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Vermögenssteuer
"Entscheidend ist, dass die Gesellschaft nicht auseinanderfliegt"

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter beharrt auf die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Er begründet dies mit der sozialen Ungleichheit in der Bevölkerung. Die Vermögenssteuer sei das richtige Instrument, sagte Hofreiter im Deutschlandfunk.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 12.11.2016
    Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter
    Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter (Imago / Eibner)
    Ein gerechtes Steuersystem sei ein Baustein, erklärte Hofreiter. Die Mittelschicht, die sehr viele Steuern zahle, solle nicht den Eindruck bekommen, dass sich die reichsten Bürger "aus der Verantwortung stehlen". Die Vermögenssteuer sei in Deutschland unter Adenauer eingeführt worden und "13 Jahre unter Helmut Kohl erhoben worden". Er finde dieses Instrument nicht ungewöhlich für "unser demokratisches System". Konkrete Zahlen, ab wann große Besitztümer belastet werden sollten, nannte er nicht.
    Die Details müssten in einem Gesetzgebungsverfahren geregelt werden, betonte Hofreiter. Zugleich wies er darauf hin, dass die Steuerpolitik nur ein Baustein im Kampf gegen soziale Ungleichheit sei. Auch gehe es um bezahlbaren Wohnraum sowie den Missbrauch von Leiharbeit und Werksveträgen, die beendet werden müsse.
    Der Bundesparteitag der Grünen in Münster debattiert heute über die Vermögenssteuer. Der linke Flügel will sie wieder einführen, der Realo-Flügel setzt eher auf eine Reform der Erbschaftssteuer.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Schauen wir nach Münster. Dort treffen sich die Grünen zu ihrem Parteitag und der Parteitag hat im Vorfeld ja das eine oder andere Streitthema nach oben befördert: Wie geht es weiter in der Steuerpolitik, wer kann, wer soll, wer muss Bundespräsident werden, auch vielleicht aus den eigenen Reihen, und dann natürlich die Trump-Wahl, sie führt zu Verwerfungen. All das wollen wir bereden mit Anton Hofreiter von den Grünen, den ich jetzt am Telefon begrüße, guten Morgen, Herr Hofreiter!
    Anton Hofreiter: Guten Morgen!
    Zurheide: Herr Hofreiter, zunächst einmal, morgen kommt ja Daimler-Chef Zetsche zu Ihrem Parteitag, das ist sicherlich ein ungewöhnliches Signal. Bringt da Herr Kretschmann, Ihr Ministerpräsident, seine neuen Freunde mit?
    Hofreiter: Ich glaube, dass für uns Grüne immer entscheidend war, dass wir mit der Wirtschaft reden und uns streitig mit ihnen auseinandersetzen. Als wir den Atomausstieg gegen die Energiekonzerne durchgesetzt haben, mussten wir dazu auch mit ihnen reden, und das war sinnvoll, damit sie wussten, worauf sie sich einstellen können. Und wenn es jetzt darum geht, die Verkehrswende durchzusetzen, das heißt zu erreichen, dass erstens Mobilität für alle Menschen möglich ist, dass die Lebensqualität in Städten steigt und vor allem der Klimaschutz entsprechend funktioniert, muss man selbstverständlich auch mit der Autoindustrie reden und muss denen erklären, warum sie in Zukunft emissionsfrei Autos bauen müssen, die weder unser Klima ruinieren noch die Gesundheit der Menschen in den Städten.
    "Die Autoindustrie befindet sich in einer massiven Umbruchphase"
    Zurheide: Auf der anderen Seite, gerade in diesen Tagen haben Sie auch ganz persönlich das eine oder andere Hühnchen mit denen zu rupfen gehabt. Wenn ich da an die industriefreundlichen Grüße des Kraftfahrtbundesamtes denke, wenn es um die Zulassung von Autos geht, da hat man nicht das Gefühl, dass viele schon verstanden haben, was auf sie zukommt. Wie bewerten Sie denn im Moment die Autoindustrie?
    Hofreiter: Die Autoindustrie befindet sich in einer massiven Umbruchphase. Man könnte sagen, da kommen disruptive Entwicklungen auf sie zu. Oder man könnte es auch so bezeichnen, dass Sprunginnovationen ihnen bevorstehen. Und in solchen Zeiten finden auch innerhalb von großen Konzernen Lagerkämpfe statt, und bei der Autoindustrie und auch insbesondere bei der deutschen Autoindustrie gibt es starke Lagerkämpfe zwischen denen, Mensch, wir verdienen doch so gut an den Autos mit dem alten Verbrennungsmotor, lasst uns doch noch möglichst lang an denen festhalten, und denjenigen, die sagen, nein, Leute, eine ganz neue Technik, eine Digitalisierung und Elektrifizierung steht uns jetzt bevor. Und wenn wir uns darauf jetzt nicht voll stürzen, da massiv investieren, dann werden wir am Ende das Nachsehen haben. Und nicht nur aus Umweltgesichtsgründen, sondern wir werden ökonomisch das Nachsehen haben, nämlich die modernsten Autos werden sonst woanders produziert.
