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Verlag Brueterich Press
Neue Heimat für Lyrik

Lyrik hat in Deutschland einen schweren Stand, die Zahl der Fans ist überschaubar. Obwohl Gedichte nicht im Trend liegen, hat der Schriftsteller Ulf Stolterfoht einen Lyrikverlag gegründet. Damit möchte er talentierten Dichterinnen und Dichtern eine Chance geben.

Von Enno Stahl | 15.01.2016
    Bücherstapel
    Lyrik hat auf dem getrimmten Büchermarkt kaum eine Chance (imago / JOKER)
    Lyrik heute – das ist schon ein Kapitel für sich. Die Zahl passionierter Dichtungsfans ist sehr überschaubar. Dieser ökonomischen Randlage aber steht die größte Lyrikerschwemme in Deutschland seit dem Expressionismus gegenüber. Hoch qualifizierte Lyrik wird zuhauf produziert. Sie findet aber auch deshalb wenig Publikum, weil man ihr nachsagt, dass sie zu sperrig sei, dass sie sich den Rezipienten verschließe. In der Tat haben die hiesigen Lyriker eine überaus elaborierte Ästhetik entwickelt, über die sie selbst sich untereinander gut verständigen können. Außenstehende finden nur schwer Zugang.
    Wie eine Provokation mutet in dieser Situation der Slogan des Lyrikverlags Brueterich Press an: Schwierige Lyrik zu einem sehr hohen Preis! Ein recht eigenartiges Motto, um einen neuen Verlag zu bewerben, Ulf Stolterfoht, Verleger der neuen Edition:
    "Das ist die Notwehrreaktion des schon Marginalisierten. Wenn's schon immer heißt, die Lyrik ist zu schwierig, die Bände sind zu teuer, dann kehrt man's eben offensiv um und sagt: Schwierige Lyrik zu einem sehr hohen Preis, dann ist es Brueterich Press, und viel zu verlieren hat man durch den Slogan, glaube ich, auch nicht."
    Lyrik hat es schwer in Deutschland
    Das ist eine sympathisch-realistische Selbsteinschätzung des eigenen Geschäftsfeldes. Aber auch aus wirtschaftlicher Sicht ist die Betonung der mangelnden Marktgängigkeit nicht unklug: Als Alleinstellungsmerkmal dient das alle Male! Aber mal konkret, wie kam Stolterfoht darauf, einen Lyrikverlag zu gründen? Es gibt ja nun bereits einige wenige Lyrikeditionen, die es schwer genug haben, wieso also noch ein weiterer Verlag?
    "Ich glaube, dass da bei mir mehrere Sachen zusammen gekommen sind. Zum einen wollte ich das schon immer machen, allerdings auf viel niedrigerem Niveau, und jetzt hat mich glücklicher Weise ein kleines Vorerbe erreicht, weil meine Eltern unser Haus verkauft haben und ich habe ein bisschen Geld bekommen, und hab auf einmal die Chance gehabt, das etwas in größerem Maßstab zu machen. Das zweite ist, dass es tatsächlich so aussieht dass es zwar einige neue kleine Verlage gibt, aber die großen zunehmend gar keine Lyrik mehr machen. Das heißt, es gibt auch ganz viele Dichter und Dichterinnen, die ohne Verlag dastehen. Und ich habe gedacht, es könnte ne gute Idee sein, denen ein neues Obdach anzubieten. Und das Dritte ist, und das ist für mich vielleicht das Wichtigste, das hat vielleicht damit zu tun, dass die Lyrikszene sehr überschaubar ist und jeder jeden kennt, dass ich Leute immer wieder treffe, wir sprechen hier gerade in Hombroich, Hombroich ist so ein Ort, wo sich Lyriker immer wieder treffen und sprechen, dass ich denke, durch den Verlag auch das Gespräch über Lyrik zu unterstützen und aufrecht erhalten zu können."
    Stolterfoht ist selbst ein hoch anerkannter Lyriker. Aber das Verlegen und das Schreiben von Büchern sind zweierlei Professionen. Ist die Doppelfunktion als Autor und Verleger nicht vielleicht auch ein bisschen problematisch?
    "Ich glaube im Gegenteil, dass es ganz einfach ist, weil ich durch die 20 oder fast 25 Jahre Lyrik schreiben und vor allem auch vorlesen, eben unheimlich viele Leute kenne, auch Veranstalter, die ganzen Literaturhäuser, und ich war tatsächlich überrascht, wie viel Türen sich mir öffnen, ohne dass ich irgendwas dafür tun muss. Ich stelle mir vor, wenn jemand anfängt, ohne selber zu schreiben, ohne ein bisschen bekannt zu sein durch sein Schreiben, dass der's viel, viel schwerer hat, mir fällt gerade ziemlich viel in den Schoß und das verdanke ich der Tatsache, dass ich eben selber schreibe und die Zusammenhänge vielleicht besser und von innen kenne. Das hilft enorm, ich glaube, das ist ein großer Vorteil, Lyriker zu sein, wenn man Lyrik verlegen will."
