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Vergabe der WM 2006
"Für Stimmenkauf gibt es keine Belege"

Der ehemalige Innenminister Otto Schily hat im Deutschlandfunk den Verdacht zurückgewiesen, die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 sei gekauft worden. Es gebe keine Belege für einen Stimmenkauf bei der Vergabe an Deutschland, sagte Schily.

Otto Schily im Gespräch mit Martin Zagatta | 05.03.2016
    Der frühere Innenminister Otto Schily (SPD) auf dem Weg zur Verleihung des Henry-Kissinger-Preises am 17.06.2015 in Berlin.
    Der frühere Innenminister Otto Schily (SPD) (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Er verwies damit auf das Ergebnis eines Ermittlungsberichts, den der DFB in Auftrag gegeben hatte. Der SPD-Politiker räumte jedoch auch ein, dass einige Fragen zu dubiosen Zahlungen nicht im notwendigen Ausmaß aufgeklärt wurden. Schily saß im Aufsichtsrat des WM-Organisationskomitees.

    Lesen Sie hier das vollständige Gespräch:
    Martin Zagatta: War das Sommermärchen, war die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 nach Deutschland gekauft? Eindeutige Beweise dafür haben die vom Deutschen Fußball-Bund beauftragten Wirtschaftsprüfer nicht gefunden, aber vieles deutet doch auf Bestechung hin, auf dubiose Zahlungen, die gefunden wurden. Wir sprechen mit dem damals zuständigen Bundesinnenminister Otto Schily und dem künftigen, dem designierten DFB-Chef Reinhard Grindel.
    Bei der Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 ist des offenbar zu Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe gekommen. Dieser Verdacht hat der gestern vorgelegte Bericht im Auftrag des DFB noch erhärtet, auch wenn es keine eindeutigen Beweise gibt, so heißt es. Belastet wird vor allem Franz Beckenbauer im Zusammenhang mit einer dubiosen Zahlung, die über Umwege in Katar gelandet ist oder gelandet sein soll, und die Aufsichtsgremien, die hätten völlig versagt, klagt Rainer Koch, der Interimspräsident des DFB.
    Rainer Koch: Festzustellen ist nach den Ergebnissen der Untersuchung ein völliges Versagen der verbandsinternen Kontrollmechanismen, sowohl beim WM-OK 2006 als auch an der Spitze des DFB im Sommer 2015. Das darf sich nicht wiederholen.
    Zagatta: Rainer Koch, der DFB-Übergangspräsident, doch ziemlich beeindruckt von dem, was die Wirtschaftsprüfer da jetzt belegen können, und am Telefon ist Otto Schily, der damals als SPD-Politiker Bundesinnenminister war und dem Aufsichtsrat des Organisationskomitees für diese Weltmeisterschaft angehört hat. Guten Morgen, Herr Schily!
    Otto Schily: Guten Morgen!
    Zagatta: Herr Schily, was sagen Sie denn zu diesen dubiosen Zahlungen, die die Wirtschaftsprüfer nun nachweisen können? Sind Sie geschockt oder hatten Sie da schon immer eine Ahnung?
    Schily: Also, zunächst einmal ist die beste Nachricht aus diesem Bericht, dass es keine Belege für einen Stimmenkauf bei der Vergabe der Weltmeisterschaft gegeben hat, das sollten wir doch an den Anfang stellen. Sie haben es gesagt, es gebe da einige Zahlungen im Zusammenhang mit der Vergabe, das ist ja nicht richtig, Herr Zagatta, in ihrer Eingangsbemerkung, sondern es gibt dubiose Zahlungen dann später, also nach der Vergabe im Jahre 2002 und dann danach folgend ist darüber gesprochen worden. Das sind Vorgänge, die muss man noch mal genauer untersuchen, und da bleiben auch einige Fragen offen. Aus diesem Bericht geht jetzt hervor, dass da zunächst mal eine Zahlung gegangen ist von einem Konto von Robert Schwan beziehungsweise ein sogenanntes Oderkonto, Robert Schwan …
    Zagatta: Und Franz Beckenbauer.
    Schily: … und Franz Beckenbauer, und dass diese Zahlung dann später wieder zurückgegangen ist an das Konto von Beckenbauer. Dann gibt es diese Zahlung von Dreyfus, wiederum an ein Konto in der Schweiz, in Oberwalden, aber da bleiben viele Fragen offen.
    Zagatta: Herr Schily, aber da ist ja alles verschleiert worden, das räumt ja selbst der DFB ein. Was anderes als Bestechungsgelder oder was kann denn das andere sein, das kann doch kein legaler Vorgang sein?
