Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Verleger von "Generation beleidigt"
"Wenn die Hautfarbe entscheidet, wer was übersetzen darf, ist das absurd!"

Caroline Fourest kritisiert die linksidentitäre Bewegung in ihrer Streitschrift „Generation beleidigt“ scharf. Diese nehme eigene "Mikroaggressionen" zum Anlass, um Andersdenkenden Sprechverbote zu erteilen. Auch in Deutschland werde die Bewegung stärker, sagte Fourests Verleger Klaus Bittermann im Dlf.

Klaus Bittermann im Gespräch mit Gisa Funck | 26.03.2021
Caroline Fourest und ihre Kritik: „Generation Beleidigt"
Sieht die kreative Freiheit durch einen neuen linksidentitären Tugendterror bedroht: Die französische Feministin Caroline Fourest (Foto: JF PAGA, Cover: Edition Tiamat)
Gisa Funck: Herr Bittermann, wie erklären Sie sich, dass die Streitschrift der Französin Caroline Fourest "Generation Beleidigt" auch hier in Deutschland gerade so beliebt ist? Man kann ja sagen, es ist das Buch der Stunde, dauernd in den Feuilletons präsent?
Klaus Bittermann: Ja, ich glaube das hat schlicht und einfach damit zu tun, dass es auf eine bestimmte Diskussion, die die Debatte, die es ja schon länger gibt in Amerika und in Frankreich, dass die langsam auch in Deutschland beginnt. Und sie wird vor allem in den sozialen Netzwerken geführt. Und viele scheinen offensichtlich auch darauf gewartet zu haben, dass endlich mal jemand das ausspricht - und auch belegt vor allen Dingen. Denn das Buch ist meiner Meinung nach sehr gut belegt mit vielen einzelnen Beispielen, die man nicht missverstehen kann.
Wolfgang Thierse
Thierse (SPD) über Identitätspolitik: "Ziemlich demokratiefremd"
Identitätspolitik von rechts führe zu Ausschließung, Hass und Gewalt, die aktuelle radikale Identitätspolitik von links zu Cancel Culture, sagte der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) im Dlf. Eine pluralistische Gesellschaft könne so nicht funktionieren.
Funck: Vielleicht sollten wir vorher noch mal klarmachen, wen Caroline Fourest eigentlich meint mit dieser "Generation Beleidigt". Also gegen wen genau zieht sie eigentlich in dieser Streitschrift zu Felde?
Bittermann: Sie sagt ja, das ist die Millienniums-Generation. Das nehme ich jetzt einfach mal so hin. Aber das ist eine Generation, die nachwächst, die sehr empfänglich ist für Unrecht, wogegen ja nichts einzuwenden ist. Aber deren Empfänglichkeit in eine Art Mikroaggression umschlägt. Also, das sieht man an solchen Debatten, die ja in Amerika schon länger vorhanden sind oder größere Auswirkungen hatten. Mit diesem Rückzug in "Safe Spaces" zum Beispiel, um nicht belästigt zu werden von bestimmten Begriffen und Wörtern, die quasi im öffentlichen Sprachgebrauch exkommuniziert werden. Dass man sich bedroht fühlt von Klassikern, die die eigene Befindlichkeit berühren und so. Also, diese Generation ist sehr empfindsam. Und das kann natürlich nur wachsen aus so einer moralischen Haltung, die man der Welt gegenüber einnimmt. Wenn man keinen richtigen Begriff von ihr hat und kein analytisches Werkzeug mehr, dann muss natürlich die Moral herhalten. Und ich glaube, dass die Fourest eben so einen Erfolg hat, weil sie mit vielen einleuchtenden Beispielen eben zeigt, dass das eine Einstellung ist und eine Bewegung, die auch sehr gefährlich ist, weil die eigenen kulturellen Möglichkeiten noch weiter einschränkt.

