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Vernichtung von Gedanken ist "alltägliches Geschäft Regierender"

Vor 80 Jahren fand die nationalsozialistische Bücherverbrennung statt. Die Zerstörung von Gedanken habe es jedoch lange vor der Bücherverbrennung gegeben und es gebe sie bis heute, meint der Historiker Wolfgang Benz. Verbrennen sei die äußerliche Form, Zensur jedoch die eigentliche Vernichtung.

Wolfgang Benz im Gespräch mit Dina Netz | 09.05.2013
    Dina Netz: Viel ist in den vergangenen Monaten darüber gesprochen worden, wie schnell es den Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme im Januar 33 gelang, Deutschland gleichzuschalten. Dazu gehörte auch die Aktion wider den undeutschen Geist, die am 10. Mai 1933 in der öffentlichen Bücherverbrennung in 22 deutschen Städten gipfelte. Zehntausende Werke jüdischer, marxistischer, pazifistischer Schriftsteller wurden da ins Feuer geworfen. Es sollte ein Akt der innerlichen und äußerlichen Reinigung der Nation sein.

    Nun kann man sich, wenn man anlässlich des 80. Jahrestages daran zurückdenkt, schütteln vor Entsetzen und die Bücherverbrennung durch die Nazis als ein grässliches Stück Geschichte abtun, der Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz sieht aber durchaus Kontinuitätslinien bis heute, und welche, das wird er uns jetzt erklären. Guten Morgen, Herr Benz!

    Wolfgang Benz: Guten Morgen!

    Netz: Herr Benz, vielleicht rufen Sie uns zunächst in Erinnerung, was genau da am Abend des 10. Mai 33 geschah.

    Benz: Es ist nicht nur am Abend des 10. Mai geschehen, sondern am Abend des 10. Mai war in 22 Universitätsstädten die Bücherverbrennung insgesamt, in den folgenden Tagen und Wochen hat sich das noch aufgehäuft zu 70 solchen Akten. Und es war überall dasselbe Muster: Bücher, die aus Bibliotheken, aus Buchhandlungen von Studenten geholt worden waren, wurden in einem martialischen Ritual mit Brimborium auf Scheiterhaufen den Flammen übergeben, zusammen mit Feuersprüchen, die die Studenten aufsagten.

    Und was das besonders Traurige daran war, die Professoren im Talar, häufig auch Direktoren, waren anwesend, sprachen ebenfalls verdammende Worte, und am übelsten war das Spektakel in Berlin, wo sich der Reichspropagandaminister Goebbels persönlich vernehmen ließ, wo ungefähr 70.000 Zuschauer auf dem Opernplatz dabei waren, wie Bücher aus drei Möbelwagen verbrannt wurden.

    Netz: Ein martialisches Ritual, sagen Sie, wo der Geist in Flammen aufging. Wenn wir jetzt die Frage nach Kontinuitäten stellen, müssen wir vielleicht vorher kurz mal festhalten: In dieser Drastik war die Bücherverbrennung durch die Nazis doch zum Glück einzigartig, oder?

    Benz: Nein, auch das kann man nicht sagen. Es gab im Mittelalter, in der Renaissance berühmte Bücherverbrennungen, durch die katholische Kirche, man muss an Martin Luther denken, der ja nun auch sehr ritualisiert die Päpstliche Bulle, aber nicht nur die, sondern auch theologische, katholische Werke der Amtskirche verbrannt hat, und man muss an das Ritual der Studierenden auf der Wartburg im frühen 19. Jahrhundert, die genau das Modell der Bücherverbrennung der Nazis war, denken.

    Also das war immer sehr … wenn man Bücher verbrennt, ganz offensichtlich, so ist es die Sitte, dann wird man ganz feierlich und macht auch diese Barbarei noch zu einer angeblichen Kulturtat.

    Netz: Nun muss man keine Bücher verbrennen, um kritisch mit kritischem Geist umzugehen. Sie ziehen ja dann in der Nachfolge des Zweiten Weltkriegs durchaus eine Traditionslinie in die DDR-Zeit, wie da mit Zensur umgegangen wurde, und auch in die Bundesrepublik. Vielleicht können Sie das kurz erklären, wie das sozusagen fortwirkte.

