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Verhandlungen um Ausgestaltung des Rettungsfonds

Deutschland habe keine andere Wahl, als den deutschen Baranteil für den neuen Rettungsfonds in Höhe von 22 Milliarden Euro zu zahlen, meint FDP-Europapolitiker Wolf Klinz. Ansonsten drohe das gesamte Projekt zu scheitern. Keinesfalls aber dürfe dieser Rettungsfonds Anleihen hoch verschuldeter Staaten aufkaufen.

Wolf Klinz im Gespräch mit Dirk Müller | 24.03.2011
    Dirk Müller: Schon wieder der Euro, mit dem sich die Staats- und Regierungschefs zum ixten Male heute und morgen in Brüssel beschäftigen müssen. Schon wieder geht es um den Rettungsschirm für die europäische Krisenwährung. Eines ist schon klar: es wird alles teurer für die Deutschen, teurer zumindest, als monatelang beschworen von der schwarz-gelben Koalition in Berlin. 700 Milliarden Euro umfasst der Rettungsfonds, davon soll Deutschland 22 Milliarden als Bareinlage zur Verfügung stellen, zum zweiten weitere 168 Milliarden als Bürgschaft bereithalten. In der Unions-Fraktion wie auch in der FDP regt sich der Widerstand.

    In Brüssel begrüße ich nun am Telefon den FDP-Politiker Wolf Klinz. Er sitzt für die Liberalen im Europäischen Parlament und ist dort Vorsitzender des Sonderausschusses, der regelmäßig die Euro-Krise unter die Lupe nimmt. Guten Morgen!

    Wolf Klinz: Guten Morgen!

    Müller: Herr Klinz, sind die Liberalen mal wieder umgefallen?

    Klinz: Ja so würde ich das nicht sagen. Wir sind immer dafür eingetreten, dass wir auf der einen Seite den Euro stärken und den Euro tatsächlich verteidigen, denn wir wissen alle, wie wichtig der Euro ist, nicht nur für die Wirtschaft Europas, sondern auch als Symbol für die zunehmende Integration der Europäischen Union. Aber Sie haben in der Tat recht: Wir sind nicht mit allem glücklich, was sich da jetzt entwickelt.

    Müller: Aber wenn Sie nicht glücklich sind, heißt das nicht, dass Sie politisch handeln?

    Klinz: Ja, doch. Wir sind entschieden dagegen zum Beispiel, dass der neue Rettungsschirm oder der neue Stabilitätsmechanismus in den Stand versetzt wird, sowohl am Primär-, wie auch am Sekundärmarkt Anleihen aufzukaufen, und das ist ja auch noch nicht entschieden.

    Müller: Das habe ich nicht ganz verstanden. Was bedeutet das in der Praxis?

    Klinz: Das bedeutet in der Praxis, dass ein Land, was verschuldet ist und dessen Anleihen im Prinzip im Markt entweder nur zu exzessiv hohen Zinsen verkauft werden können, oder gar nicht mehr, dass das dann die Möglichkeit hätte, durch den ESM seine Anleihen aufkaufen zu können, aufkaufen zu lassen.

    Müller: Und das wollen Sie jetzt noch verhindern?

    Klinz: Na ja, Sie müssen eines sehen: Das ist eine Entscheidung der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Und eine Partei eines Mitgliedsstaates allein kann hier nicht die Spielregeln festlegen. Wir können nur das verhindern, was noch nicht einvernehmlich festgelegt worden ist, und einvernehmlich festgelegt worden ist noch nicht, dass zum Beispiel dieser Europäische Stabilitätsmechanismus Anleihen am Sekundärmarkt aufkauft, und da bin ich der Meinung, dafür sollten wir eintreten, dass das nicht der Fall ist.

    Müller: Was ist mit den 22 Milliarden? Sind Sie bereit, die zu geben?

