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Verquerte Köpfe

Die New Yorker Geschichten, die Dorothy Parker erzählt, sind zu einem großen Teil Umschreibungen der Einsamkeit. Als Fluchtpunkt wählt die 1893 geborene Autorin das gesellschaftliche Leben und die spöttische Kommentierung des Geschehens. Aus dieser Haltung heraus schreibt sie zum Beispiel "Aus dem Tagebuch einer New Yorker Lady": Diese Lady agiert stellvertretend für Frauen, die sich mit Übersteigerungen beruhigen: was sie sehen und hören, ist göttlichst, himmlischst oder aber unsäglichst, schrecklichst.

Von Hans-Jürgen Heinrichs | 27.09.2004
    sowas von wütend ... sowas von graziös ... sowas von empört ... sowas von erledigt ...

    Durch Techniken, wie serielle Reihungen und die karikaturhafte Überzeichnung von Verhaltens- und Sprechweisen, sollen die klischeehaften und lächerlichen Rollenmuster in den Attitüden und Dialogen decouvriert werden: ein blondes Gift lernt eine "Menge Männer" kennen, verbringt mit ihnen eine "Menge Abende", und sie finden einander "fabelhaft". Die Frauen sind erfüllt von Phantasmagorien über den fernen Geliebten - sie ist überrascht und freudig erregt, ihn gerade heute am Telefon zu haben, während er ihr nur sagen will, dass er jetzt etwas Besseres vorhat.

    Ihr Mann hatte telefoniert, ein Ferngespräch, um ihr von dem Urlaub zu berichten. Sie hatte den Anruf nicht erwartet, und sie hatte sich keine Sätze zurechtgelegt. Sie vertat volle Sekunden, um zu erklären, wie überrascht sie war, ihn zu hören, und zu berichten, dass es in New York stark regnete, und zu fragen, ob es bei ihm sehr heiß sei ... "Ach, leg noch nicht auf", sagte sie. "Bitte. Lass uns noch eine Minute reden, nur noch eine" - "Schätzchen, ich muss gehen", sagte er. "Die Jungs wollen schließlich alle mal ans Telefon. Bin heute in einer Woche bei dir, gegen fünf. Tschüs."

    Im Unglück und in der Sehnsucht nach dem Glück wissen sich die Frauen untereinander verbunden. Wenn ihnen das Allerschrecklichste und Unglaublichste passiert, telefonieren sie; wenn sie darniederliegen, mildern sie ihr Leid durch Sentimentalität und Hysterie (sprich: "totaler Nervenzusammenbruch") und richten sich durch weibliche Selbstinszenierungen wieder auf.

    Ihr persönliches Leben gestaltete die 1967 in einem New Yorker Hotel gestorbene Parker wie ein Film-Drehbuch: Auch ihre zweite Ehe mit Alan Campbell scheiterte, aber sie heiratete den Mann wieder, der Selbstmord begeht; sie schneidet sich die Pulsadern auf und wird gerettet... So tragisch und komisch sind auch ihre Geschichten; doppelbödig, grell und doch ganz und gar gewöhnlich. Der Leser befindet sich in einer Welt, die ihn großenteils erheitert und die er, sofern er kein Masochist ist, doch nicht teilen möchte. Man weiß, genauso passiert es unablässig zwischen Männern und Frauen, Männern und Männern, Frauen und Frauen: haarscharf rasen sie in ihren Gesprächen aneinander vorbei, unmöglich sich mitzuteilen (Ich dachte, du dachtest ...). Und sie pflegen das dumpfe Gerede vom Neuanfang im Stile von "Wir versuchen es noch einmal". Dies sind archaische, kulturübergreifende Muster.

    Parkers Short Storys handeln von gut aussehenden jungen, gleichgültigen Männern (gebunden an die Zwänge des lonely woolf etwa) und von vereinsamten Frauen (die sich nie von ihren Phantasien lösen werden), von Klatsch und Tratsch und Alltäglichem, Menschlich-Allzumenschlichem.

    "Hör zu!" sagte sie. "Jack, du gehst jetzt nicht weg! Hilf mir, Liebling. Sag irgendwas, damit ich die Nacht überstehe. Sag, dass du mich liebst, um Gotteswillen, sag, dass du mich noch liebst, Sag es. Sag es."
    "Du, ich kann jetzt nicht reden", sagte er. "Das ist ja grausam hier. Ich schreibe dir morgen früh, gleich als erstes. Machs gut. Danke für den Anruf."
    "Ich will auch ruhig reden. Und nicht weinen. Ich will so sprechen, dass du mich verstehst. Bitte, Schatz, bitte -"
    "Fertig mit Detroit?" sagte die Stimme vom Amt.
    "Nein!" sagte sie. "Nein, nein, nein! Geben Sie ihn mir, geben Sie ihn mir sofort wieder!"


