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Verloren auf dem Fischmarkt

Seit ihren Anfängen gilt die katalanische Regisseurin Isabel Coixet als Expertin für sensible zwischenmenschliche Dramen. Auch ihr neuester Film "Eine Karte der Klänge von Tokio" ist von stimmungsvollem Minimalismus geprägt.

Von Rüdiger Suchsland | 01.08.2010
    Ungezählt sind die Töne der japanischen Hauptstadt Tokio: der Regen der Straße, der Lärm des Fischmarkts, wenn die meterlangen, tiefgefrorenen Thunfische in ihre Einzelteile zerlegt werden, die Schnellbahn, das Schlürfen der Nudelsuppe.

    Hier treffen drei Figuren aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Da ist Ryu, eine junge schweigsame Frau, die auf dem Fischmarkt arbeitet, in Wahrheit aber vor allem eine höchst effektive Auftragskillern ist.

    Dann ein alter Mann, dessen Namen wir nie erfahren. Aber wir erfahren, dass er Toningenieur ist. Wie ein Lumpensammler sucht er nach kostbaren Geräuschen, Tönen und Stimmen seiner Heimatstadt. Er erstellt eine Landkarte ihrer Töne. Und Ryu dient ihm als eine Art verdeckte Ermittlerin. Per ständig eingeschaltetem Mikrofon macht sie ihn zum Zeugen ihres Lebens.

    So lernen wir auch David kennen. Sergi López, ein bekanntes Gesicht aus vielen europäischen Filmen, spielt diesen Spanier, der in Tokio als Weinhändler lebt. Seine letzte Freundin war Midori, die Tochter des so mächtigen wie undurchsichtigen Mr. Nagara. Weil Midori Selbstmord beging, gibt Nagara ihm die Schuld, und David steht jetzt auf der Todesliste der Mafia. Ryu ist auserkoren, ihn umzubringen. Aber ausgerechnet die scheinbar so eiskalte Killerin verliebt sich in ihr Opfer.

    Dies ist die - gar nicht so komplizierte - Konstellation von Isabel Coixets neuem Film.

    Doch in Wahrheit geht es um Trauer und wie man sie bewältigt.

    Seit ihren Anfängen gilt die katalanische Regisseurin Isabel Coixet als Expertin für sensible zwischenmenschliche Dramen. Immer wieder kreisen ihre Filme um Menschen, die von tiefer, oft versteckter Traurigkeit geprägt sind, und die die Kostbarkeit des Lebens neu erfahren.

    1962 geboren, hat sie Geschichte studiert, dann eine Weile in der Werbebranche Erfahrung gesammelt, und gutes Geld studiert. Nebenbei schrieb sie zum Ausgleich Filmkritiken. Mit 27 debütierte sie dann als Regisseurin - und stand von Anfang an für ein spanisches Kino ganz fern von den opulenten Sex und Musik-Melodramen eines Almodóvars.

    Schon mit ihrem Debüt "Zu alt, um jung zu sterben" hatte sie ihr Thema gefunden: Die Vergänglichkeit des Lebens und intime Erkundungen der Vielfalt der menschlichen Gefühlslandschaft.

    Der große Durchbruch gelang Coixet 2003 mit "Mein Leben ohne mich": Die Geschichte einer jungen Frau, die erfährt, dass sie todkrank ist, und in der verbleibenden Zeit noch möglichst viele Dinge tun will, die sie bisher nicht getan hat: Liebe nehmen, den Vater im Gefängnis besuchen, und eine neue Mutter für ihre Kinder und eine Frau für ihren Mann suchen. Coixet nutzt innere Bilder und innere Monologe als Gegenpol zur äußeren Handlung. Ähnlich ist das Verfahren auch in ihrem neuesten Film.

    "Eine Karte der Klänge von Tokio" ist von stimmungsvollem Minimalismus geprägt. Einsamkeit, und die nächtlichen Lichter der Großstadt dominieren. Atmosphärisch sehr eingängig ist vor allem die Tonspur, mit ihren unzähligen Geräuschen.

    Da darf dann aber auch Karaoke nicht fehlen. So wie Bill Murray in Sofia Coppolas "Los in Translation" gibt es auch hier eine Karaoke-Einlage. Von Sergi López.

    Mit diesem Filmzitat stellt sich Coixet auch ganz offen in Dialog mit ihren filmischen Vorgängern in der Filmgeschichte: Der Film greift einerseits die Geschichte westlicher Japan-Wahrnehmung auf, von Coppola über Paul Schrader und Wim Wenders bis zu Quentin Tarantino.

    Natürlich muss man an "Nikita" denken, Luc Bessons Film-noir-Portrait einer kühlen, innerlich verhärteten Auftragskillerin. In seiner Filmsprache ähnelt er den melancholischen Liebesmelo von Wong Kar-wai

    Über allem aber ist "Eine Karte der Klänge von Tokio" eine merkwürdig-faszinierende Amour-Fou-Story, die ein Liebespaar auf der Suche nach Erlösung zeigt.