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Verhaltensforschung
Wie sich die Persönlichkeit bei Fischen entwickelt

Was prägt die Persönlichkeit: Gene oder Umwelt? Das war einmal eine heiße Debatte, die inzwischen zu einem eher lauwarmen Konsens geführt hat: Beides spielt eine Rolle, auch wenn die Details ein wenig schwammig bleiben. Eine aktuelle Studie bringt jetzt eine neue Perspektive ins Spiel: Vielleicht sind Gene und Umwelt viel weniger wichtig als gedacht.

Von Volkart Wildermuth | 17.05.2017
    Die Molly-Fische von Fischzüchter Trampitz aus Radbeul tummeln sich im Aquarium
    Persönlichkeit lässt sich experimentell bei Amazonen-Kärpflingen, den sogenannten Mollys nachweisen (dpa/Oliver Killig)
    "So now we are heading into the aquarium hall I’m going to take you to the room where we keep our mollies. So here they are." Kate Laskowski öffnet die Tür zu einem Aquarienraum am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei am Berliner Müggelsee. Es plätschert, an den Wänden steht Aquarium über Aquarium, mal mit nur einem Fisch darin, mal mit einem ganzen Schwarm. Es sind Mollys: Kleine silberne Fische mit großen Augen. Die Biologin hat sie aber nicht wegen ihres niedlichen Aussehens als Versuchstiere gewählt.
    "The mollies are great. They are a super little fish. What attracted us to them is that they are clonal." Mollies sind Klone. Alle Nachkommen sind genetische Kopien ihrer Mutter. Das Erbgut ist bei allen Fischen gleich. Und was die Umwelt betrifft, sorgt Kate Laskowski dafür, dass jeder Versuchsfisch direkt nach dem Schlüpfen in sein eigenes, hoch standardisiertes Aquarium kommt. Licht, Essen, Wasser -alles ist gleich. Keine Unterschiede in der Umwelt, keine Unterschiede in den Genen. Da sollten sich eigentlich ein Fisch wie der andere verhalten und eben keine individuelle Persönlichkeit entwickeln.
    Auf den ersten Blick schwimmt auch tatsächlich ein Fisch wie der andere durch sein kleines Reich. Aber Kate Laskowski hat objektiv gemessen, wie aktiv die Mollys in unbekannter Umgebung sind: ein Standardtest für die Fischpersönlichkeit. "Uns hat überrascht, wie viele Unterschiede es gab. Genauso viele, wie bei Arten, die keine Klone sind. Manche Fische waren sehr aktiv, andere eher zurückhaltend."
    Debatte um Gene und Umwelt muss sich weiterentwickeln
    Ob ein Molly nun mutig ist oder scheu, kann wegen der kontrollierten Bedingungen weder etwas mit seinen Genen zu tun haben noch mit seinen Lebenserfahrungen. Es muss neben Erbgut und Umwelt also noch weitere Faktoren geben, die den Ausschlag geben. Vielleicht prägt einfach der Zufall die Persönlichkeit. Oder ganz winzige Veränderungen in der Umwelt, die sich auch im besten Labor nicht kontrollieren lassen.
    Die dritte Möglichkeit: Epigenetische Faktoren lassen dieselben Gene bei verschiedenen Individuen unterschiedlich aktiv werden. Auf diese Weise könnte die Evolution dafür gesorgt haben, dass sich auch Molly-Klone unterscheiden. "Das wäre gut, denn wenn sich die Umwelt ändert, ist vielleicht ein Baby in der Lage, zu überleben."
    Was auch immer die unerwartete Vielfalt der Persönlichkeit der Mollys bewirkt, Kate Laskowski ist sicher, dass sich die Debatte um Gene und Umwelt weiterentwickeln muss. "Es gibt tausende von Theorien, die Persönlichkeitsunterschiede erklären wollen. Unsere Studie zeigt: Vielleicht entwickeln sich diese Unterschiede einfach von selbst.
    Parallelen zwischen Mollys und Menschen?
    "Das ist auf jeden Fall sehr interessant", sagt Prof. Christian Kandler von der Medical School Berlin. Der Persönlichkeitspsychologe beschäftigt sich mit eineiigen Zwillingen, die wie die Mollys ein identisches Erbgut haben. Aber auch Zwillinge kommen schon mit Unterschieden zur Welt. Hier ist der Zufall am Werke.
    "Das geht ja schon damit los, dass Zwillinge zwar sich denselben Bauch teilen quasi der Mutter. Aber sie liegen an unterschiedlichen Stellen und dadurch werden sie auch je nach Lage unterschiedlich gut mit Blut versorgt mit Stoffwechsel versorgt. Und das kann den einen bevorteilen, den anderen benachteiligen."
    So erklären sich die unterschiedlichen Fingerabdrücke von Zwillingen, aber vielleicht eben auch subtil andere Persönlichkeitsanlagen. Später im Leben können dann zufällig Ereignisse zu wichtigen Weichenstellungen führen. "Beide entscheiden sich vielleicht zum selben Studiengang, aber wie der Zufall so will, der eine bekommt einen Studienplatz in Berlin der andere bekommt einen Studienplatz in Hamburg und das verursacht dann vielleicht noch weitere unterschiedliche Erfahrungen, die dann natürlich kumulativ über die Zeit dann einen großen Effekt haben können."
    Jeder Jeck ist anders, und das lässt sich nur zu einem Teil durch die Gene oder die Erfahrungen erklären. Wie der Zufall auf die Persönlichkeit wirkt, das will Kate Laskowski an ihren Fischen im Detail untersuchen. Denn zwischen Molly und Mensch gibt es mehr Parallelen, als viele glauben, sagt sie mit einem Augenzwinkern. "I mean with a grain of salt yes!"