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Verloren im Aktengebirge
Eine Bamf-Beamtin erzählt

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sollte ein Serviceamt sein, in dem Aslysuchende Orientierung und Hilfe finden. Doch davon sei seit 2015 nichts mehr übrig, sagt eine leitende Bamf-Beamtin aus Bayern – ein anonymer Erfahrungsbericht über Aktenberge auf Tisch und Boden, Akkordarbeit und Missachtung geltenden Rechts.

Von Susanne Lettenbauer | 07.06.2018
    Hände nehmen eine dicke Akten von einem mehrerer hoher Aktenstapel
    Von einer schier nicht zu bewältigenden Arbeitslast ab 2015 spricht eine leitende Bamf-Beamtin – und von den Bewältigungsstrategien der Beschäftigten (picture allicen / dpa / Stephanie Pilick)
    Die Arbeit habe ihr immer Spaß gemacht. Ja: Menschen nach Flucht und Verfolgung eine Perspektive zu geben, Lösungen zu suchen und zu finden. Maßgeschneidert für den jeweiligen Asylfall. Es klingt resigniert, wenn die Frau, die endlich erzählen will, wie man sich als Bamf-Mitarbeiter fühlt, sagt:
    "Die Motivation war da, der Wille war da. Wir wollten alle helfen, nicht nur die Frau Merkel."
    Sie sitzt irgendwo in Bayern an einem Tisch, vor sich Unterlagen, die sie irgendwann begann, mit nach Hause zu nehmen, weil die Zeit tagsüber nicht ausreichte.
    "Das Klima ist immer ruppiger geworden"
    Heute überlegt die leitende Beamtin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, was von ihrem Enthusiasmus geblieben ist. Ab wann das Türenschließen zu einem Türenknallen auf den Bamf-Fluren wurde. Ab wann Betriebsfeiern verboten wurden:
    "Also, früher ist in den Außenstellen ein recht nettes Klima gewesen, und das Klima ist immer ruppiger geworden. Die Leute haben sich gegenseitig angemotzt und angeschrien. Und irgendwann sind Mitarbeiter dann ausgefallen. Es gab dann vermehrt Schulungen über Alkohol am Arbeitsplatz..."
    "Für Alteingesessene war das anfangs ganz schlimm"
    Vor gut 15 Jahren ging sie zum damaligen Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) nach Bayern. Unterstützte ab 2005 die Umwandlung des BAFL ins Bamf. Damals herrschte eine Art Aufbruchstimmung: weg von der reinen Asylbehörde hin zu einem Serviceamt für Migration, Integration, Orientierung, und Rückkehrförderung. Seit 2015, als die Flüchtlinge zu Hunderttausenden kamen, ist davon nichts mehr übrig:
    "Also, für die alteingesessenen Entscheider, die zum Teil im höheren Dienst auch waren, die eine solide Ausbildung hatten, wirklich qualifizierte Mitarbeiter, war das anfangs ganz, ganz schlimm. Die konnten das mit ihrer Berufsehre und ihrem Rechtsverständnis nicht vereinbaren. Wenn die Nationalität nicht richtig überprüft wird, dann habe ich vielleicht Gefährder hier drin, das wurde damals auch schon so gesehen von den Mitarbeitern. Oder diese Trittbrettfahrer, die jungen Leute, die sagen, ach, Mensch, komme ich mal nach Deutschland, hier ist es schön – die nicht im geringsten verfolgt sind."
    Spätestens Herbst 2015 kapitulierten die Ersten
    Spätestens im Herbst 2015 kapitulierten die ersten Kollegen vor den höher werdenden Aktenbergen. Anfangs stapelten die sich auf den Tischen, dann direkt auf dem Boden, erzählt die Bamf-Führungskraft. Später, als unter dem neuen Behördenchef Frank-Jürgen Weise endlich die Gelder vom Innenministerium bewilligt wurden, stapelten sich die Dokumente auch in den neu gekauften Schränken. Schließlich wurden dafür ganze Gebäude angemietet.
