Allgemeinen diskret. Um nicht anzuecken. Doch der soziale Aufstieg der Franzosen mit maghrebinischen Wurzeln schlägt sich auch in der Statistik nieder, erklärt Jérôme Fourquet vom Meinungsforschungsinstitut IFOP.
    Vorbehalte sind immer präsent
    "27 Prozent der Franzosen gehören zur Oberschicht - jeder Vierte. Das sind Unternehmer, Führungskräfte, Selbstständige. Bei den französischen Muslimen sind es 16 Prozent, die zur Oberschicht gezählt werden. Das ist immerhin jeder siebte Muslim in Frankreich. Es gibt allerdings noch eine andere Kategorie unter den Nachfahren maghrebinischer Einwanderer. Menschen, die zur Religion auf Distanz gegangen sind. Die Vertreter dieser Kategorie definieren sich selbst nicht als muslimisch, weil ein Elternteil kein Muslim ist oder weil die Person selbst mit einem Nicht-Muslim liiert ist. Diese Gruppe ist zwar nicht sehr groß. Aber hier gibt es einen hohen Anteil an Führungskräften, Selbstständigen und Unternehmenschefs: insgesamt 33 Prozent. Und somit sechs Punkte mehr als bei der Gesamtbevölkerung. Aber diese Leute bleiben im öffentlichen Raum ziemlich unsichtbar."
    Zwei Schülerinnen am Alfred Nobel Gymnasium im Pariser Vorort Clichy Sous Bois. 2009. Zwei Silhouetten vor einem hohen Zaun, im Hintergrund ein runtergekommener Plattenbau.
    „Es gibt diese stereotypischen Vorstellungen über Muslime in Frankreich", sagt Jérôme Fourquet vom Meinungsforschungsinstitut IFOP. (imago /ecomedia / Robert Fishman)
    Vor sechs Jahren, bei der Premiere, fand ihre Beurgeoisie-Dokumentation ein sehr positives Echo, erinnert sich Filmemacherin Kichah.
    "Beim Dreh verspürte ich bei den Protagonisten meines Films ein gewisses Leid. Auch wenn man Karriere gemacht hat, sehr gut verdient, sich bestens integriert hat – es ist sehr schmerzhaft für die muslimischen Franzosen, zu spüren, wie manch anderer Franzose auf sie blickt."
    An schräge Blicke auf der Straße oder bei der Arbeit kann Rabah Sahnoune sich eigentlich nicht erinnern. Der 38-Jährige Franko-Algerier arbeitet als Dental-Chirurg in Gretz, einer Kleinstadt 30 Kilometer östlich von Paris. In der schicken Zahnarzt-Praxis eines Franko-Marokkaners.
    Den Eindruck, in Frankreich ein Fremder zu sein, habe er allerdings jedes Mal, wenn er den Fernseher einschalte, sagt Rabah Sahnoune.
    "Im Fernsehen ist seit drei Jahren die Rede davon, dass manche Leute das Sozialversicherungssystem schamlos ausnutzen. Da werden immer Araber gezeigt. Als ob alle Araber Sozialschmarotzer wären. Doch schwarze Schafe gibt es auch unter denen, die keine Araber sind. Ich bin selbst Arzt, ich weiß also, wer die Krankenkasse belügt und wer nicht."
    Angespannte Stimmung nach terroristischen Anschlägen
    In Frankreich, das wirtschaftlich nicht recht voran kommt und unter starken sozialen Spannungen leidet, deklinieren Medien und Politik die Sozialprobleme oftmals am Beispiel der Einwanderergenerationen durch. Immer wieder würden Bürger nordafrikanischer Abstammung zum Sündenbock gemacht, beobachtet der algerisch-stämmige Mediziner Sahnoune.
    "Da klingt unterschwellig etwas an wie: Die Einwanderer zeigen sich nicht dankbar genug. Sie würdigen es zu wenig, in Frankreich leben zu dürfen. Da macht sich eine Stimmung breit und das hat schon vor den terroristischen Anschlägen im Januar 2015 begonnen. Und alle Attentate seither haben das Ganze noch verschärft."
    Die aktuelle Stimmung lässt Karim Amellal in seinem kürzlich erschienenen zweiten Roman greifbar werden. Amellals Vater stammt aus Algerien, er selbst ist in Paris geboren und aufgewachsen. Der 38-Jährige ist Dozent für 'Multikulturelles und Diskriminierung' an der Elite-Politikhochschule Sciences Po.