    Zurheide: Nun wird Herr Zetsche Ihnen was erzählen, aber was werden Sie ihm denn erzählen?
    Hofreiter Wir werden ihm erzählen, dass aus Umweltgründen, also aus Klimaschutzgründen, aus Gesundheitsgründen sie emissionsfreie Fahrzeuge produzieren müssen, allerdings auch aus ökonomischen Gründen. Nämlich, wenn die emissionsfreien Fahrzeuge in den USA produziert werden, in Asien produziert werden, in Japan produziert werden, dann ist es zwar für die Umwelt schön, aber für uns hier ein ökonomisches großes Problem. Das heißt, wir wollen, dass die Autoindustrie endlich die Stärke ihrer Ingenieurinnen und Ingenieure erkennt und die modernsten und saubersten Autos auch hier produziert.
    Zurheide: Kommen wir zu einem anderen Thema, Stichwort Steuerpolitik, da ist mir offen gestanden noch nicht so ganz klar, was die Grünen wollen. Also, es hat ja hinter den Kulissen – und Sie haben kräftig mitgemacht – Streit gegeben, Vermögensteuer ja/nein, der Kompromiss lautet jetzt so sinngemäß: für einige wenige, die ganz, ganz Reichen. Wer ist denn dann überhaupt ein ganz Reicher, und lohnt sich das dann noch?
    "Die Steuerpolitik ist ein Baustein neben vielen anderen Maßnahmen"
    Hofreiter: Entscheidend ist, dass wir dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft zusammenhält und nicht auseinanderfliegt. Und da ist ein gerechtes Steuersystem ein Baustein. Nicht der größte Baustein, ein kleiner Baustein eher. Es geht auch um bezahlbares Wohnen, es geht darum, dass es entsprechend gerecht im Bildungssystem zugeht. Aber es ist auch wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft, dass die Mittelschicht, die sehr, sehr viele Steuern bezahlt, nicht den Eindruck hat, das reichste eine Prozent der Gesellschaft stielt sich aus der Verantwortung, verabschiedet sich aus der Gesellschaft nach oben und trägt nichts zur Finanzierung dieser Gesellschaft bei. Und ich halte die Wiedereinführung einer Vermögensteuer für das richtige Instrument, um entsprechend den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken. Ich meine, die Vermögensteuer ist in Deutschland von Adenauer eingeführt und 13 Jahre unter Helmut Kohl erhoben worden, also, ich finde das jetzt nicht ein Instrument, das so ganz ungewöhnlich ist für unser demokratisches System.
    Zurheide: Wer ist denn dann ganz reich und wer soll nach Ihrer Auffassung demnächst Vermögensteuer bezahlen?
    Hofreiter: Ganz reich ist jemand, der mehrere Millionen beziehungsweise Milliarden hat, also, Multimillionäre und Milliardäre sind ganz reich.
    Zurheide: Haben Sie sich da schon festgelegt oder besteht da Einigkeit? Wenn ich jetzt Herrn Özdemir fragen würde, was sagt der mir dann?
    Hofreiter: Ich halte nichts von dieser ewigen Zahlenspielerei. Wir sind uns einig in den Zielen, man muss dafür Maßnahmen vorschlagen. Ich glaube, nicht Unmengen Maßnahmen, sondern eine Reihe von … die Maßnahme Wiedereinführung der Vermögensteuer. Und die Details, die legt man im Gesetzgebungsverfahren fest, wenn es so weit ist.
    Zurheide: Also auf Deutsch, da werden wir jetzt noch keine Antwort vor der Wahl kriegen?
    Hofreiter: Ich halte das einfach nicht für sinnvoll, weil, wissen Sie: Sie machen ein Wahlprogramm vor der Wahl, wo Sie die Ziele und Maßnahmen festlegen, aber nicht alle Details bis ins Letzte, nämlich, das funktioniert in der Praxis nicht.
    Zurheide: Man könnte auch sagen, Sie haben vielleicht Angst vor einem Steuererhöhungswahlkampf, das hat es ja auch schon mal gegeben. Die Grundfrage, die dahinter steht, ist ja die: Ist die Steuerpolitik geeignet, die Ungleichheit in Deutschland etwas, ja … der entgegenzutreten? Oder sagen Sie, Steuerpolitik ist grundsätzlich kaum geeignet, da braucht es andere Maßnahmen?
