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Verhaltenskodex für Studierende
Universität Hamburg setzt der Religionsausübung Grenzen

Laute Gebete, blockierte Sanitäranlagen oder Kritik an Studentinnen ohne Kopftuch: Weil es an der Universität Hamburg immer wieder Konflikte gab, soll nun einen Verhaltenskodex regeln, welche Formen der Religionsausübung auf dem Campus akzeptabel sind und welche nicht.

Von Axel Schröder | 18.10.2017
    Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg, ist froh über die neue, schriftlich fixierte Grundlage, die das Nebeneinander von unterschiedlichen Religionen, aber auch von gläubigen und nicht-gläubigen Studierenden auf dem Campus regeln soll. Denn darüber gab es in den letzten Jahren immer wieder Streit, so der Uni-Präsident:
    "Wenn bestimmte Formen der Religionsausübung, zum Beispiel das Sprechen von lauten Gebeten, die Blockierung von Räumen, die Benutzung von sanitären Anlagen für Fußwaschungen oder laute Gebete, übrigens auch von christlichen Gemeinschaften. Das muss gelöst werden."
    "Weder Forschung noch die Vermittlung darf religiösen Ansprüchen unterworfen werden"
    Damit das gewährleistet ist, haben zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität am Kodex mitgearbeitet: Islamwissenschaftler, Experten für islamische und jüdische, katholische und evangelische Theologie, für Buddhismus oder Verfassungsrecht. Geleitet wurde sie von der Philosophie-Professorin Birgit Recki. Bei der Kommissionsarbeit habe man sich von einer Selbstverständlichkeit leiten lassen:
    "Die Selbstverständlichkeit lautet: Auch in der Universität gelten die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland. Allen voran die Grundrechte, die unsere Verfassung, unser Grundgesetz uns garantieren: Freiheit, Gleichheit, Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Freiheit von Lehre und Forschung, die Religionsfreiheit."
    Deren Schutz führe aber nicht dazu, dass eine Religionsausübung auf dem Gelände, in den Gebäuden der Universität ohne Einschränkungen möglich ist, so Birgit Recki. Und wies auf den in Stein gemeißelten Spruch über einem der Uni-Portale hin: "Der Freiheit, der Lehre, der Forschung".
    "Und das heißt, weder wissenschaftliche Forschung noch die Vermittlung ihrer Erträge im universitären Unterricht dürfen in irgendeiner Weise inhaltlich, methodisch oder personell religiösen Ansprüchen unterworfen werden."
    Studenten sollen Musliminnen kritisiert haben, weil sie kein Kopftuch trugen
    Zudem sei die Ausübung der eigenen Religion immer an den Respekt gegenüber anderen Glaubensrichtungen und Nicht-Gläubigen gebunden. Nachzulesen ist das ab heute in Punkt 3 des Verhaltenskodex. Dort ist auch geregelt, dass keinerlei Druck auf Menschen ausgeübt werden darf, ihre Religion anders zu leben als sie es tun. Hintergrund dieser Maßgabe sind die Berichte über die Kritik von streng muslimisch-geprägten, meist männlichen Studenten an Musliminnen, die ohne Kopftuch Vorlesungen und Seminare besuchen.
    Auch der Streit um den so genannten "Raum der Stille", der eigens für die Religionsausübung eingerichtet wurde, wird in den Ausführungsbestimmungen zum Kodex geregelt, so Uni-Präsident Dieter Lenzen:

    "Ein Anlass der Befassung mit diesem Thema war die Anbringung eines geschlechtertrennenden Vorhangs im 'Raum der Stille'. Das hat die Kommission als einen Akt der Diskriminierung gewertet. Er kann also nicht toleriert werden."
    Kein Fastenbrechen mehr auf den Campus
    Allerdings sei dieser Vorhang schon vor einiger Zeit bereits abgenommen worden, so Dieter Lenzen. Kritik am neuen Verhaltenskodex kommt von Gisela Groß-Ikkache. Die Pastorin der Evangelischen Studierenden-Gemeinde wäre gern an der Erarbeitung des Kodex beteiligt gewesen:
    "Gerade diese Konflikte sind ja in der konkreten Praxis entstanden. Da hätte ich mir gewünscht, dass man dann mit denjenigen spricht, die mit dieser Praxis von Religionsausübung tagtäglich was zu tun haben. Und das sind die Hochschulgemeinden. Die sind in engem Kontakt mit Studierenden!"
    Unterstützt wird ihre Kritik auch von der Islamischen Hochschulgemeinde. Grundsätzlich sei der Kodex ein Fortschritt. Dass aber religiöse Feiern wie das Fastenbrechen nun nicht mehr auf dem Campus stattfinden dürften, damit sei man, so der IHG-Vorsitzende Bilal Gülbas, nicht einverstanden.