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Verkehrte Welt in Rumänien
Ein Spitzenkandidat, der nicht kandidiert

Rumänien steckt mitten im Wahlkampf, in dem verschiedene Parteien um Premier Dacian Ciolos buhlen. Ein Jahr lang hat der Parteilose eine Technokratenregierung geführt, die nach Massenprotesten im November 2015 eingesetzt wurde. Doch was hat Ciolos bewirkt, außer die Lage zu beruhigen?

Von Annett Müller | 18.11.2016
    Rumäniens parteiloser Ministerpräsident Dacian Ciolos spricht im Parlament
    Dacian Ciolos, der parteilose Ministerpräsident Rumäniens (picture alliance/dpa/ EPA/ROBERT GHEMENT)
    Tausende Menschen, die Papierfahnen schwingen, sind auf riesigen Videoleinwänden zu sehen. Die nationalliberale Partei PNL versteht, die Menschenmasse geschickt in Szene zu setzen, bei einem Wahlkampfauftritt in der Bukarester Innenstadt. In rund drei Wochen sind Parlamentswahlen in Rumänien. Die PNL geht mit Premier Dacian Ciolos als Spitzenkandidat ins Rennen.
    "Bei uns sind ehrliche Politiker eine Seltenheit. Jetzt haben wir endlich mal einen gefunden und deswegen klammern wir uns förmlich an ihn", sagt eine Frau in der Menge. Sie hält, wie viele, Ciolos für arbeitsam, bescheiden und korrekt - für all das, was die Rumänen gemeinhin nicht mit ihren Politikern verbinden. Ein Mitte 40-Jähriger pflichtet ihr bei:
    "Mit Ciolos haben wir einen Wandel erlebt, man hat ihm aber viele Steine in den Weg gelegt. Er hatte nicht genügend Zeit zu beweisen, was er alles kann. Ich will, dass er weitermacht."
    Die Erfolge sind klein, aber spürbar
    Gelungen ist der Technokratenregierung beispielsweise, die Ausgaben öffentlicher Institutionen transparenter zu machen, die gerne geheim gehalten wurden, um Klientelpolitik oder Korruption zu vertuschen. Zugleich konnte die Ciolos-Regierung die Bürokratie entschlacken, sei es beim Zahlen der Steuern oder bei Ämtergängen:
    "Ich würde mir keine Noten geben wollen", resümierte vor Tagen Ciolos selbst, "aber ich bin unzufrieden, in dem Sinn, dass wir vermutlich mehr hätten schaffen können".
    In der Tat: Vorweisen kann die Regierung nur kleine Schritte. Große Projekte hingegen, wie die geplante Verwaltungsreform, scheiterten am Widerstand der Parteien, aber auch an der Unerfahrenheit des Technokratenkabinetts.
    Gut die Hälfte seiner Minister musste Ciolos in nur einem Jahr austauschen. Den politisch unbeleckten Experten unterliefen zahlreiche Kommunikationspannen, die die Parlamentsparteien hämisch ausschlachteten. Viele Abgeordnete hätten gar kein Interesse an einer erfolgreichen Regierung gehabt, meint der Politikwissenschaftler Cristian Pirvulescu:
    "Die Regierung musste einen Balanceakt hinlegen, Kompromisse finden, ohne sich zu kompromittieren. Das Hauptverdienst von Premier Ciolos ist, dass er dem politischen Druck standgehalten hat und auch noch seine Popularität bewahren konnte, obwohl er unter sehr komplizierten Bedingungen regieren muss."
    Kampf gegen politische Blockaden
    Den politischen Blockaden im Parlament begegnete die Ciolos-Regierung mit Eilerlässen. Auch bei Gesetzen im Kampf gegen die Korruption. Im Februar monierte das Verfassungsgericht, dass die Anti-Korruptionsbehörde DNA die Verdächtigen nicht selbst, sondern durch den Geheimdienst abhören lasse. Die Regierung veränderte die Kompetenzen im Eiltempo, um laufende Ermittlungen nicht zu gefährden. Nun hören die DNA-Ermittler ab, die Technik aber steht weiterhin beim Geheimdienst. Dass der mit den Abhöraktionen nun nichts mehr zu tun hat, glaubt Rechtsexpertin Georgina Iorgulescu nicht:
    "Die Technokratenregierung hat hier versagt, denn sie hat weder eine öffentliche Diskussion über die Rolle der Geheimdienste geführt, noch das Parlament darüber streiten lassen. Ihr Eilerlass lässt vielmehr dem Geheimdienst ein Hintertürchen offen."
    Einen Großteil der Rumänen interessieren solche sensiblen Themen nicht. Seit Jahren hofft die breite Bevölkerung vielmehr auf Wohlstand, aber auch auf mehr Anstand und Redlichkeit - gerade in der Politik. Immerhin, so sagen viele, hat Dacian Ciolos ihnen Letzteres gebracht.
    Verkehrte Welt: Ein Spitzenkandidat, der nicht kandidiert
    Bei den Parlamentswahlen antreten wird Ciolos nicht, um seine Unabhängigkeit zu wahren, wie er sagt. Hofieren lässt sich der parteilose Technokrat aber dennoch. Zwei konservative Parteien haben Ciolos ganz und gar zum Spitzenkandidaten gekürt, wenngleich er gar nicht antritt und damit nur bloße Werbefigur ist. Das sei verkehrte Welt, meint Rechtsexpertin Iorgulescu:
    "Die Parteien sind offenbar so geschwächt, dass sie glauben, dass sie keine Chance bei den Wählern haben. Also stützen sie sich auf einen Premier, der weder kandidiert noch einer Partei angehört. So etwas gab es noch nie. Bei uns steht die Parteiendemokratie auf dem Kopf."