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Verhaltensforschung
Wo genau fängt das Bewusstsein bei Insekten an?

Der Mensch als solcher ist stolz auf sein großes Gehirn. Es hebt ihn ab vom Rest des Tierreichs. Viele Tiere handeln dagegen als bloße Automaten, die nach festgefahrenen Mustern agieren. Verhaltensforscher auf der Tagung der Ethologischen Gesellschaft in Hannover stellen dies inzwischen jedoch in Frage.

Von Volkart Wildermuth | 06.02.2019
    Bienen kehren zu ihrem Stock auf dem Lohrberg im Nordosten von Frankfurt am Main zurück.
    Bienen können durch Beobachten Wegstrecken verbessern (dpa / Frank Rumpenhorst)
    Hier summt die Schwarmintelligenz. Die Summe der Bienen gilt als klug, aber auch das Einzeltier ist mehr als ein bloßer Bio-Automat. Der Verhaltensforscher Lars Chittka vermutet sogar, dass Bienen eine einfache Form von Bewusstsein haben. Um das nachzuweisen, stellt er den Insekten an der Universität London Aufgaben, auf die sie die Evolution ganz sicher nicht vorbereitet hat. Die Bienen mussten zum Beispiel einen kleinen Ball auf eine bestimmte Position einer Plattform rollen.
    "Und nur wenn sie den Ball auf diesen präzisen Ort gebracht haben, bekamen sie eine Belohnung."
    Mehr als nur Versuch und Irrtum
    Für die Bienen kein Problem, sie lernen durch Versuch und Irrtum. So etwas lässt sich inzwischen auch in Roboter hineinprogrammieren. Bienen können aber noch weit mehr. Im nächsten Level des Experiments durften Bienen nur beobachten, wie Artgenossen den Ball rollten und dann belohnt wurden. Als sie dann selbst an die Bälle durften, gab es eine zusätzliche Herausforderung: Lars Chittka hatte die Plattform verändert, der vorgeführte Weg war nicht mehr der kürzeste.
    "So dass also das beobachtende Tier sich überlegen kann, äffe ich das jetzt einfach nach, was dieses erfahrene Tier macht, oder finde ich spontan die bessere Lösung."
    Tatsächlich finden die Bienen dann schon beim ersten eigenen Versuch einen kürzeren Weg.
    "Und das bedeutet natürlich, dass dieses Lernen schon so eine einfache Form des Nachdenkens involviert, bei dem sie sich überlegen müssen, was eigentlich das ideale Ziel dieser Aktion ist, und dann halt einen Weg finden, um dieses Ziel zu erreichen."
    Einsicht in das eigene Verhalten
    Das sind geistige Vorgänge, die weit über das Lernen durch Versuch und Irrtum hinausgehen. Lars Chittka betont, dass nicht nur Bienen klare Vorstellungen von ihren Zielen haben. Spinnen, die ein oder zwei Beine verloren haben, entwickeln völlig andere Strategien des Netzaufbaus. Natürlich könnte die Evolution ihnen für jede mögliche Verstümmelung eigene Bewegungsmuster einprogrammiert haben. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Spinnen wissen, wie ein Netz auszusehen hat und eine Strategie entwickeln, um dieses Ziel zu erreichen.
    Solche Einsicht in das eigene Verhalten trauten Biologen bislang eigentlich nur Affen und Vögeln zu, vielleicht noch Tintenfischen. Ob tatsächlich auch Insekten in diesen Kreis aufgenommen werden sollten, ist noch umstritten. In der aktuellen Ausgabe der "Current Opinion in Neurobiology" argumentiert Lars Chittka aber, dass auch vergleichsweise abstrakte Denkleistungen auf ganz frühe Entwicklungen in der Evolution der Tiere zurück gehen. Sobald sich Lebewesen frei bewegen und dabei mit Augen orientieren, stehen sie nämlich vor einem Problem: ein und derselbe Sinneseindruck kann ganz unterschiedliche Ursachen haben: Wenn sich die Welt plötzlich zu drehen scheint, ist das ok, wenn man selbst den Kopf gedreht hat. Wenn nicht, gab es vielleicht ein Erdbeben und man sollte schleunigst Schutz suchen. Schon die Vorfahren der Insekten und Spinnen mussten also mit einberechnen, welche Auswirkungen ihre eigenen Bewegungen haben.
    Erweiterter Denkraum
    "Und man muss auch auf einfachster Ebene unterscheiden können zwischen einem Selbst und einer Außenwelt und das sind natürlich Bausteine, einfachste Bausteine eines Bewusstseins und einer Form von planendem Vorausschauen."
    Moderne Insekten und Spinnen haben diesen Denkraum erweitert. Sie haben Ziele, fassen Pläne, konzentrieren sich auf Wichtiges. Sie zeigen so etwas wie positive und negative Emotionen und scheinen sogar in der Nacht von Routen zu Blumenwiesen zu träumen. Ist das schon Bewusstsein? Unter Verhaltensforschern eine strittige Frage. Lars Chittka ist aber überzeugt, es gibt eine Art von innerem Erleben der Bienen, wie fremd uns das auch immer bleiben mag.
    "Also ich würde schon sagen, dass ein Tier, das tatsächlich auf einfachster Ebene in die Zukunft schauen kann, auch wenn das nur die ganz nahe Zukunft ist, ein Tier, das flexibel zugreifen kann auf Erinnerung, die irgendwo in seiner Biografie zurückliegen, dass das schon eine einfache Form von Bewusstsein ist. Also so gesehen würde ich schon sagen, dass man den Bienen und Hummeln sowas zugestehen muss."