    Was die Geschichten vorantreibt, ist die Lust, dem Unglück, den Eitelkeiten, der Langeweile und Ödnis ein heiteres Aussehen zu geben und einen Eindruck davon zu vermitteln, wie eigenartig parallel und verquer ständig alles in unseren Köpfen und Körpern und zwischen den Menschen abläuft. In der gesprochenen Version gelingt es Elke Heidenreich, die feinen Töne und Schwingungen auszuloten, die sich verbergen in dieser ironischen Selbst-Performance, in der Freude am Schnoddrigen und Passageren teilweise scharfzüngiger Beschreibungen des Lebens, der Liebe und des Alltags.

    Ollie und ich zum Essen in der Achtunddreißigsten East, unsagbare Giftküche, und kein lebendes Wesen da, mit dem man auch nur als Leiche zusammen gesehen werden möchte, und "Run Like A Rabbit" eine Weltpleite. Habe Ollie danach mit zu der Party bei den Barlows genommen, sowas von bezaubernd - mehr ausgesprochene Stinktiere auf einem Haufen gibt"s ja nicht. ...

    In dieser Minute ist das Allerschrecklichste passiert. Mir ist ein Nagel komplett abgebrochen. Das ist ausgesprochen das Schlimmste, was mir je im Leben passiert ist. Habe Miss Rose angerufen, sie soll sofort rüberkommen und ihn mir zurechtfeilen, aber die ist den ganzen Tag unterwegs. Habe Ollie zu der Party bei den Ballards mitgenommen; der Gipfel: Sie hatten diese Ungarn mit den grünen Röcken, und Stevie Hunter hat dirigiert, mit einer Fresie - zum Schreien ...


    Erzähltes New York der zwanziger und folgenden Jahre; Management des Lebens und seiner literarischen Wahrheit. Hochgradig vernetztes Großstadtleben und dabei so intim wie im Wohnzimmer. Freilich: Den Blick in die menschlichen Abgründe aufseiten der Männer und der Frauen könnte man noch schärfen: Erstaunlich, dass in einigen von Parkers Geschichten gar nichts zu spüren ist von ihrem gerühmten feministischen Selbstbewusstsein; oft genug - zum Beispiel in "Du warst ganz prima" oder "New York - Detroit" - erschöpfen sich die Storys in albernen Dialogen, bei denen der Frau eine erbärmliche Opferrolle zugesprochen wird. Sie scheint bereit zu sein, besoffenen jungen Männern lächelnd und unterwürfig zu verzeihen, im Stile von: "Du warst prima ... Alle waren begeistert von Dir."

    "Und dann gestern Abend - oh, Peter, mein Liebchen, ich glaube, diese Taxifahrt war das Wichtigste, was uns im Leben je passiert ist."
    "Ja", sagte er. "Das kann ich mir durchaus vorstellen."
    "Und wir werden zusammen so glücklich sein", sagte sie. "Ach, ich würde es am liebsten allen erzählen! Aber ich weiß nicht - ich glaube, es wäre vielleicht viel netter, wenn wir es ganz für uns behalten würden."
    "Das glaube ich auch", sagte er.
    "Ist das nicht herrlich?" sagte sie.
    "Ja", sagte er. "Großartig."
    "Herrlich!" sagte sie."

    In diesen Fällen verbleibt die Autorin in der Reproduktion von Klischees und Stimmungen, ohne sie überzeugend ironisch oder sarkastisch zu brechen. In anderen Geschichten wird dann die Geschwätzigkeit der Frauen und ihre sklavische Unterwerfung unter die Projektionsfigur Mann - sie möchte sprechen, er hat meistens keine Zeit und keine Lust - wieder als Persiflage deutlich.

    Die Mädchen saßen Seite an Seite an ihren Schreibtischen, sie nahmen jeden Tag zusammen das Mittagessen ein, zusammen machten sie sich am Ende des Arbeitstages auf den Heimweg. Viele ihrer Abende und die meisten ihrer Sonntage wurden in Gesellschaft der anderen verbracht. Häufig schlossen sich ihnen zwei junge Herren an, doch keinem solchen Quartett war Dauer beschieden; die zwei jungen Männer machten schon bald, unbeweint, zwei anderen jungen Männern Platz, und Weinen wäre auch wirklich unangebracht gewesen, da die neuen Begleiter kaum von ihren Vorgängern zu unterscheiden waren.

    Am Ende überzeugen die Geschichten insgesamt mehr in der Hörbuch-Version: man ist eher bereit, sich über die Rollenspiele der Geschlechter zu amüsieren und dem Mythos Dorothy Parker zu huldigen - wie auch immer man es finden mag, dass sie angeblich von Männern nur verlangte, sie sollten gut aussehen, skrupellos und dumm sein; dass sie einen ständigen "Flirt" mit dem Selbstmord gepflegt haben soll und auf die Frage, was sie am meisten zu ihrer Arbeit inspiriert habe, antwortete: "der Geldmangel".

    Dorothy Parker
    New Yorker Geschichten
    Kein und Aber Verlag Zürich, 410 S., EUR 19,,-