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Vergütung
"Hiwis" fordern Tarifvertrag

Rund ein Drittel aller Studierenden in Deutschland arbeitet neben dem Studium; mehr als 100.000 an der eigenen Hochschule. Dort, hoffen sie, können sie nicht "nur" Geld verdienen, sondern auch noch Einblicke in den Hochschulbetrieb und die Wissenschaft gewinnen.

Von Franziska Rattei | 10.03.2014
    Den Durchblick behalten: Bei der Arbeit als "Hiwi" lernen Studenten viel über die Literaturrecherche.
    Den Durchblick behalten: Bei der Arbeit als "Hiwi" lernen Studenten viel über die Literaturrecherche. (dpa / Fredrik von Erichsen)
    Klingt nach einer vernünftigen Idee: Aber in der Realität werden die studentischen Hilfskräfte selten als echte Arbeitskräfte anerkannt. Ihre Verträge haben kurze Laufzeiten, sie verdienen schlecht, wissen zum Teil nicht, dass ihnen Geld im Krankheitsfall oder für Urlaubstage zusteht. In Bremen hat der FZS, der freiwillige Zusammenschluss von StudentInnenschaften und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft eine Aktion veranstaltet, die auf diese Missstände aufmerksam machen soll. Die beiden Organisationen fordern, dass "Hiwis" - das universitäre Akronym für Hilfswissenschaftler - in den Tarifvertrag aufgenommen werden. Unsere Bremer Landeskorrespondentin Franziska Rattei berichtet.
    "Könnt Ihr alle – hallo! Könnt Ihr alle den Schirm so ein bisschen Richtung Rüdiger nach vorne kippen – ja, das „E“ von Vertrag auch…"
    Laura Wolters dirigiert rund 20 Studierende im Innenhof der Universität Bremen. Sie haben rote Regenschirme aufgespannt; auf jedem klebt ein großer weißer Buchstabe. Nach ein paar Minuten ist die Botschaft gut lesbar für den bestellten Fotografen. "Tarifvertrag jetzt!" steht da. Die Mitglieder vom FZS, dem freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften, schauen interessiert zu. Rund einhundert sind zur Mitgliederversammlung nach Bremen gekommen. Laura Wolters ist kurz davor, ihr Masterstudium in Bremen abzuschließen. Ein Jahr lang war sie als studentische Hilfskraft angestellt. Als sogenannter Hiwi, Hilfswissenschaftler, hat sie Verwaltungsaufgaben übernommen. Mit den Arbeitsbedingungen war sie gar nicht einverstanden. Deshalb hat sie mitgeholfen, die heutige Aktion zu organisieren. Laura Wolters’ Arbeitsverträge liefen über jeweils sechs Monate. Ob sie einen Anschlussvertrag bekommen würde, erfuhr sie immer erst kurz vor knapp.
    "Im Juni lief der Vertrag aus, im Juli sollte er weitergehen, und wir haben dann am 28. Juni erst Bescheid bekommen. Und das ist eine total unsichere Situation, wenn man auf das Einkommen angewiesen ist, und dann von einem Monat auf den anderen kein Geld mehr hat. Das kann sich nicht jeder leisten, der wirklich angewiesen ist darauf, dass das Geld kommt."
    In Bremen werden studentische Hilfskräfte immerhin nach dem Landesmindestlohngesetz bezahlt, das heißt: 8 Euro 50 pro Stunde. In anderen Bundesländern verdienen Hiwis oft weniger. In Köln etwa 5 Euro pro Stunde, sagt Laura Wolters. Und im Gegensatz zu ihr bekommen andere Zwei- oder Drei-Monats-Verträge. Viele studentische Hilfskräfte begreifen ihre Arbeit auch gar nicht als Arbeit, sondern als Teil ihres Studiums; oft auch als Ehre. Schließlich arbeiten sie für ihre Professoren, deren Forschung und Lehre sie schätzen. Viele Studis wissen gar nicht, dass sie Anspruch auf Urlaubstage oder Krankengeld haben - sagt Katharina Mahrt, Vorstandsmitglied im FZS, dem freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften.
    "Und selbst wenn sie es wissen, ist es natürlich sehr schwer, das für Studierende durchzusetzen, ohne eine gewisse Form von Unterstützung, weil sie im Regelfall ja in der Situation sind, dass ganz oft die Menschen, bei denen sie angestellt sind, auch ihre Prüferinnen sind."
    Nur in Berlin gilt für studentische Hilfskräfte seit den 80er Jahren ein Tarifvertrag. Massive Streiks und Aktionen haben dazu geführt, dass Verträge dort über zwei Jahre laufen – ein klarer Vorteil, meint auch Inge Kleemann. Sie arbeitet in Bremen für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft als Referentin für Hochschule und Bildung.
    "Ich finde einen Tarifvertrag sehr wichtig, weil mit einem Tarifvertrag die Arbeitsbedingungen der studentischen Beschäftigten nicht mehr einseitig von dem Arbeitgeber festgelegt werden. Wenn man sich die Urlaubsregelung für Studierende, studentische Beschäftige anguckt, dann sieht man zum Beispiel, dass sie den gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Tagen nur bekommen. Wären Sie Mitglied im TVL wären es 30 Tage oder im Berliner Tarifvertrag wäre es sogar 31 Tage."
    Die studentischen Hilfskräfte müssen sich bewusst darüber werden, welche Rechte sie haben und sie dann auch einfordern – so sehen es Gewerkschaft und Studierende. Die Aktion am Wochenende sollte Zitat "Startschuss für eine bundesweite Offensive" sein. Schwer vorstellbar. Auf dem Campus-Boulevard sitzt Mareike Kruse mit ein paar Kommilitoninnen in der Frühlingssonne und lernt. Keine zwei Gehminuten von der Hiwi-Aktion entfernt.
    "Da hab ich gar nichts von mitgekriegt. Also keinerlei E-Mail, also gar keine Information."
    Dabei arbeitet Mareike Kruse selbst als studentische Hilfskraft. Davon, dass sie Anspruch auf Krankengeld hat, hat sie noch nie etwas gehört. Die Unileitung selbst fühlt sich im Recht. Für die studentischen Mitarbeiter gelten gesetzliche Verträge, so eine Sprecherin; inklusive Urlaubstagen und Krankengeld. Sollten Tarifverträge diese Vereinbarung ablösen – die Uni würde es akzeptieren. Allerdings habe man Bedenken, ob die Hiwis das wirklich wollten. Denn dann müssten sie beispielsweise auch Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Und das mindere das Einkommen ja wiederum.