    "Herr Zwanziger hat uns getäuscht"
    Schily: Nein, wir müssen mal alles schön, alles der Reihe nach, also nicht da so sprunghaft die Dinge darstellen. Es ist leider so, dass auch damals - ich hab ja dem Aufsichtsrat angehört - der Herr Zwanziger uns getäuscht hat über den Hintergrund einer Zahlung, die zunächst mal deklariert wurde mit sieben Millionen Zuschuss für die sogenannte Fußballgala, also eine Veranstaltung, die vor der Eröffnung der Weltmeisterschaft in Berlin stattfinden sollte. Da gibt es eine Vorlage, die wurde dann auch sehr plausibel begründet, warum das so sein müsse, weil die Kosten sich verteuert hätten für die Fußballgala wegen eines sogenannten LED-Teppichs und so weiter. Das war zunächst mal ganz plausibel, im Hintergrund wurde aber etwas ganz anderes veranstaltet von Herrn Zwanziger. Dann wurde die Zahlung reduziert auf 6,7 Millionen, und es stellt sich nun heraus oder hat sich dann herausgestellt jetzt im vorigen Jahr, dass das eine Zahlung war - und das wird eben auch durch Freshfields bestätigt -, die dem Ausgleich einer Zahlung von Dreyfus an dieses Konto in Oberwalden diente. Das ist ein merkwürdiger Vorgang, aber da frage ich mich natürlich, warum ist man nicht auch bei Freshfields der Frage nachgegangen, was war denn nun eigentlich der Hintergrund - aus dem Bericht nicht erkennbar, was das gewesen sein soll. Warum überhaupt ist Herr Zwanziger zu Herrn Dreyfus gefahren und hat gefragt, kannste nicht dieses Darlehen erlassen? Dann hätte man doch mal fragen müssen, an wen hat er denn das Darlehen gegeben? Gezahlt hat er ja auf dieses Konto in Oberwalden. Es geht aus dem Bericht von Freshfields leider auch nicht hervor.
    Zagatta: Aber von was gehen Sie denn da aus, es deutet doch alles auf ganz merkwürdige Vorgänge …
    Schily: Ja, das sind Vorgänge, die muss man noch mal, da muss man... Die Erklärung, die es da von einigen Herren in dem Zusammenhang gibt, das sei eine Zahlung gewesen, die notwendig gewesen wäre, um den Zuschuss zu bekommen. Das waren ja harte Verhandlungen mit der FIFA, um diesen Zuschuss für die WM zu bekommen, ohne diesen Zuschuss hätte das Ganze nicht veranstaltet werden können. Also das sind schwierige Fragen, die aber auch durch Freshfields leider nicht in dem notwendigen Maße aufgeklärt worden sind. Ich hätte an Stelle von Freshfields auch mal gefragt, welches Mandat hatte den eigentlich dieser Anwalt da in Oberwalden, über dessen Konto diese ganzen Zahlungsvorgänge abgelaufen sind. Die Frage stellt sich auch, welches Interesse hat eigentlich die FIFA an dem ganzen Vorgang, die FIFA war ja tief darin verwickelt. Und deshalb besteht in der Tat der Verdacht, den man noch mal genauer prüfen muss, dass diese Zahlung irgendwie im Zusammenhang stand mit der Wiederwahl von Joseph Blatter, das kann man nicht ganz ausschließen. Aber ich stelle zunächst einmal doch an den Anfang, weil das immer wieder … Ich habe ja in den Nachrichten gehört, ein Politiker namens Hahn der Linken, der sagt, es sei erwiesen, es sei die Weltmeisterschaft gekauft worden, das ist nun eindeutig nicht der Fall, sondern es gibt keine Belege dafür, dass ein Stimmenkauf stattgefunden hat. Das ist doch zunächst mal eine gute Nachricht, die sollten wir doch in den Vordergrund stellen.
    Zagatta: Ja, aber kann man sich da auf so eine juristische Position zurückziehen, wenn man weiß, welch korrupter Laden die FIFA war, was da mittlerweile alles bekannt geworden ist, es jetzt diese dubiosen Zahlungen gibt, diese Verschleierung, dieses Hin-und-her-Geschiebe, fast schon mafiaähnliche Überweisungen.
    Schily: Na, nun mal vorsichtig, mal vorsichtig!
    Zagatta: Können Sie da noch so sagen, ja, da müssen wir aber noch aufklären, was sich tut, nichts ist bewiesen?
    Schily: Ja, entschuldigen Sie mal, so geht es ja im Rechtsstaat zu, dass man zunächst einmal nur das als kritisch ansieht, was bewiesen ist. Wenn in dem Bericht steht, es gibt keine Belege für einen Stimmenkauf bei der Vergabe der Weltmeisterschaft 2006, dann ist das eine Nachricht, die Sie durchaus an die Spitze stellen dürfen.
    Zagatta: Ganz klar.
    Schily: Ja, das dürfen Sie durchaus.
    Zagatta: Machen wir auch.
    Schily: Es wurde ja öffentlich behauptet und wird immer noch behauptet, und ich finde das eine ziemliche Unverschämtheit, dass man sagt, die Weltmeisterschaft sei gekauft worden - übrigens eine der tollsten Veranstaltungen, die wir je in diesem Lande hatten, das sollte man auch nicht vergessen. Ich muss das immer wieder betonen.
