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Verlorene Selbstkontrolle

Wer vom Guten reden will, darf vom Bösen nicht schweigen. Dies könnte das Motto des neuen Buches von Wolfgang Sofsky sein. Der Autor erkundet darin das Spektrum der Laster und Übeltaten.

Von U. C. Krupp | 22.03.2010
    Jeder Mensch ist, unabhängig von seiner kulturellen Zugehörigkeit, vor die Frage gestellt, wie er leben und handeln soll, welches Verhältnis er zu sich selbst und welche Beziehung er zu anderen haben will.

    Sofsky geht es nicht darum, zu beurteilen. Er beschreibt die zerstörerische Kraft der Leidenschaften. Insgesamt sind es 18 Laster, die er ausgiebig ergründet und vorstellt.

    Man wird von Gefühlen überwältigt, gibt sich seinen Vorlieben hin oder gehorcht blind seinen Gewohnheiten.

    Wolfgang Sofskys These ist, dass Laster nicht aus gezielter Willkür entstehen, sondern schlechte Gewohnheiten sind. Und seiner Ansicht nach handelt der Mensch vorwiegend situativ.

    Beruhigt sank er in die Kissen zurück, schloss für einen Moment die Augen und begann darüber nachzudenken, was an seinem Leben zu ändern sei und ob sich die fraglichen Angelegenheiten nicht auch morgen erledigen ließen.

    In Tagträume gleiten und sich den Forderungen des Alltags entziehen, nur in Gedanken handeln, nicht im Leben, daran erkenne man die Trägheit. Sofsky schaut sich die Muster der Unmoral genau an, verweist auf auffälliges Verhalten. Er beschreibt nicht nur, er typisiert. Ob Sofsky über Neid, über Geiz, Wut oder Feigheit schreibt, jedes Mal ordnet er nicht nur Eigenschaften zu. Er analysiert emotionale Räume.

    Der Neider möchte besitzen, was der andere besitzt, und wenn es nicht zu erlangen ist, so soll jeder doch zumindest verlieren, was er hat. Zugrunde gehen soll er in seinem Wohlstand, ersticken soll er in seinem Geld, verrückt werden soll er mit seiner Klugheit, verbrennen in Lob und Ansehen (...) Neid grassiert unter Fremden ebenso wie unter Freunden, Verwandten, Nachbarn und Kollegen.

    Nicht nur beim Neid ist das Verhältnis zwischen Menschen im Ungleichgewicht. Auch die Eifersucht braucht, um überhaupt entstehen zu können, den anderen.

    Eifersüchtig ist der Mensch nicht auf Dinge oder Eigenschaften, sondern auf das Verhältnis zwischen Personen. Eifersucht gibt es nur zu dritt. Der Erste fürchtet, den Zweiten an den Dritten zu verlieren. Denn der Zweite schenkt dem Dritten jene Aufmerksamkeit, Liebe und Anerkennung, die der Erste für sich reserviert glaubt.

    Der Eifersüchtige fühlt sich ausgeschlossen und entwertet, der Neidische missgönnt dem Anderen seinen Besitz. So entstehen gemeine Gefühle und Neigungen.

    Mit der Zeit verdichtet sich das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, zu dumpfem Ressentiment. Die Selbsterniedrigung erzeugt den Wunsch nach Selbsterhöhung. Die Enttäuschung schlägt um in Wut.

    Die großen Gefühle stören nicht nur das soziale Verhalten, sie verändern auch den Körper der Betroffenen, äußern sich in Aggression und auffälliger Mimik.

    Die Augenbrauen ziehen sich zusammen, ein scharfer Zug nagt an den Lippen. Es ist, als springe das Gesicht zum Angriff nach vorn. Jeder Nervenstrang ist gespannt, kurze Atemstöße fahren aus der Lunge, Schweiß überzieht die Stirn.

    Wolfgang Sofsky lässt es nicht bei der Beschreibung und Aufzählung der Laster. Er bindet sie in größere Kontexte ein: Religion, antike Mythen, Malerei. Schon die erste Geschichte in der Bibel erzählt von einer List, die nicht ohne Folgen blieb.

    Kaum entdeckten die Menschen das Böse, erkannten sie die Vorteile der Arglist.

    Aus Hinterlist oder Hochmut können Vorteile im Leben entstehen. War es in der Bibel die Schlange, die log und verführte. So sind es heute nach Ansicht des Autors, Vertreter bestimmter Berufe, bei denen List und Lüge zum Dialog gehören: Politiker, Athleten, Manager, Verkäufer, Makler zählt er auf.

    Die Primadonna verkündet lauthals, ihre Rivalin sei nicht bei Stimme. Der Kandidat für den Vorsitz verunglimpft seine Mitbewerber, indem er anrüchige Details aus ihrem Privatleben verbreitet. Der unterlegene Athlet verdächtigt den Sieger des Dopings. Und der selbsternannte Tugendwächter verbreitet gefälschte Tonbänder, um den Präsidenten der Sittenverderbnis zu überführen.

    Intrigen, Verschwörungen, Mobbing. Am interessantesten sind die Passagen des Buches, die zeigen, wie sich Laster und Untugenden in der heutigen Zeit äußern.

    Die Politik der Verschwörung durchzieht viele soziale Felder. (...) Firmen treffen heimlich Preisabsprachen (...) Manager sägen heimlich am Stuhl ihres Vorstandschefs oder bestechen Auftraggeber und Personalräte mit diversen Vergünstigungen.

    Wolfgang Sofsky gelingen 18 Kapitel über Laster und Leidenschaften, die sehr differenziert sind. Er zeigt eindringlich, wie aus großen Gefühlen Charaktere entstehen, die sich der Selbstkontrolle und gesellschaftlichen Regeln entziehen.

    Es sind nur wenige, die aus der Hölle herausfinden, um in der Einöde neu zu beginnen. Am funkelnden Nachthimmel ist kein Wolkenkranz zu sehen. Fern ist die Göttin der Vernunft, die vor Zeiten das Paradies befreit hat.

    Der Autor neigt zu sprachlichem Pathos, besonders am Ende des Buches. Außerdem vernachlässigt er leider die Aspekte Sucht und Kriminalität. Denn dahin verschlägt es viele derer, die von großen Gefühlen heimgesucht werden.

    Wolfgang Sofsky: Das Buch der Laster
    Verlag C. H. Beck
    272 Seiten, 17,90 Euro