    Sein neuer Roman fand viel Beachtung. 'Bleu, Blanc, Noir' heiß das Werk – Blau, Weiß, Schwarz. Eine Referenz an die französischen Nationalfarben Blau, Weiß, Rot. Der Roman spielt durch, was passieren könnte, wenn Marine Le Pen, die Chefin des rechtsextremen Front National, bei der kommenden Präsidentschaftswahl gewinnt. Romanheld ist ein erfolgreicher junger Banker – französischer Pass, nordafrikanische Abstammung – also ein Angehöriger der "Beurgeoisie".
    "Bei meiner Hauptfigur handelt es sich um einen normalen Bürger, um einen ganz gewöhnlichen Franzosen. Er stellt sich keine Fragen, was seine Herkunft, seine Identität oder seine Religion betrifft. Er träumt vom Erfolg im Job und in der Liebe, also von einem ganz normalen Leben. Doch angesichts des Präsidentschaftswahlkampfs, bei dem zunehmend ekelerregende Töne angeschlagen werden, beginnt er sich zu fragen, wer er eigentlich ist."
    In der Wirklichkeit erlebten viele seiner Freunde und Bekannten ausländischer Abstammung heute ähnliches, sagt der Schriftsteller Karim Amellal.
    "Dass mein Protagonist seine Identität in Frage stellt – das resultiert aus den politischen Diskussionen und Polemiken, die heute schon Realität sind. Täglich wird auf uns eingedroschen mit Schlagworten wie Identität, Islam, gallische Vorfahren. Angesichts all dessen, was ihm an den Kopf geworfen wird, spürt der Erzähler im Roman nach und nach, dass er doch kein ganz normaler Franzose ist."
    In 'Bleu, Blanc, Noir' ordnet die rechtsextreme Staatschefin Le Pen an, die banlieues, die Sozialbau-Ghettos am Stadtrand, systematisch abzuschotten. Gleichzeitig werden alle Bürger ausspioniert, wer nicht linientreu erscheint, wird überwacht. Insgeheim plant die Regierung, dass jeder Vorstadtbewohner mit außereuropäischen Wurzeln in französische Übersee-Territorien verbannt werden solle. Es ist ein Roman - Fiktion also. Und doch ein Buch, das für Aufmerksamkeit sorgte, weil es die Ängste einer breiten Bevölkerungsschicht spiegelt.
    Und, weil der Autor die Résistance erwachen lässt – an vorderster Widerstandsfront im Roman stehen junge Bewohner der Trabantensiedlungen. Die "Beurs" am Rand der Gesellschaft. Im Buch werben Jugendfreunde, die aus der Banlieue nicht herausgekommen sind, den Erzähler als Résistance-Mitstreiter an.
    "Beurs" und "Beurgeoisie" praktizieren einen Schulterschluss – und erweisen sich in 'Bleu, Blanc, Noir' als Retter der Gesellschaft. Sie sind es, die für die republikanischen Werte kämpfen, für die französischen Ideale. Das ist Amellals Botschaft.
    Zuspruch für Front National wächst
    Stoff für sein Werk habe er zuhauf gefunden, sagt der Autor. Er zitiert einen Artikel der Zeitung 'Le Monde', der festhält, dass seit den Wahlerfolgen des Front National auf lokaler und regionaler Ebene die Partei Le Pens in allen Sektoren der Gesellschaft mehr Zuspruch erfahre – bis hin zur Elite im Staatsdienst.
    "Wissen Sie, es ist bald zwanzig Jahre her, dass Jean-Marie Le Pen das Schlagwort von der 'Lepenisierung' des Geistes prägte. Und heute findet sich das Gedankengut von Le Pen bei vielen im Geiste, im Bewusstsein wieder."
    Dazu zählt für den Franko-Algerier auch, was der sozialistische Staatspräsident Hollande gleich nach den Attentaten vom November 2015 prüfen ließ: eine mögliche Aberkennung der Staatsbürgerschaft für verurteilte Terroristen. Da niemand staatenlos sein darf, hätte dies nur für Franzosen mit doppelter Staatsangehörigkeit gegolten. Hollande scheiterte mit seinem Projekt, aber dass er diese Idee der äußersten Rechten überhaupt aufgegriffen hat, empört Karim Amellal. Da habe er sich erstmals in seinem Leben in seiner Heimat Frankreich fremd gefühlt.