    Klinz: Also ich glaube, wenn wir das ganze Projekt nicht zum Scheitern bringen lassen wollen, dann haben wir keine Wahl. Die Frage ist nur, wie schnell und müssen diese 22 Milliarden eingezahlt werden. Grundsätzlich, meine ich, ist das ja ein sinnvoller Ansatz zu sagen, wenn wir schon einen Stabilitätsmechanismus einführen, dann müssen wir den auch so ausstatten, dass er in dem Markt Kredibilität hat. Wir dürfen eines nicht vergessen: Die ganzen Maßnahmen werden von den Finanzmärkten kritisch beäugt und verfolgt und wenn wir jetzt hier nur heiße Luft abgeben und großspurig Stabilitätsmechanismen verkünden, die aber durch nichts wirklich substanziell gestärkt sind, sodass sie auch wirkungsvoll sich entfalten können, dann haben wir mit Zitronen gehandelt. Deswegen meine ich, die 22 Milliarden, die ergeben sich rein rechnerisch aufgrund unserer Beteiligung an der EZB, und das ist im wesentlichen der Schlüssel. Die Frage ist: Muss das sofort sein, müssen 50 Prozent davon in einem Haushaltsjahr, also in einem Budgetjahr, erfolgen oder nicht? Und das will ja die Kanzlerin, so wie ich es verstehe, heute nachverhandeln, dass das etwas gestreckt wird.

    Müller: Weil auch Guido Westerwelle offenbar darauf gedrängt hat, Herr Klinz. – 22 Milliarden, reden wir noch mal darüber. Das schlägt voll auf den Bundeshaushalt beziehungsweise auf die Gesamtschulden. Seit wann hat die FDP keine Probleme mehr mit neuen Schulden?

    Klinz: Ja! Ich glaube, wir müssen hier aufpassen, zu sehr zu verallgemeinern und zu sehr zu generalisieren. Ich persönlich habe sehr wohl Probleme mit neuen Schulden und ich glaube, es gibt auch Kollegen von mir im Deutschen Bundestag, die Probleme mit deutschen Schulden haben. Wir sind der Meinung, hier hätte auch die Volksvertretung, sprich der Bundestag und die entsprechenden Fraktionen, im Vorfeld stärker eingebunden werden müssen. Was wir sehen ist de facto, dass deutsche Politiker, sei es der Bundesfinanzminister, sei es möglicherweise Ende dieser Woche die Kanzlerin, aus Brüssel nach Hause kommen und sagen, dies und das haben wir zugesagt, das ist es. Wir hatten eine klare Beschlusslage der Bundestagsfraktionen, sowohl der Union wie der FDP im Vorfeld, die gesagt haben, wir wollen einen Rettungsschirm, aber wir wollen nicht, dass dieser Rettungsschirm zum Beispiel in den Stand versetzt wird, am Primärmarkt schon, also schon bei Ausgabe, Not leidende Anleihen von schuldgeprüften Staaten aufzukaufen. Und nach den Verhandlungen in Brüssel war genau das eingetreten. Also hier kann ich als einzelner kleiner Europaabgeordneter natürlich die Dinge auch nicht beeinflussen. Ich kann nur darauf hinweisen, dass wir gewisse rote Linien definieren und dass wir die dann nicht überschreiten, und ich würde sagen, wir sind jetzt verdammt dicht an der roten Linie, und wenn wir Glück haben, bleibt es dabei.

    Müller: Ich muss da noch mal nachfragen, Herr Klinz. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagen Sie ganz klar, die FDP-Bundestagsfraktion und die gesamte Führung dort ist nicht stark genug, sich durchzusetzen?

    Klinz: Na ja, das können Sie so nicht sagen, weil auch die Unions-Fraktion hat diese Entscheidung getroffen. Die haben die gleichen Entscheidungen getroffen.

    Müller: Aber Sie können das doch blockieren?

    Klinz: Bitte?

    Müller: Sie können das doch blockieren? Wenn die FDP nicht mitmacht, kann auch die Union nichts machen.

    Klinz: Ich glaube, wir müssen auch ein bisschen realistisch sein. Was haben wir davon, wenn wir als Bundesrepublik Deutschland durch den Bundestag jetzt etwas blockieren, was dazu führt, dass dieser Rettungsschirm – oder Rettungsschirm, den Ausdruck würde ich lieber nicht verwenden, denn der ist schon verbraucht für das, was wir gerade haben, für die Stabilitätsfazilität -, aber dass dieser europäische Stabilisierungsmechanismus nicht zum Tragen kommt. Das wäre doch entsetzlich! Das würde das völlig falsche Signal in die Märkte schicken. Das würde zum Ausdruck bringen, Deutschland steht nicht mehr zum Euro, Deutschland lässt den Euro fallen, und die Verwerfungen, die sich daraus ergeben, die möchte ich mal sehen. Und nachdem wir gerade in Sachen Libyen zum Ausdruck gebracht haben, dass wir nicht unbedingt immer an der Seite unserer europäischen Partner stehen, würde ich das für ein Signal halten, das ich auch als FDP-Abgeordneter in keinster Weise mittragen will.

