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Verlust, emotionale Leere und Kampf um Anerkennung

Der Debütroman der Redakteurin und Literaturkritikerin Katharina Döbler ist eine Mischung aus Familien-, Liebes- und Gesellschaftsroman. Anhand ihrer Protagonistin Alexandra erstellt Döbler ein Psychogramm der Republik von den achtziger Jahren bis ins neue Jahrtausend.

Von Cornelia Staudacher | 06.06.2011
    Mit "Die Stille nach dem Gesang" präsentiert Katharina Döbler ihren Debütroman
    Mit "Die Stille nach dem Gesang" präsentiert Katharina Döbler ihren Debütroman (privat)
    "Das fing einfach damit an, ich hatte ein Theaterstück geschrieben und nachdem das rausgekommen war in Wien, hab ich das nächste angefangen und wollte einfach so 'nen hysterischen Monolog schreiben, von 'ner Frau, und hab dann gemerkt, dass mir das entgleitet, es wurde immer mehr und mehr und dann war die Figur da. So ist Alexandra entstanden, und dann hatte ich plötzlich diesen Impuls, weiterzumachen. Und dann gab's lange Pausen, und es gab irgendwie wenig Zeit und natürlich dann auch dieses blöde Mitdenken im Kopf, was man sich wirklich abgewöhnen muss, wie wird das von anderen gesehen, und man ist gleichzeitig sein eigener Kritiker, der einem im Nacken sitzt. Aber irgendwann war das weg und irgendwann war das die große Freiheit und war total schön."

    Die spürbare Begeisterung hat sich auf produktive Weise in dem Roman niedergeschlagen, bei dem es sich um eine Mischung aus Familien-, Liebes- und Gesellschaftsroman handelt. Der bereits im Titel anklingende musikalische Akzent findet sich in der Auseinandersetzung mit U- und E-Musik und deren soziologischen Implikationen. Geht doch die Differenzierung zwischen U- und E-Musik häufig mit einer gesellschaftlichen Hierarchisierung einher, die die Anhänger der E-Musik als die Klügeren und Gebildeteren ausweist.

    "Es ist auch ein Musikroman, wobei die Musik steht eigentlich für die Frage, was Kunst ist im Leben, und wie sich ernste Musik und Unterhaltungsmusik unterscheidet, und das ist ja auch so 'n bisschen ein Pars pro Toto, das soll irgendwie sagen, wo fängt das Hohe an, wo ist das Niedrige, und diese Auseinandersetzung wiederum, was ist oben, was ist unten, das ist eigentlich so 'n Thema, was ich versucht habe, im Roman auf verschiedenen Ebenen durchzuspielen. Insofern hat es was mit der Frau zu tun, es hat etwas mit dem Gefälle Mann-Frau zu tun, es hat was mit dem Gefälle sozial oben-unten zu tun, es hat was mit dem Gefälle zu tun, etabliert zu sein oder es nicht zu sein."

    Alexandra, die Protagonistin des Romans, kommt in den frühen neunziger Jahren aus der Enge einer süddeutschen Kleinstadt nach Berlin und will Rocksängerin werden. Schon bald aber lösen sich ihre eigenen Pläne in Wohlgefallen auf, als sie Falk Margraf trifft, einen in die Jahre gekommenen Sänger und Komponisten, dessen legendäre Band "Eckstein" einst eine ganze Generation mit ihren rebellischen Songs in Aufruhr versetzte. Sie nimmt zwar noch Gesangsunterricht, verwendet jedoch die meiste Zeit darauf, Falks Alltag angenehm zu gestalten und für ihn verfügbar zu sein. Als sein "Anhängsel" führt sie ein komfortables Leben im Schatten des bewunderten Mannes, der aus einer arrivierten, wohlhabenden Familie stammt, aus deren Banden er sich nicht zu lösen vermochte, obwohl er sich als musikalisch begabter Spross nicht, wie es die Familie gewünscht hatte, der ernsten Musik, sondern der Rockmusik und dem Musical verschrieben hat.

    "Also ein wichtiger Impuls für mich war, also ich wollte darstellen, wie verschiedene Milieus einander widersprechen, also Alexandra, ist das Mädchen, die kommt aus 'ner Familie, die eigentlich keine ist, also dysfunktional, sie hat keinerlei Ressourcen, sie hat kein Geld, sie hat keine Bildung, sie hat keine Hand im Rücken und versucht, was zu werden, und dann beschreibt sie relativ genau aus ihrer Sicht, wie solche bürgerlichen Essenseinladungen stattfinden und wie sie sich dabei fühlt, und sie hat immer das Gefühl, auch wenn sie bei diesen Gesangsabenden auftritt und singt vor Publikum, sie hat immer das Gefühl, sie ist 'ne Angestellte, oder wenn sie mit ihrem etablierten Freund auftritt, dann fühlt sie sich wie ein Stück Fleisch, also sie fühlt sich nicht zugehörig."

    In Falks Familie wird Alexandra nicht als ebenbürtig akzeptiert, schon gar nicht nach Falks plötzlichem Tod. Er stirbt an einem postkoitalen Herzinfarkt, am Abend seiner Rückkehr aus Madrid, wo er einige Wochen ohne Alexandra verbracht hatte. Mit diesem Tag wäre ihre Verbindung zu Falks Familie beendet gewesen, wäre da nicht Wanda, die Tochter, die in eben jener Nacht gezeugt wurde. Im Kampf um Anerkennung und Unterhaltszahlungen für ihre Tochter läuft Alexandra für ihre Verhältnisse zur Höchstform auf. Auch für ihr zweites Kind aus einer kurzen Liaison mit einem verheirateten Mann erhält sie Alimente. Als alleinerziehende Mutter mit zwei kleinen Kindern, als die wir Alexandra in den ersten Kapiteln kennenlernen – sie spielen im Jahr 2001 und Falks Tod liegt bereits acht Jahre zurück -, lebt Alexandra ziellos in den Tag hinein, kramt in Kisten mit alten Fotos und ergeht sich in Erinnerungen an die gemeinsame Zeit.