    "Bei dieser Idee handelt es sich um eine Art nationaler Präferenz. Ein Herzensthema der Rechtsextremen. Denen geht es seit jeher darum, Ur-Franzosen besser zu stellen als Bürger außereuropäischer Abstammung. Hollandes Vorschlag war wie ein Donnerschlag. Eine Wegmarke bei der Banalisierung des Populismus in Frankreich."
    Auch Rabah Sahnoune, der Dental-Chirurg, stellt sich mehr und mehr die Frage nach seiner Zukunft in Frankreich – wo ein Großteil seiner Familie lebt.
    "In meiner Familie wächst die Angst. Selbst wenn wir versuchen, es nicht zu zeigen. Ich werde Frankreich vielleicht verlassen, wenn es so weitergeht mit dem politischen Rechtsruck. Ich habe schon die Fühler ausgestreckt, um eventuell nach Kanada auszuwandern. Denn die Kanadier empfinden die Einwanderung mehr als Bereicherung denn als Problem."
    Abwanderung, Widerspruch oder Loyalität?
    Albert Hirschman, ein US-amerikanischer Ökonom deutscher Abstammung, entwickelte 1970 ein Modell zu den drei möglichen Reaktionsweisen unzufriedener Käufer. Die Möglichkeiten heißen: 'Exit, Voice, Loyalty', zu Deutsch etwa: Abwanderung, Widerspruch oder Loyalität. Dieses Modell, sagt Meinungsforscher Jérôme Fourquet, lasse sich auf die gesellschaftliche Ebene übertragen. Es könne erklären, wie Randgruppen auf steigenden politischen oder sozialen Druck reagieren.
    Der Franko-Algerier Sahnoune etwa denkt an Auswanderung – also an 'Exit'. Andere wollen ihren Protest mittels Vorort-Krawallen zu Gehör bringen – das ist die Option 'Voice'. Die große Mehrheit jedoch setzt auf 'Loyalty'. In diesem Falle: Assimilierung. Wegducken.
    Seit Kurzem allerdings beobachtet Jérôme Fourquet vom Meinungsforschungsinstitut IFOP eine neue Entwicklung – eine Art vierten Weg.
    "Die Attentate führten dazu, dass die Eliten mit nordafrikanischen Wurzeln teilweise begriffen haben, dass sie nicht länger schweigen können. Dass sie nun das Wort ergreifen müssen. Für viele Maghrebiner in Frankreich war das bislang kein Thema, sie hatten genug mit ihrer Karriere zu tun, mit der Erziehung ihrer Kinder. Nun aber wird ihnen klar, dass sie sich einbringen müssen. Denn sonst sorgen Medien, Politik und auch eine gewisse Realität dafür, dass nur die radikalsten Stimmen zu hören sind."
    Seit den Attentaten im Januar 2015 erschienen in französischen Zeitungen etwa Aufrufe von Anwälten, Unternehmern, Ärzten, Professoren, allesamt nordafrikanischer Abstammung. Appelle für ein friedliches gesellschaftliches Miteinander. Für eine Republik-kompatible Auslegung des Islams.
    In gewissem Sinne ist das das Coming-Out der "Beurgeoisie". Dass mit ihr künftig zu rechnen ist – das habe sogar der Front National begriffen, sagt Jérôme Fourquet.
    Umfragen zufolge stimmen rund 13 Prozent der französischen Juden für Marine Le Pen
    Marine Le Pen, Vorsitzende des Front National. (Jeremy Lempin / picture alliance / dpa)
    "Der Aufstieg des Front National begann in den 1980er-Jahren, da waren die Einwanderer aus Nordafrika noch nicht lange im Land. Ein damaliger Slogan der rechtsextremen Partei lautete: 'Wenn wir kommen, werden sie gehen.' Jeder hatte verstanden, wer mit 'wir' und 'sie' gemeint war. Heute hat der Front National diesen Slogan aufgegeben. Nun tönt die Partei bei jeder Gelegenheit: 'Wir sind hier zuhause!'. Das bedeutet: der Gedanke ist verankert, dass die Einwanderer hier Wurzeln geschlagen haben. Jetzt allerdings tobt die Schlacht um die Frage, wer seine kulturellen Normen durchsetzen kann."
    Für Romanautor Karim Amellal hingegen ist dies kein Thema.
    "Ich habe die doppelte Staatsangehörigkeit. Meine Mutter ist Französin und mein Vater Algerier. Ich bin stolz darauf. Und ich bin mir mehr als bewusst, dass diese doppelte Abstammung eine Bereicherung darstellt, für mich - und für die Gesellschaft. Ich bin kein Gallier. Sondern Franzose."