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Verräterisches Zwitschern

Über den Kurznachrichtendienst Twitter teilen Internetnutzer der Welt nicht selten ganz bewusst mit, wo sie sich gerade befinden. US-Forscher haben nun festgestellt, dass viele Menschen ihren Aufenthaltsort in Tweets aber auch unabsichtlich preisgeben.

Von Thomas Reintjes | 09.09.2013
    Ein Blick auf das Twitter-Profil von @chrisweidemann verrät nicht viel. Gerade einmal 14 Tweets hat der Nutzer zum Zeitpunkt dieser Aufnahme abgesetzt.

    Er sei schon immer jemand gewesen, der Wert auf seine Privatsphäre legt, sagt er im Skype-Interview. An der University of Southern California hat Christopher Weidemann untersucht, wie viel Ortsinformationen Menschen bei Twitter preisgeben. Er programmierte eine Software und ließ sie Nachrichten amerikanischer Nutzer auswerten. Nur ein kleiner Teil, rund vier Prozent, enthielt GPS-Koordinaten. Twitter-Anwendungen auf Smartphones können solche Ortsangaben in die Nachrichten einfügen - ein Großteil der Nutzer scheint diese Funktion abgeschaltet zu haben. Aber:

    "Wir haben auch festgestellt, dass wir für bis zu 20 Prozent der Twitter-Nachrichten angeben können, aus welchem Häuserblock sie wahrscheinlich stammen. Das heißt, bei einem von fünf Tweets können wir sagen: Wir glauben, dieser Tweet kommt von diesem Ort. Auch ohne verfügbare GPS-Koordinaten können wir diese Nachrichten lokalisieren."

    Dafür analysiert der Master-Student den Inhalt der Nachrichten. Eine Verabredung in einem bestimmten Restaurant kann er genauso in eine digitale Ortsangabe umrechnen wie einen sogenannten Hashtag, mit dem jemand beispielsweise bekannt gibt, dass er an einer Veranstaltung teilnimmt. Der Forscher geht davon aus, dass Twitter-Nutzer so oft unabsichtlich ihren Aufenthaltsort preisgeben – allein aus dem Kontext lässt sich teilweise erkennen, ob jemand von zu Hause oder aus dem Büro twittert. Es fänden sich so viele Ortsangaben, dass es sich für Dritte lohnen könne, die Daten für ihre eigenen Zwecke auszuwerten, schreibt Weidemann in seiner Studie.

    "Es ist bekannt, dass viele Unternehmen und auch Geheimdienste solche Werkzeuge benutzen, um Informationen über uns zu erlangen. Ich möchte die Menschen nicht nur darüber informieren, dass sie riskieren, Opfer von Dingen wie Cyber-Stalking zu werden, sondern die Leute sollen auch wissen, dass Dritte Geld mit diesen Informationen machen. Es sollte ein Werkzeug geben, mit dem man seine Orts-Fußabdrücke sichtbar machen kann, um dann entsprechend zu handeln."

    Ein solches Werkzeug hat Weidemann gleich selbst ins Netz gestellt. Auf seiner noch nicht ganz ausgereiften Seite geosocialfootprint.com kann man sich den Geo-Fußabdruck jedes Twitter-Nutzers ansehen. "No Risk" gibt die Seite für @chrisweidemann aus. Ganz anders beim Profil @mspro: High Risk. Zehn seiner letzten 200 Nachrichten enthielten GPS-Daten. Bei 50 Tweets konnte die Software Ortsnamen im Text finden. Zusätzlich gibt die Seite eine Warnung aus. Der Wohnort des Twitter-Nutzers sei vermutlich Wrangelstraße, Ecke Zeughofstraße in Berlin.

    "Das ist nicht ganz genau, aber es ist schon sehr nah dran."

    Der Twitter-Account gehört Michael Seemann, Kulturwissenschaftler, Blogger und Datenschutz-Kritiker. Er teilt seinen Aufenthaltsort generell im Internet öffentlich anderen mit.

    "Es mag sein, dass dieser Algorithmus das herausrechnen kann, wo ich wohne, aber damit hat er dann nichts voraus allen anderen, denen ich das sowieso schon sage."

    Flucht nach vorn. Mancher mag dagegen nicht so offen mit seinem Aufenthaltsort umgehen. Und Michael Seemann versteht das, etwa wenn jemand viel Bargeld hütet oder Angst vor Stalkern oder Extremisten hat.

    "Von diesen Leuten kann ich das absolut nachvollziehen, dass sie nicht ihre Informationen im Netz haben wollen. Und ich finde das gut, wenn man sich damit sehr, sehr bewusst auseinandersetzt. Die meisten Leute haben solche Probleme hoffentlich nicht und brauchen sich deswegen auch nicht so große Sorgen zu machen."

    Ein Blick auf Chris Weidemanns Seite kann trotzdem die Augen öffnen, in Zukunft soll die Analyse dort noch detaillierter und besser werden. Weidemann selbst hat, nachdem seine eigene Software seine Tweets untersucht hatte, einige Nachrichten gelöscht.