"Gefährliche Bewegung, die unsere Freiheit einschränkt"

Funck: Es handelt sich bei dieser "Generation Beleidigt" also um ein Manifest gegen diese – ja, neuerdings immer aggressiver auftretende linke Identitätspolitik. Und damit ist so diese neue, stark von den Gender- und Cultural-Studies beeinflusste, akademische Links-Bewegung gemeint. Die stellen ja nicht mehr den Klassenkampf in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen, sondern die stellen die Frage nach kultureller Identität in den Mittelpunkt.
Bittermann: Ja, genau.
Also die Frage nach Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, religiöser Prägung. Was stört Caroline Fourest denn so an dieser neuen Linken? Also sie sagt ja, die sind so beleidigt, die sind so hypersensibel. Aber man könnte ja auch umgekehrt argumentieren – naja gut, junge Leute, die einfach sensibler für Unrecht geworden sind, das ist doch eigentlich eine schöne Sache?!
Bittermann: Ja, genau – dagegen ist auch überhaupt nichts einzuwenden. Also, dass man sehr feinfühlig auf Ungerechtigkeit reagiert, dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden, ja. Aber erstens mal hängt das natürlich mit den sozialen Medien zusammen, dass sich da schnell – ich sage immer – sozialer Mob zusammenfindet, der sehr aggressiv auf Diskussionen reagiert, die nicht mehr offen ausgetragen werden können. Und da hat Caroline Fourest natürlich auch ihre eigenen Erfahrungen gemacht, ja. Weil sie ja an Unis geredet hat und niedergebrüllt wurde und so. Und das obwohl sie ja auch eine Linke ist und aus einem linken Zusammenhang kommt. Und das ist glaube ich so der Unterschied zu der Debattenkultur von früher vielleicht, wenn man das so sagen kann. Dass sie heute eher gehindert wird als gefördert wird. Und Fourest tritt natürlich einfach für so eine offene, freie Gesellschaft ein, in der man seine eigene Meinung formulieren kann – und nicht von vorneherein ausgegrenzt wird.

"Deutsche Verlage reagieren mit vorauseilendem Gehorsam"

Leere Bühne
Philosophin zu "Cancel Culture"
"Cancel Culture" ist ein Begriff für die vorauseilende Absage umstrittener Veranstaltungen. Sie ziele nicht auf Wahrheit, sondern auf Zensur, sagt die Tübinger Philosophin Sabine Döring im Dlf.
Funck: Ja, sie spricht ja regelrecht von einer moralischen Hexenjagd. die da stattfindet von diesen neuen linken Aktivisten, die sich ja auch als "Erweckte" bezeichnen in Amerika. Und sie spricht ja von diesen inquisitorischen Tribunalen, die da stattfinden. Wie funktioniert das? Also wie schafft es diese neue linke Bewegung, ein Klima der Angst zu verbreiten und ihre Gegner quasi mundtot zu machen?
Bittermann: Das hat natürlich sehr viel mit den Sozialen Medien zu tun, ja. Das ist ja dieses bekannte Beispiel jetzt auch mit den Übersetzern von Amanda Goreman und ihrem Gedicht. Dass das von den Sozialen Medien bestimmt wird, wer dieses Gedicht übersetzen soll, ja! Und da geht’s eben nicht nach Qualität oder Erfahrung oder sonst irgendwas, sondern nur darum, ja – es geht nur um die Identität. Hat der Übersetzer dieselbe Hautfarbe wie die Amanda Goreman zum Beispiel. so was, ja?! Und wenn man dann noch sieht, dass der vorauseilende Gehorsam auch schon wirkt bei dem deutschen Verlag Hoffmann und Campe, der von vornherein drei Übersetzer anstellt, wovon nur einer eigentlich qualifiziert ist als Übersetzer, die anderen beiden ihm quasi als Tugendwächter nebenbeigestellt wird, dann ist das so was von absurd! Ja, das finde ich dann auch sehr empörend, einfach ja.
Funck: Nun sind die Beispiele, die Caroline Foruest in ihrem Buch wählt, ja vor allem Beispiele aus den USA und Kanada, wo das ja gerade besonders grassiert, diese sogenannte Cancle Culture, so nennt man es ja auch schon. Da berichtet sie ja zum Beispiel von dieser US-amerikanischen Mutter, der allein schon deshalb als Rassistin beschimpft wurde, weil sie ihrer kleinen Tochter erlaubt hatte, sich als japanische Geisha zu verkleiden. Oder in Kanada wurde sogar schon ein Yogastudio geschlossen, weil man dem Yogalehrer vorwarf, er würde sich an der indischen Kultur unrechtmäßig bereichern. Sehen Sie denn – das sind ja bizarre Auswüchse dieser, ja, moralischen Hexenjagd – sehen Sie denn diesen Tugendterror auch schon so stark in Deutschland auf dem Vormarsch?

