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Verpflanzte Gene

Biologie. - Bei der Veredlung von Obstbäumen und Weinreben werden Teile einer Pflanze auf eine andere transplantiert. Bislang ging man davon aus, dass die kombinierten Teile genetisch unabhängig nebeneinander her wachsen. Aber es kommt sehr wohl zu einem Gentransfer zwischen den Pflanzenteilen. Auf die Spur dieses Vorgangs sind die Potsdamer Forscher gekommen, als sie eine Veredelungstechnik aus dem Gartenbau genauer untersuchten.

Von Philipp Graf | 04.05.2009
    Eine Organverpflanzung ist im Gartenbau eine relativ einfache Operation: Man durchtrennt zwei Pflanzen sauber in der Mitte ihrer Sprossachse, setzt auf die untere Pflanze mit der Wurzel das obere Teil der anderen Pflanze, wickelt einen Verband darum und schon bald verwachsen die neuen Partner miteinander. Seit Jahrhunderten wird die "Pfropfung" erfolgreich genutzt, um etwa Obstbäume oder Weinreben zu veredeln. Doch Pfropfen ist keine Erfindung des Menschen, sagt der Potsdamer Pflanzenphysiologe Ralph Bock:

    "Wenn Wurzeln sich im Boden treffen, dann können sie miteinander verschmelzen, und so können ganze Netzwerke von Wurzeln aus unterschiedlichen Pflanzen, Bäumen zum Beispiel, entstehen. Und jeder hat in der Natur schon mal Baumstämme gesehen, die sehr eng miteinander zusammengewachsen sind, so genannte Zwillingsbäume oder man nennt sie manchmal auch sich küssende Bäume. Das sind Beispiele für natürliche Pfropfung."

    Die Forscher vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie interessierten sich bisher dafür, wie Gene innerhalb einer Pflanzenzelle ausgetauscht werden. Doch nun wollten sie wissen, ob ein Erbgutaustausch auch zwischen verschiedenen Zellen möglich ist. Nach einem solchen Gentransfer-Mechanismus suchen Evolutionsbiologen schon seit längerem. Die Pfropftechnik lieferte nun erstmals Hinweise.

    "Die ursprüngliche Idee war, dass bei einer Pfropfung die Gewebe miteinander verwachsen, ohne dass die Zellen ihre genetische Information miteinander austauschen, ohne dass sich die Gene dieser Zellen miteinander vermischen. Das haben wir kritisch mit unseren Experimenten überprüft, und haben festgestellt, dass das so nicht korrekt ist, sondern dass es gelegentlich zu solchen Austauschprozessen kommen kann."

    Um den Weg der Gene sichtbar zu machen, haben die Forscher Tabakpflanzen gentechnisch verändert. Jede Pflanze erhielt ein anderes Antibiotikaresistenzgen. Die Forscher pfropften nun Pflanzenteile in verschiedenen Kombinationen zusammen. Überraschend häufig entwickelten sich an der Kontaktzone einige Zellen, die beide Resistenz-Merkmale in sich vereinigten. Ein Beleg für eine Genübertragung. Sie wird auch stabil weitervererbt: Züchtet man diese Zellen im Labor, so können daraus sogar komplette Pflanzen heranwachsen. Die Forscher nennen sie Gentransfer-Pflanzen. Ganz ähnliche Vorgänge laufen in der Natur ab, sagt Ralph Bock:

    "Viele Leute haben so den Glauben, dass die Gentechnik etwas ist, was nur im Labor stattfindet. Das ist ein Beispiel dafür, dass die Natur selbst Gentechnik betreibt, weil dieser Prozess der Pfropfung ein Weg ist, wie Gene Artgrenzen überwinden können, wie zum Beispiel eine natürliche Pfropfung sagen wir zwischen Birke und Buche, Gene zwischen den unterschiedlichen Pflanzenarten ausgetauscht werden."

    Die Natur kann auf diesem Weg also selbst "transgene" Organismen erzeugen. Für Ralph Bock ist diese artübergreifende Genübertragung auch eine wichtige Triebfeder in der Evolution der Pflanzen. Doch noch ist unklar, auf welchem Weg Erbmaterial zwischen Pflanzenzellen wandert. Auch in welchem Umfang Erbgut-Abschnitte übertragen werden, wird derzeit untersucht. Schon jetzt denken die Forscher über eine mögliche Anwendung der Technik in der modernen Pflanzenzüchtung nach:

    "Wir testen momentan die Möglichkeit, dass wir auf diese Art Gene zwischen Pflanzenarten hin und her transferieren können, insbesondere die Möglichkeit dass Pflanzenarten, die sehr schwer gentechnisch zu verändern sind, durch Pfropfung die gewünschten Gene bekommen aus einer Pflanzenart, die sehr einfach gentechnisch zu verändern ist."

    So ist es bereits gelungen die genetische Modellpflanze Tabak mittlerweile mit Tomaten- und Kartoffelpflänzchen zu kombinieren. An diesen Exemplaren wollen die Pflanzenforscher genau beobachten, wie der Genaustausch zwischen den unterschiedlichen Arten funktioniert.