    Müller: Und dann haben Sie auch noch die Atompolitik, wo Sie neue ...

    Klinz: Ja gut, das ist weniger jetzt eine europäische, zunächst mal, im zweiten Schritt natürlich auch eine europäische Frage, aber zunächst mal eine deutsche Frage, und da gebe ich Ihnen zu: Wir haben im Grunde in den letzten zwei, drei Wochen zwei Kehrtwendungen gemacht, die ich persönlich schlecht oder nur schwierig nachvollziehen kann.

    Müller: Reden wir noch mal über die 22 Milliarden. Bis 2013, da soll die Hälfte überwiesen werden, also elf Milliarden. Da braucht man nicht groß lange rechnen. Jetzt sagt die Kanzlerin, ich bin mutig, ich bin die deutsche Kanzlerin und wir wollen das strecken. Das heißt also, dass nicht jedes Jahr die Summe X kommt, sondern dass man das eben ein bisschen aufschieben kann. Wenn aber der Euro in der Krise ist – und das ist das, was ich dabei nicht verstehe -, dann muss man doch schnell handeln. Wir haben heute Abend beziehungsweise gestern Abend, heute Nacht die Nachricht bekommen, dass Portugals Regierungschef Socrates zurückgetreten ist, weil das Sparpaket nicht durchgekommen ist, sich nicht durchsetzen konnte im portugiesischen Parlament. Das wird ja auch Auswirkungen auf den Euro haben. Das hört sich jetzt so an, als hätten wir gar keine Zeit.

    Klinz: Da stimme ich Ihnen zu. Nur das Geld, was jetzt Portugal bräuchte, das ist ja noch in der europäischen Stabilitätsfazilität vorhanden. Das heißt, wenn Portugal tatsächlich den Antrag stellen sollte, unter den jetzt ja schon bestehenden Rettungsschirm EFSF zu gehen, dann wäre das möglich, ohne dass neue Mittel aufgebracht werden müssten. Aber ich gebe Ihnen grundsätzlich natürlich recht. Wenn der Druck sich verschärft, was wir nicht hoffen wollen, aber wenn der Druck sich verschärft und getestet wird, wie weit sind denn die europäischen Mitgliedsstaaten bereit zu gehen, dann kann es durchaus möglich sein, dass man schneller das Geld aufbringen muss. Nun ist es ja so: die 22 Milliarden, die Deutschland einzahlt – und das ist der deutsche Teil von 80 Milliarden, die insgesamt eingezahlt werden sollen, und dazu kommen ja dann noch die 620 Milliarden Garantien und Bürgschaften, sodass insgesamt der europäische Stabilitätsmechanismus über 700 Milliarden verfügt -, dieses Geld soll ja nicht so eingebracht werden, dass es eins zu eins dann an die Not leidenden Staaten weitergegeben wird, sondern es ist gewissermaßen die Garantie dafür, dass dieser ESM sich am Markt Geld leihen kann.

    Müller: Also können Sie nach dem Gipfel doch ganz gut schlafen?

    Klinz: Also das werden wir sehen, was da herauskommt im Gipfel. Ich kann gut schlafen. Ich habe ein Problem, und das möchte ich vielleicht zum Schluss noch sagen. Alle diese Abmachungen stehen im Zusammenhang mit anderen – das darf man nicht vergessen -, die wichtig sind, nämlich der Einführung des Paktes für den Euro, der Einführung des europäischen Semesters, in dem die europäischen Mitgliedsstaaten ihre Budgets rechtzeitig schon, bevor sie sie in die nationalen Parlamente einbringen, abgleichen und sehen, dass sie nicht divergieren, sondern konvergierend aufeinander zukommen - das alles muss man zusammen sehen -, und der Verschärfung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Und da liegen meine Sorgen, sind meine Sorgen sehr viel größer, denn da sind sehr viele Regelungen getroffen, die eigentlich freiwillig sind. Das ist ein Appell an die Mitgliedsstaaten. Und hier kommt es darauf an, dass wir endlich das auch tun, was wir versprechen, und da hat ja auch Deutschland leider zusammen mit Frankreich 2003 und 2004 gesündigt und damit damals schon den Stabilitäts- und Wachstumspakt praktisch unterminiert.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der FDP-Europaabgeordnete Wolf Klinz. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Klinz: Danke Ihnen! Auf Wiederhören.