    "Es ist ja natürlich so, dass Alexandra wahnsinnig schlecht drauf ist, sie ist sehr depressiv, und sie ist auch traumatisiert und ist in einem Ausmaß mit sich selbst beschäftigt und unfähig, daraus zu gucken, das geht einem auf die Nerven. Bestenfalls tut sie einem leid, schlimmstenfalls müsste man sie erwürgen. Andererseits ist es ja so, sie hat ja versucht, ne Gelegenheit zu ergreifen, also reich zu heiraten, aber den zweiten Schritt, das auch in klingende Münze umzuwandeln, in Prestige für sich selbst, das hat sie nicht geschafft. Dazu hat sie, ja vielleicht nicht den Mumm, aber vielleicht auch nicht die Heuchelei. Sie fühlte sich klein und blieb klein neben dem Mann."

    Es gelingt der Autorin trotzdem, das Interesse an dieser eher blassen, antriebslosen Protagonistin lebendig zu halten, deren emanzipatorische Ambitionen nach einem selbstbestimmten Leben nach null tendieren. Weder wird sie der Lächerlichkeit preisgegeben, noch liegt der Autorin daran, die dem rollenspezifischen Beziehungsverhältnis innewohnende Tragik herauszuarbeiten, wie in Ibsens Nora oder Fontanes Effi Briest, die sich in vergleichsweise ähnlichen Situationen befanden.

    Gesellschaftskritisch relevant ist der die großbürgerliche Familie Margraf betreffende Paradigmenwechsel, der an den allmählichen Untergang der "Die Buddenbrooks" erinnert. Falks Geschwister haben sich entweder von der Familie losgesagt oder sind nicht mehr am Leben; die Einzige, die noch bei der Mutter lebt und Alexandra offene Antipathie entgegenbringt, ist Falks Schwester Isolde, deren Verhältnis zu ihrem Bruder Züge einer nibelungenartigen Geschwisterliebe trägt.
    Was die Struktur des Romans betrifft, so sind Einflüsse der Literatur der klassischen Moderne erkennbar, die zu Katharina Döblers bevorzugter Lektüre gehört, allem voran die Romane Virginia Woolfs. Bewusst hat sie auf eine lineare Struktur ihres Romans verzichtet und erzählt abwechselnd aus den Jahren 1993 und 2001, sodass sich erst im allmählichen Fortlauf der Lektüre ein in sich stimmiges Gesamttableau ergibt.

    "Natürlich ist Virginia Woolf für mich die Allergrößte, wobei ich weit davon entfernt bin, so radikal zu sein. Aber diese frühe Moderne finde ich wahnsinnig spannend. Das ist dieses Durchbrechen vom linearen Erzählen. Einfach dieses ne Geschichte nicht von vorn nach hinten Runtererzählen, sondern ne Struktur zu schaffen, die den Wahrnehmungen, Gefühlen, Zweifeln entspricht, also dieses Springen. Und ich würd' mich sprachlich viel weiter aus dem Fenster lehnen, aber ich möchte natürlich auch nicht hermetisch werden."

    Nicht hermetisch, aber aus einer kühlen, auf Objektivität bedachten Distanziertheit, in der gelegentlich lyrische Momente aufblitzen, erzählt die Autorin weniger von Gefühlen, Wünschen oder Ängsten der Protagonisten als vielmehr von Stimmungen, von emotionaler Leere, von ennuie und Lustlosigkeit und der damit einhergehenden inneren Frustration, die vor allem Alexandra auszeichnet, die als Angehörige einer relativ angepassten, der Rebellion überdrüssigen und wenig zuversichtlich in die Zukunft blickenden Generation durchaus etwas Zeitgemäßes hat.
    Es ist eine Stimmung, die an die frühen, im Italien der 50er-Jahre angesiedelten Filme Antonionis erinnert, aber auch in der heutigen Generation der Mittedreißigjährigen anzutreffen ist.

    Katharina Döblers Sprache ist prägnant, gewandt, unterlegt mit trockener Ironie. Sie hat ein Faible für die der Sprache innewohnende Doppelbödig-keit und für selbstironische, subkortikale Anspielungen, selbst auf die Gefahr einer kalauernden Anwandlung hin. Wenn Falk beispielsweise Alexandra in gönnerhafter Attitüde erklärt, "wie man sich beherrscht und drei Musikinstrumente dazu".
    Präzise fängt die Autorin das Lokal- und Zeitkolorit ein und erstellt ein Psychogramm der Republik von den achtziger Jahren bis ins neue Jahrtausend. Sodass es sich bei dem mit stiller Unaufdringlichkeit und in einem ruhigen, suggestiven Erzählfluss verfassten Debütroman der erfahrenen Schriftstellerin in erster Linie um einen Gesellschaftsroman handelt.


    Katharina Döbler: "Die Stille nach dem Gesang"
    Roman
    Galiani Verlag , Berlin 2010
    270 Seiten, 18,95 Euro