    Wofür bisher die Zentrale in Nürnberg zuständig war – Sicherheitschecks, Passüberprüfung, Einstellung neuer Mitarbeiter und Dolmetscher –, das übertrug die Behördenleitung auf die plötzlich sehr autonomen Außenstellen. Das "Bamfen" begann. Mit den bekannten Folgen:
    "Manche Mitarbeiter konnten damit umgehen, im Grunde: Augen zu und durch, und andere Mitarbeiter sind daran verzweifelt, die haben im Grunde genommen gar nichts mehr gearbeitet."
    "Von oben kamen keine vorausschauenden Vorgaben"
    Ebenso wie andere Bundesländer bekam Bayern zu den bisherigen Außenstellen neue, weniger belastete Standorte hinzu. Dorthin ließen sich vor allem ältere, erfahrene Beamte versetzen.
    "In den neuen Außenstellen gab es aber kaum Arbeit, das heißt, das Superpersonal hat wenig zu tun gehabt, und die komplett Unerfahrenen haben teilweise Rückstände aufarbeiten müssen."
    Und nur dann mit der Aussicht auf eine feste Stelle, wenn die Bearbeitungs-Zahlen stimmten:
    "Das Problem war, dass es an der Führung gemangelt hat, nicht in der Führung der einzelnen Referate, das hat noch funktioniert, aber von oben kamen keine vorausschauenden Vorgaben, sondern es ist reagiert worden. Wenn in der Öffentlichkeit irgendein Missstand angeprangert wurde, dann ist auf diesen Missstand reagiert worden. Dann hat man geschaut, dass man den beseitigen kann – dann ist irgendwo anders wieder ein Loch aufgerissen worden."
    Verbesserungsvorschläge von Mitarbeitern nicht geprüft
    Die kurzfristig angeheuerten Beraterfirmen Roland Berger, McKinsey & Co präsentierten Ideen, die an der Basis entwickelt wurden, plötzlich als ihre. Andere, berichtet die leitende Beamtin, die von den Kollegen kamen, wurden überhaupt nicht beachtet:
    "Da haben Mitarbeiter in den Außenstellen Computerprogramme entwickelt in ihrer Freizeit, die allen Außenstellen Arbeit hätten ersparen können. Die Vorschläge sind nicht honoriert worden, die sind nicht geprüft worden, nicht umgesetzt worden, nicht weitergeleitet worden – ja."
    Während der separate erste Schritt, die Aktenanlage – also Name, Herkunft, Fingerabdrücke, Asylgrund – schnell abgearbeitet werden kann, hakt es bis heute bei der Anhörung.
    "Schriftliche Anhörung" für jene mit guter Bleibeperspektive
    Zeitweise beschränkte man sich in den vergangenen Jahren deshalb auf die "schriftliche Anhörung" für Personen mit guter Bleibeperspektive. Einzig ein Formular musste ausgefüllt werden, Missbrauch vorprogrammiert.
    "Also, was die Mitarbeiter besonders gestört hat, war diese Überheblichkeit von Herrn Weise und Roland Berger und wie sie alle hießen, die jetzt kommen und sagen, ach, die Mitarbeiter, die bisher im Amt gearbeitet haben, sind alle unfähig, die ganzen Arbeitsabläufe sind falsch. Und jetzt kommen wir und reformieren alles. Und letztlich hat sich dann herausgestellt, so schlecht war es ja gar nicht."
    "Weise war für mich der falsche Mann am falschen Ort"
    Nein, sie will niemandem die generelle Schuld geben, sagt die bayerische Beamtin. Aber endlich darüber reden, nicht zu detailliert, aber doch so, dass das Ausmaß erkennbar wird. Es sei empörend, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als unfähig dargestellt worden seien, dass sie gezwungen wurden, Asylrichtlinien zu missachten:
    "De Maizière ist in meinen Augen ein Aussitzer, Reagierer höchstens, ein Umsetzer der Vorgaben von der Frau Merkel oder wem auch immer. Er hat Weise schalten und walten lassen. Weise war für mich der falsche Mann am falschen Ort. Man sagt, in der Wirtschaft, bei Stückzahlen von Autos oder so, mag das funktionieren, aber das ist ein Grundrecht, über das entschieden wird von diesem Amt, und da ist für mich ein Mensch, der alles an Zahlen orientiert, einfach an der falschen Stelle."