    Hofreiter: Es braucht viele Maßnahmen, aber man wird ja vor allem immer nach der Steuerpolitik gefragt. Und deswegen sage ich: Die Steuerpolitik ist ein Baustein neben vielen anderen Maßnahmen, wie dass wir wieder ausreichend bezahlbaren Wohnraum haben, wie dass wir zu Fragen wie Leiharbeit und Werksverträge den Missbrauch beenden, wie so Fragen, dass wir uns darum kümmern, dass die Zweiklassenmedizin beendet wird und wir eine funktionierende Bürgerversicherung kriegen, wie so Fragen, dass wir dafür sorgen, dass Menschen, die lange gearbeitet haben, im Alter nicht arm sind, wie so Fragen, dass wir dafür sorgen, dass wir durch eine vernünftige Absicherung von Familien mit Kindern dafür sorgen, dass kein Kind mehr in Armut lebt. Das ist ganz entscheidend, aber Steuerpolitik gehört auch dazu. Und es macht einen großen Unterschied, von wem die vielen Milliarden, die der Staat ausgibt für all diese Maßnahmen, erhoben werden. Und es macht einfach einen Unterschied, ob Multimillionäre und Milliardäre sich dem entziehen können oder ob sie dazu beitragen.
    "Herr Kretschmann ist ein hervorragender Ministerpräsident"
    Zurheide: Eine andere Frage ist, wie Sie die Verlierer der Gesellschaft in den Blick nehmen, gerade nach der US-Wahl wird das ja massiv diskutiert. Gibt es da eine neue Hinwendung der Grünen auch auf diese Klientel? Manchmal hatte man den Eindruck in Baden-Württemberg und anderswo, dass die gar nicht mehr so eine Rolle spielen. Ist das jetzt neu?
    Hofreiter: Nein, das ist nicht neu und das ist auch in Ihrer Frage eine gewisse Widersprüchlichkeit dazu, was wir gerade diskutiert haben. Denn wir haben ja gerade intensiv über Gerechtigkeitsfragen diskutiert und es macht natürlich auch für die Schwächeren der Gesellschaft einen Unterschied, ob der Staat ausreichend Geld, das er von den Superreichen nimmt, zur Verfügung hat, um für eine funktionierende Infrastruktur zu sorgen, das heißt um dafür zu sorgen, dass es eben zum Beispiel bezahlbaren Wohnraum gibt.
    Zurheide: Ja, aber das ist ja genau scheinbar umstritten in Ihrer Partei, deshalb frage ich da so intensiv nach, weil ich nicht ganz sicher bin, wem ich da glauben soll: Soll ich Ihnen glauben oder vielleicht der einen oder dem anderen bei Ihnen? Das ist für mich unklar im Moment.
    Hofreiter: Deswegen haben wir einen Parteitag, wir diskutieren. Und am Parteitag wird es entschieden und nach der Entscheidung ist es klar.
    Zurheide: Wunderbar. Geben Sie uns zum Schluss noch einen Hinweis zu Herrn Kretschmann, den haben wir jetzt ein-, zweimal angesprochen, ich habe es jedenfalls getan. Wird er Bundespräsident?
    Hofreiter: Herr Kretschmann ist ein hervorragender Ministerpräsident und macht das sehr, sehr gut. Und ich halte nichts davon, dass man immer wieder entsprechend Menschen, die hervorragende Arbeit in ihren Ämtern leisten, als Bundespräsidenten nennt, ohne dass klar ist, ob sie das werden wollen, ohne dass klar ist, ob es entsprechend ausreichend Unterstützung gibt. Herr Steinmeier ist ein hervorragender Außenminister als Beispiel und ich halte auch nichts davon, dass ständig sein Name dafür genannt wird.
    Zurheide: Na ja, Herr Kretschmann hat so gestern oder vorgestern sibyllinisch gesagt, na ja, wenn er denn gefragt werden würde, müsste er da mal intensiv drüber nachdenken. Das hieß auch nicht Nein.
    Hofreiter: Nein, das hieß auch nicht Nein, aber wir wollen nicht öffentlich jetzt hier im Radio spekulieren über die Zukunft von Herrn Kretschmann, sondern das klärt man mit ihm, ob er will oder nicht will. Und wie gesagt, im Moment ist er ein erfolgreicher Ministerpräsident.
    Zurheide: Dann machen wir ein neues Interview, Herr Hofreiter!
    Hofreiter: Das machen wir!
    Zurheide: Ich bedanke mich um 8:20 Uhr für diese Einschätzungen und Informationen von Anton Hofreiter von den Grünen. Danke schön, auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.