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Vergessene und verbotene Lieder

Im Mittelpunkt steht heute das Klavierlied. Drei neue CD-Veröffentlichungen mit namhaften Interpretinnen erinnern an vergessenes Repertoire von Victor Ullmann, Bohuslav Martinu und von Edvard Grieg.

Von Frank Kämpfer | 15.01.2006
    " Musikbeispiel: Edvard Grieg - aus "Veslemøy""

    Unlebbare Wirklichkeit ist, will man überstehen, der Ausgangspunkt für den Eintritt in andere Realitäten. Im Falle Veslemøys sind es verschmähte Gefühle, die die junge Hirtin zu anderer Wahrnehmung bringen. In ihren Visionen erscheint ihr die Natur als beseelt - Geister geleiten sie in den Berg, ein silbernes Spinnrad wartet darauf, den Stoff der Sehnsucht zu weben.

    Derlei Naturmystik charakterisiert die umfassende Haugtussa-Sammlung, die der norwegische Lyriker Arne Garborg 1895 veröffentlichte und die Zeitgenosse und Komponist Edvard Grieg sogleich zu faszinieren begann. Aus den einundsiebzig Gedichten wählte er sechzehn zur Komposition; acht Titel bündelte er 1899 zu jenem Klavierlied-Zyklus op.67, der seinerzeit Maßstäbe setzte. In Oslo und Bergen zumindest - Aufführungen im europäischen Ausland brachten nicht den gewünschten Erfolg. Und es brauchte fortan mehr als einhundert Jahre, um den Zyklus auf den internationalen Musikmarkt zu bringen.

    Die erfolgreiche norwegische Sopranistin Solveig Kringelborn hat zweifellos ihren Anteil daran. Sie nennt Griegs Haugtussa-Zyklus ihre musikalische Visitenkarte - sie hat den vielgestaltigen Zyklus in Edinburgh, Barcelona und vielen anderen europäischen Städten gesungen und sich dabei als Botschafterin der norwegischen Romantik verstanden. In ihren Konzerten, aber auch hier auf der für das norwegische Label NMA eingespielten CD verbindet Kringelborn "Haugtussa" mit Griegs Liedern nach Aasmund Olavssen Vinje. Die Naturpoesie und die Mystik ergeben konzeptionell ein schönes Spannungsgefüge. Kringelborns beweglicher, modulationsfähiger Sopran korrespondiert sehr gut mit dem hochsensiblen Klavierpart. Die Sopranistin und ihr Liedbegleiter, der schottische Pianist Malcolm Martineau, treibt der Anspruch, der musikalischen Vielgestalt Griegs möglich gut zu entsprechen. Volksliedhaftes, Tänzerisches, stehen hier neben Geheimnisvoll-Melancholischem - melodische Einfachheit neben harmonischer Komplexität. Unversehens kann eines ins andere umschlagen - wie hier in "Langs ei å" - erneut einer Erzählung unglücklicher Liebe.

    " Musikbeispiel: Edvard Grieg - "Langs ei å""

    Solveig Kringelborn (Sopran) und Malcolm Martineau (Klavier) haben für das norwegische Label NMA wenig bekannte Lieder Edvard Griegs eingespielt. In Deutschland ist diese CD über den Vertrieb Klassik Center Kassel zu erwerben.

    Nicht vergessene, verbotene Lieder - so lautet der Titel der folgenden Neuproduktion, die beim Label Capriccio als SuperAudio CD erschien. Die Platte bietet weitgehend unbekannte Kompositionen von Wilhelm Grosz, Erich Wolfgang Korngold und Viktor Ullmann. Lediglich drei Brecht-Songs Kurt Weills dürfen als bekannt vorausgesetzt werden. Was alle vier Tonsetzer eint, sind jüdische Herkunft, Verfolgung und Vertreibung im dritten Reich. Drei von ihnen waren infolge dessen längere Zeit aus den Konzertspielplänen verschwunden - ihre Liedkompositionen sind es noch immer.

    Die von der Düsseldorfer Sopranistin Christiane Oelze und Liedbegleiter Eric Schneider in Köln produzierte CD ist in jedem Falle ein Anreiz, sie neu zu entdecken. Die Platte bietet Hölderlin-Lieder und den Steffen-Zyklus op. 17 des in Auschwitz ermordeten Avantgardisten Ullmann, vier Miniaturen des Opern- und Filmkomponistin Korngold und zwei Zyklen von Wilhelm Grosz, der als Schreker-Schüler wohl Spätromantiker, zugleich aber ein Komponist "angewandter" Gattungen war. Christiane Oelze für Grosz' naiv-pointierte Morgenstern-Lieder, op 13. darstellt, oder ob sie unbedingt Brecht/Weill singen muss, sei hier dahin gestellt. Victor Ullmanns atonale, expressionistische sechs Lieder nach Albert Steffen sind für die an Anton von Webern geschulte Sopranistin genau die passende Literatur.

    " Musikbeispiel: Ullmann - "Wie die Nacht", op.17,5"

    Christiane Oelze (Sopran) und Eric Schneider (Klavier) mit Liedern aus dem Exil - im Superaudio-Format veröffentlicht bei Capriccio.

    Lieder des Tschechen Bohuslav Martinu sind auf dem CD-Markt nahezu unbekannt. Eine Ende letzten Jahres beim Label NAXOS veröffentlichte Platte füllt diese Lücke auf substanzielle Weise. Sie bietet knapp dreißig Miniaturen aus den 30er, 40er Jahren, als der Komponist sich von französischen Vorbildern löste und mehr und mehr aus dem musikalischen Erbe seiner böhmischen Heimat zu schöpfen begann.

    " Musikbeispiel: Martinu - "Ztraceny pantoflicek""

    Ein Drittel der hier versammelten Lieder sind Ersteinspielungen - Mezzosopranistin Olga Cerná sang sie von Manuskriptkopien aus dem Privatbesitz. Die an der Komischen Oper Berlin, am Stadttheater Bern und am Prager Nationaltheater tätig gewesene Sängerin war die treibende Kraft der Produktion, die in Zusammenarbeit mit der Internationalen Martinu-Foundation gelang.

    Des Komponisten Lied-Miniaturen erweisen sich als von großer Vielgestalt. Die Palette reicht vom Kinderlied über Folklore-Transkriptionen von Folklore bis zukomisch-circensischen Nummern. Verschiedene Titel entstammen oder korrespondieren mit Theatermusik. Beispielsweise den Marien-Spielen, einem Zyklus von Volksstücken, denen die folgende dramatische Episode entstammt. "Sestra Pascalina" (Text Julius Zeyer) - eine geistliche Meditation an der Schwelle des Todes - ist eine Komposition voller Reduktion und Intensität.

    " Musikbeispiel: Martinu - "Sestra Pascalina""

    Diskographische Angaben:

    CD 1:
    Titel: "Haugtussa"
    Solisten: Solveig Kringelborn, Sopran
    Malcolm Martineau, Klavier
    Label: NMA (Vertrieb: Klassik Center Kassel)
    Bestellnr.: CD NMA 3

    CD 2:
    Titel: "Verbotene Lieder"
    Solisten: Christiane Oelze, Sopran
    Eric Schneider, Klavier
    Label: Capriccio
    Labelcode: LC 08748
    Bestellnr.: SACD 71062

    CD 3:
    Titel: "Martinu"
    Solisten: Olga Cerná, Mezzosopran
    Jitka Cechová, Klavier
    Label: Naxos
    Labelcode: LC 05537
    Bestellnr.: CD 8.557494