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Verlorene Generation?

In Großbritannien zeigt sich ein Trend, der hochbrisante politische Folgen haben könnte: Erstmals sind mehr Kinder aus Einwandererfamilien beschäftigt als Kinder britischer Eltern. Martin Alioth über das Problem der Jungendarbeitslosigkeit.

Von Martin Alioth, Korrespondent des Schweizer Rundfunks für Großbritannien und Irland | 20.07.2009
    Wenn die Zukunft eines Landes in den Händen seiner Jugend liegt, dann sollten sich die Briten Sorgen machen. Innerhalb eines einzigen Jahres hat die Jugendarbeitslosigkeit – also der Anteil der 18- bis 24-Jährigen ohne Beschäftigung – um fünf Punkte auf 17 Prozent zugenommen. Es ist 16 Jahre her, seit der Anteil höher lag. Beobachter sprechen schon von einer verlorenen Generation.

    Man braucht kein Schüler Oswald Spenglers zu sein, um aus diesen Entwicklungen düstere Schlüsse für eine Gesellschaft zu ziehen, die sich ohnehin schon berechtigte Fragen über den Zerfall von Familien, über jugendliche Gewaltbereitschaft – namentlich in Banden – und Alkoholkonsum stellt. Denn wir wissen ja, dass untere Einkommensschichten überproportional von der Arbeitslosigkeit betroffen sind, gerade wenn – wie in Großbritannien – die verarbeitende Industrie so empfindlich von der Krise getroffen wird. Es ist, nebenbei gesagt, eine bittere Ironie, dass auch in jenem europäischen Land, dessen Banken sich durch ihre besondere Schamlosigkeit im Casinokapitalismus auszeichneten, der tatsächliche Preis des Niederganges von Fabrikarbeitern getragen wird und nicht so sehr von Bankangestellten im Nadelstreifenanzug.

    Die neuesten Arbeitsmarktstatistiken enthalten indessen noch ein weiteres brisantes Element: In den letzten zwölf Monaten verloren rund 450.000 gebürtige Briten ihre Stellung. Aber unter den Ausländern nahm die Beschäftigung im selben Zeitraum um fast 130.000 zu. Das mag etwas mit geringeren Lohnerwartungen zu tun haben, vermutlich auch etwas mit dem höheren Ehrgeiz und Fleiß der Zugewanderten. Gewiss. Doch der Verdacht muss erlaubt sein, dass die mangelhafte Schulbildung der Einheimischen mit für das Gefälle verantwortlich ist.

    Nicht genug damit, dass die Schulabschlussprüfungen immer einfacher werden – das Problem ist (wenn ein kurzer Griff in die marxistische Mottenkiste erlaubt ist) klassenbedingt. Britische Regierungen haben seit vielen Jahren begabte Kinder aus den Unterschichten im Stich gelassen. Denn es gibt ja für die eigenen Sprösslinge Privatschulen. Obwohl nur sieben Prozent der Kinder privat ausgebildet werden, besetzen diese dann 41 Prozent der Studienplätze in Cambridge und drei Viertel aller Richterstühle. Da stimmt etwas nicht. Hinzu kommt, dass die Labour-Regierungen der letzten zwölf Jahre aus dogmatischen Gründen möglichst viele Jugendliche in die Universitäten schicken wollten, mit dem Ergebnis, dass die Abschlüsse an Respekt verlieren und die Alternative – eine solide Berufslehre – verkümmert.

    Es wäre billig, jetzt an Tony Blairs Gelübde zu erinnern, er habe nur drei politische Ziele: "Education, education, education". Aber es ist politisch relevant, dass die britische Jugend gerade unter Labour auf die schiefe Bahn geraten ist. Denn wo sollen die frustrierten Wähler jetzt hin? Der Erfolg der eingewanderten Arbeitskräfte liefert eigentlich schon die Antwort: zu fremdenfeindlichen Parteien. Deshalb ist zu befürchten, dass die Erfolge der rechtsextremen, rassistischen British National Party bei den letzten Europawahlen nicht einen temporären Protest darstellten, sondern ein Omen.