Verbot eines Yogakurses wegen "kultureller Aneignung"

Bittermann: Ja, also zumindest glaube ich im universitären Rahmen. Da halte ich mich zwar nicht auf, aber das ist zumindest das, wovon man meistens irgendwelche Sachen erzählt oder Geschichten erzählt bekommt. Und da ist glaube ich auch so ein bisschen die Heimstatt dieser identitären Linken. Ich weiß von Professoren, dass die – ja – angeschrien werden, dass die wahnsinnig vorsichtig sein müssen in ihren Äußerungen. Es ist ein ganz merkwürdiges Klima, in der Lehre nicht wirklich mehr vorkommt. Weil das alles ganz schnell auf den ideologischen Prüfstand gestellt wird. Also, das ist zwar nur der universitäre Rahmen. Aber es greift natürlich immer mehr in der Gesellschaft um sich. Es ist nur verrückt, weil das eigentlich die meisten Leute – also die normalen Menschen draußen im Lande, sage ich jetzt mal wie ein Politiker – die haben ja gar nicht, also an denen geht das völlig vorbei! Die würden das gar nicht verstehen, was da passiert!

"An den Unis werden Professoren niedergeschrien"

Funck: Caroline Fourest, die sagt ja in ihrem Buch, also neben ihrer Kritik daran, dass dieser linke Tugendterror ein Klima der Angst erzeugt und eigentlich jede offene Debattenkultur im Keim erstickt, wirft sie dieser neuen Bewegung ja vor allem vor, dass die vor lauter Fixierung auf eigenen Verletzungen, auf die sogenannten Mikro-Aggressionen, dass die eigentlich die wahren Gefahren unserer Zeit dabei völlig übersehen: Nämlich dass eine radikale Rechte immer stärker wird – und wir haben ja auch noch Klimawandel und die Umweltzerstörung. Das spielt aber bei diesen Aktivisten und Aktivistinnen gar keine Rolle?!
Bittermann: Ja, sehe ich genauso. Das ist wahrscheinlich genau so. Das da kaum ein Sensorium dafür da ist, dass – ich sage mal: wirklichen Welt die AfD immer präsenter wird. Und immer mehr den öffentlichen Raum beherrscht. Ich wüsste nicht, dass die identitäre Linke jetzt eine besondere Kampagne dagegen startet, ja?!

Widerstand gegen die Rechte? Fehlanzeige.

Funck: Also kapriziert sie sich zu sehr so auf Symbolpolitik und eigentlich harmlose Gegner?
Bittermann: Ja dadurch, dass es natürlich immer nur um die eigene Identität geht, mit der etwas beurteilt wir, ist es natürlich auch uninteressant gegen eine andere Wirklichkeit vorzugehen, ja? Die AfD zum Beispiel heißt. Das wird dann in dem Moment uninteressant.
Caroline Fourest: "Generation Beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer." Aus dem Französischen von Alexander Carstiuc, Mark Feldon, Christoph Hesse.
Edition Tiamat, Berlin. 200 Seiten, 18 Euro.