    Benz: Ja, ich denke, man … der Abscheu, der Schauer in Gedenken über diese Barbarei in der Nazizeit sollte uns nicht vergessen lassen, dass Vernichtung von Gedanken, von Geist, ein relativ alltägliches Geschäft Regierender ist. Wieso geht man mit Unliebsamem um? Das Verbrennen ist die äußerliche, feierliche Form, das Verbieten, die Zensur, ist dann die eigentliche Form der Vernichtung. Das kennen wir aus der Geschichte der DDR, wo so und so viel Literatur gar nicht erst in die Bibliotheken kam oder nur im Giftschrank war, aber auch in der alten Bundesrepublik wurde etwa von Adenauer und seinem Ministerialdirigenten Globke einmal versucht, ein unliebsames Buch, und zwar über Globke im Dritten Reich, zu verhindern.

    Das machte man natürlich mit subtileren Methoden, da ruft man dann beim Verlag an und sagt dem Verlag, ihr werdet nie wieder einen öffentlichen Auftrag in irgendeiner Form bekommen, wenn ihr dieses Buch drucken werdet. Also das Beseitigen, das Zerstören von Gedanken gab es lange vor den Bücherverbrennungen, und es gibt es immer noch bis zum heutigen Tag, wenn etwa amerikanische Evangelikale den Koran verbrennen, ebenfalls mit feierlichem Brimborium versehen.

    Netz: Ja, ich wollte gerade da nachhaken, Herr Benz, denn Sie halten ja morgen zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung in der Berliner Akademie der Künste einen Vortrag, den ich auszugsweise schon lesen durfte, und in dem es unter anderem heißt: "Die Tat" – damit ist die Bücherverbrennung gemeint – "ist nicht abgesunken in eine Vergangenheit, die historisch und überwunden ist. Das Ereignis, die Attitüde, für die es steht, sind hochaktuell." Das müssen Sie jetzt bitte ein bisschen genauer erklären.

    Benz: Die Erklärung ist ja, glaube ich, ganz, ganz naheliegend. Wenn eine Regierung einem – ich spreche jetzt von der Türkei – einem Pianisten wegen kritischer Äußerungen …

    Netz: Fazil Say meinen Sie.

    Benz: … in literarischer Form den Prozess macht, wenn ein chinesischer Künstler, weil er einen Preis in Deutschland bekommt, einen Filmpreis, den nicht abholen darf, wenn ein iranischer Künstler verfolgt wird, weil er das Verbot der Freiheit des Wortes in seinem Heimatland dadurch umgeht, dass er im Ausland publiziert, dann steht das aber haargenau und absolut in der Tradition der Bücherverbrennung. Man will den feindlichen Gedanken aus der Welt schaffen und möglicherweise auch dann den Träger und den Erfinder des Gedankens. Das ist das berühmte Heine-Zitat: "Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen."

    Netz: Herr Benz, wenn ich Sie richtig verstehe, dann sollte der morgige Gedenktag also nicht nur dem Rückblicken dienen, sondern eher auch dem sich Umblicken?

    Benz: Ja, ich denke, das ist der eigentliche Sinn des Gedenkens, wenn man sich nur versammelt, um Dichter, Worte der damals verbrannten, zu rezitieren, und dann traurig darüber, dass da vor so vielen Jahren so Schreckliches geschehen ist, nach Hause geht, und sich freut, dass man heute auf der sicheren Seite ist, dann hat man etwas ganz Wesentliches nicht bedacht, dann hat man ganz Wesentliches vergessen, nämlich Erinnerung und Gedenken hat seinen Sinn darin, dass wir das auf die Gegenwart übertragen, das wir in der Gegenwart wachsam sind, wenn sich so etwas wiederholt, dass wir dann protestieren, wenn der Geist wieder vernichtet werden soll.

    Netz: Der Historiker Wolfgang Benz war das zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten. Vielen Dank!

    Benz: Bitte sehr!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.