    Zagatta: Aber die Ermittlungen …
    "Verdienste Beckenbauers nicht vergessen"
    Schily: Bei allen unschönen Dingen, die da jetzt auch noch ans Tageslicht kommen. Man sollte auch die Verdienste von Beckenbauer an der Stelle nicht vergessen, der große Verdienste hat, dass das zustande gekommen ist. Dass der Beckenbauer leider in wirtschaftlichen Dingen manchmal auch ein bisschen, sagen wir mal, sehr leichtfüßig gehandelt hat, das will ich mal auch nicht jetzt in Abrede stellen, und leider hat er sich dann vielleicht auch auf Berater verlassen wie diesen Herrn Schwan, der leider nicht mehr am Leben ist und den man nicht mehr befragen kann, und sich da vielleicht dann auch, wie gesagt, leichtsinnig verhalten hat. Aber das schmälert seine Verdienste dafür, dass er die Weltmeisterschaft nach Deutschland geholt hat, nicht.
    Zagatta: Aus Ihrer Sicht …
    Schily: Es ist ja anzuerkennen, dass der DFB - und nun will ich den DFB auch loben, und da haben ja viele dazu beigetragen, Herr Rauball, Herr Koch und so weiter -, dass sie diese Untersuchung in Auftrag gegeben hat. Diese Untersuchung ist ja sehr sorgfältig durchgeführt worden, man muss die auch erst mal sehr, sehr sorgfältig lesen, das sind ja nun mehrere Hundert Seiten, ich hab noch gar nicht jede Seite gelesen, ich hab das gestern überflogen im Hinblick auf das Gespräch, das wir heute führen wollten und wollen. Aber immerhin, also zunächst mal stelle ich fest: Die wichtigste Nachricht ist, es ist keine Bestechung nachgewiesen für die Vergabe der Weltmeisterschaft. Es gibt Vorgänge später, im Verlaufe dann des Verfahrens, das sind diese Vorgänge, von denen Sie gerade gesprochen haben. Es ist leider festzustellen, dass das Präsidium seinerzeit, also auch der Präsidialausschuss, über eine bestimmte Zahlung, diese berühmten sieben Millionen beziehungsweise 6,7 Millionen, eindeutig getäuscht worden sind. Einer derjenigen, der für diese Täuschung verantwortlich war, war leider Herr Dr. Theo Zwanziger.
    Zagatta: Der sich von Franz Beckenbauer getäuscht fühlt.
    Schily: Wieso von Franz Beckenbauer?
    Zagatta: Das weiß ich nicht, das sagt er, ich zitiere ihn nur. Aber meine Frage da noch …
    Schily: Wieso von Franz Beckenbauer? Wo hat Herr Beckenbauer Herrn Zwanziger getäuscht?
    Zagatta: Das müssen Sie den dann fragen, ich zitiere das nur, dass er das nicht ausschließt. Aber Herr Schily, lassen Sie mich noch auf eins kommen: Wenn Sie sagen, juristisch alles in Ordnung, es ist da nichts nachzuweisen, wieso kommt dann der DFB - der Übergangspräsident Koch hat das ja gestern so formuliert - dazu, von einem völligen Versagen der Aufsicht zu sprechen? Fühlen Sie sich da angesprochen?
    Schily: Nein, da fühle ich mich überhaupt nicht angesprochen.
    Zagatta: Warum? Sie waren doch im Aufsichtsrat.
    Schily: Ja, sicher, aber wenn mir einer erklärt … Also ich bin doch nicht im Aufsichtsrat, um nachher die Kasse zu prüfen, das ist nicht meine Aufgabe, ja, sondern ich, wenn mir der Finanzverantwortliche Dr. Zwanziger sagt, das ist eine Zahlung, die dient einem Beitrag für die Fußballgala, und das ist ganz plausibel, dann haben wir das alle so hingenommen. Das hat Herr Dr. Bach so hingenommen, das haben alle hingenommen. Es ist auch nirgendwo ein Vorgang dann bekannt geworden, dass diese Zahlung nicht in Ordnung sei. Ich bin ja nicht dann derjenige, der nachher in die Kassenbücher reinguckt oder nachher die Abrechnung prüft, das ist nicht unsere Aufgabe. Das war von meiner Seite völlig plausibel. Und wir haben ja, wissen Sie, vom Bundesministerium haben wir das exakt alles geprüft und durchgeführt. Ich hatte einen eigenen Staatssekretär dafür eingesetzt, wir hatten einen eigenen Stab für die Fußballweltmeisterschaft eingesetzt, das ist eigentlich äußerst penibel alles abgelaufen. Und dass da im Hintergrund ein solcher Vorgang stattgefunden hat, dafür tragen nun leider andere die Verantwortung.
    Zagatta: Sagt Otto Schily, der frühere Bundesinnenminister. Herr Schily, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch!
    Schily: Bitte schön, Herr Zagatta!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.