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Verfassungsschutzbericht
Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten deutlich gestiegen

Rechtsextremisten haben im vergangenen Jahr so viele Gewalttaten verübt wie seit sechs Jahren nicht mehr. Als besorgniserregend wird im Verfassungsschutzbericht besonders der Anstieg fremdenfeindlicher Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte bewertet. Dennoch sei der islamistische Terrorismus die größere Bedrohung.

Von Gudula Geuther | 30.06.2015
    Blick auf den ausgebrannten Dachstuhl der zukünftigen Unterkunft für Asylbewerber in Tröglitz
    Blick auf den ausgebrannten Dachstuhl der zukünftigen Unterkunft für Asylbewerber in Tröglitz. (dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt)
    Jeder Flüchtling, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière, habe Anspruch auf ein ungefährdetes Leben in Deutschland. Es gibt gute Gründe, warum der CDU-Politiker scheinbare Selbstverständlichkeiten ausspricht: Schon jetzt, Ende Juni, hat es annähernd so viele Angriffe auf Asylbewerberheime gegeben wie im gesamten vergangenen Jahr - 150 gegenüber 170. Zum Vergleich: 2013 gab es 55 Angriffe binnen eines Jahres. Nicht alle diese Taten werden als rechtsextremistisch in der Statistik geführt - Beispiel Versicherungsbetrug -, aber doch der ganz große Teil.
    Die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten insgesamt ist im vergangenen Jahr um 24 Prozent gestiegen. Solche Übergriffe, so stellte de Maizière fest, seien geeignet, in den betroffenen Kommunen ein Klima der Angst zu schaffen. Er bezog sich auf Tröglitz in Sachsen-Anhalt und auf die Entwicklung allgemein:
    "Bedrohungen von Bürgermeistern und Ehrenamtlichen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, dürfen wir nicht hinnehmen. Hier müssen wir gemeinsam klare Kante zeigen. Das hat nichts mit Sorgen zu tun, die es natürlich gibt. Es darf kein stilles Verständnis und erst recht kein stilles Einverständnis geben im Blick auf die Anwendung von Gewalt auf Asylbewerber oder Flüchtlingsunterkünfte."
    Mehr als 500 fremdenfeindliche Gewalttaten
    Als besonders besorgniserregend bezeichnete de Maizière 512 fremdenfeindliche Gewalttaten. Jeder zweite Rechtsextremist werde inzwischen als gewaltorientiert eingeschätzt.
    "Zunächst ist eine entschlossene Antwort der Sicherheitsbehörden und des Staates richtig und wichtig - auch als Zeichen in die Gesellschaft hinein. Allerdings reicht das nicht aus. Und deswegen ist es auch richtig und wichtig, dass dann in vielen Städten auch die Zivilgesellschaft sagt: Das wollen wir nicht."
    Die Zahl linksextremistischer Gewalttaten ist dagegen leicht gesunken, auf knapp unter 1.000, zahlenmäßig etwa das Niveau der rechtsextremistischen. De Maizière verwies auf die Ausschreitungen bei der Eröffnung der EZB in Frankfurt und auf Entwicklungen in Leipzig, wo eine neu eröffnete Polizeiwache seit dem Frühjahr 16 Mal angegriffen worden sei. Rechtsextremisten wie Linksextremisten, betonte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen, bemühten sich um sogenannte Anschlussfähigkeit, darum also, die Sorgen einer breiteren Öffentlichkeit aufzugreifen.
    Gefährdung durch IS-Terrormiliz
    Gleichwohl - die größte Gefahr droht nach wie vor von islamistischen Gewalttätern, so Hans-Georg Maaßen. Im Bericht heißt es, mit dem Vorrücken des sogenannten Islamischen Staates wüchsen die Gefahren für Europa massiv. Die militärischen Erfolge des IS sorgten für eine euphorische Stimmung bei Dschihadisten in Europa.
    Die Autoren - der Verfassungsschutz, redigiert durch das Innenministerium - zeigen sich besorgt, sollte sich der IS auf längere Sicht in einem größeren Gebiet etablieren können. Mehr noch als zuvor in Afghanistan gäbe es dann ein Rückzugs- und Ausbildungsgebiet auch für einen, wie es heißt, "transnationalen Dschihad". Verfassungsschutzpräsident Maaßen sagte mit Blick auf die Anschläge vom Freitag in Tunesien und Frankreich:
    "Es ist nicht auszuschließen, dass auch Deutschland Ziel von Anschlägen sein kann. Die hohe Zahl der Syrien-Reisenden und auch die Zahl der Rückreisenden ist für uns ein Indikator, der uns Sorgen bereitet. Aber wir müssen auch schauen auf die Hiergebliebenen."
    In diesem Zusammenhang beobachte man auch die steigende Zahl der Salafisten. 2011 gingen die Behörden von 3.800 aus, heute von 7.500. Die Gesellschaft, sagte Maaßen, habe die Radikalisierung noch nicht im Griff.