    Copyright verbleibt bei den Autoren
    Lyrikern ein Zuhause geben, die momentan ohne Verlag sind – in den ersten Programmen schlägt sich diese Tendenz noch nicht nieder, Oswald Egger ist Autor des Suhrkamp Verlags, Franz Josef Czernin bei Hanser, Marcel Beyer, ebenfalls bei Suhrkamp. Stolterfoht sagt, dass er für den Anfang mehr auf Autoren gesetzt hat, die er selbst persönlich sehr gut kennt. Bevor er Lyriker, die aktuell ohne editorische Heimat dastehen, in seinem Verlag veröffentlicht, möchte er diesen erst etablieren, um – wie er sagt – nicht nur sich zu nützen, aber weniger diesen Dichtern. Diese sympathetische Autorenpflege, die sich natürlich aus eigenen Erfahrungen speist, führt zu einer bahnbrechenden Praxis. Das Copyright verbleibt nämlich bei den Autoren und das ist mehr als ungewöhnlich für einen Verlag, der eben nicht mit Druckkostenzuschüssen arbeitet, sondern das volle Risiko trägt:
    "Ich kaufe praktisch die Rechte nur für eine Auflage, und die Rechte gehen nach dieser Auflage an die Autoren zurück, und falls es eine zweite Auflage geben sollte, machen wir einen neuen Vertrag und die Leute werden auch noch mal bezahlt. Ich finde, das ist ein sauberes Vorgehen, es wird auch pauschal bezahlt, nicht nach verkauften Exemplaren. Eigentlich mache ich es als Verleger jetzt so, wie ich es als Autor gerne hätte, ich hätte gerne immer das Geld pauschal gehabt und dann ist gut, und ich brauche keine Abrechnungen jedes Jahr, ich hätte gerne das Geld auf einen Schlag und dann mach ich weiter."
    Wie nun sieht die inhaltliche Konzeption des Verlags aus, der unzweifelhaft schon in seinen ersten beiden Programmen mit großen Namen der innovativen Lyrikszene aufwartet?
    "Für mich ist es schön, und vielleicht für andere auch, dass die Leute, mit denen ich seit Jahren befreundet bin, und die Lyrik schreiben, dass ich die Lyrik, die sie schreiben, genauso mag wie die Leute selbst. Also die Idee ist natürlich auch, dass es ein Verlag ist, der unter freundschaftlichen Aspekten abläuft. Ich glaube, ich käme in große Schwierigkeiten, wenn ich was angeboten bekäme, wo ich vom Text absolut überzeugt wäre, aber mit der Person des Autors oder der Autorin überhaupt nichts anfangen kann. Da würde ich es vielleicht im Zweifel eher nicht machen. Insofern bin einerseits darauf angewiesen, dass die Leute, die ich mag, auch weiterhin gute Bücher schreiben, da habe ich überhaupt keinen Zweifel, genauso wichtig ist jetzt aber, dass das, was ich jetzt als Verleger mache, das Verhältnis zu den Autoren und Freunden nicht leidet."
    Neue Heimat für Avantgarde-Ästhetik
    Vor ein paar Jahren hat Stolterfoht sich in einem Aufsatz für die Literaturzeitschrift Bella Triste für Avantgardekonzeptionen stark gemacht. Ist der Verlag auch ein Versuch, solche Ambitionen umzusetzen, der heute eher an den Rand gedrängten Avantgarde-Ästhetik eine genuine Heimstatt zu verschaffen?
    "Das ist natürlich heikel. Also diesen Bella-Triste-Aufsatz, der ist, glaube ich acht Jahre alt oder neun, den würde ich heute so nicht mehr schreiben, trotzdem würde ich sagen: ja. Also ich stell mir vor, dass so eine Konzentration der Kräfte, falls man so was sagen kann, vielleicht dazu führt, dass Leute, die für sich arbeiten und diesen eher experimentellen Wege gehen, dass es gerade für die vielleicht ganz hilfreich sein kann, wenn die innerhalb eines Verlages veröffentlichen können, ich mein', das geschieht ja auch bei Kookbooks oder bei Korrespondenzen ist es auch vergleichbar. Also ich drück mich eigentlich um die Antwort, aber die Antwort heißt: Ja, ich würde sehr gerne dem avantgardistischen Schreiben, was immer das heißt, eine weitere Möglichkeit geben."
    Man kann sagen, dazu ist er auf dem besten Wege. Die Bücher sind einheitlich designt, hier soll nichts vom Inhalt, dem gedruckten Wort, ablenken. Ob Oswald Eggers dunkel-hintergründige Epigramme, Franz Josef Czernins essayistische Schleifen oder Hans Thills komplexe Gedichtkonstellationen – die Brueterich Press sucht keine Kompromisse. Und das ist eigentlich sehr beeindruckend in einer Zeit, die überall nur Zugeständnisse macht.