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Verrückte Wissenschaftler auf Turbo-Speed

Friedrich Dürrenmatts Klassiker "Die Physiker" spielt in einem Irrenhaus. Und Herbert Fritsch inszeniert dieses Stück völlig irre, verwandelt die Bühne in einen Zirkus.

Von Christian Gampert | 20.10.2013
    Irre, völlig irre ist das, was sich auf der Bühne des Züricher Schauspielhauses abspielt. Womit wir schon mitten im Problem dieses überdrehten Herbert-Fritsch-Theaters sind: Ist es besonders intelligent oder originell, ein Stück, das im Irrenhaus spielt, völlig irre zu inszenieren? Sagen wir mal: Es ist mäßig interessant, dem Publikum zu erzählen, die Wiesen seien grün, der Himmel blau und die Welt ein Irrenhaus, worin die angeblich Wahnsinnigen wie die Wahnsinnigen herumhampeln. Solcherlei Pleonasmen werden im Gegenwartstheater zwar ständig geboten; bei Herbert Fritsch aber sind sie noch mal besonders aufgeblasen durch hysterische Körperaktivitäten aller Art, die die Bühne in einen Zirkus verwandeln und die Schauspieler in Mitglieder eines Turnvereins.

    Fritsch beginnt mit einem gefrorenen Standbild und hört auf mit Loops, in denen die Figuren ständig durcheinanderhüpfen und über sich selber stolpern. Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd, die eiserne Jungfrau, sitzt wie Nosferatu mit Halbglatze und Turmfrisur oben am Rand des schaumstoffgepolsterten grellgelben Irrenkessels und beobachtet die Kür ihrer Patienten, die hauptsächlich in Bodenturnen und HB-Männchen-artigem Die-Wände-Hochlaufen besteht.

    Die drei angeblich irren Physiker, ziemlich grau und mit Haaren, die ihnen bis über den Hintern hängen, sehen aus wie verrentete Zombies aus der Hippie-Ära, die aber trotz ihres Alters dann sehr gelenkig ihre Kunststückchen abliefern. Einstein streckt uns überraschenderweise immer die Zunge raus, Newton kämpft mit der Gravitation und wird purzelbaumartig über die Bühne gewirbelt. Möbius, der dritte, der die Menschheit vor seinen weltvernichtenden Entdeckungen bewahren möchte, hat Eheprobleme und wird von seinen Kindern besucht, die wahrhaft ohrenbetäubend die Blockflöte bedienen. Seine Frau, ein autoritäres Monsterweib, hat inzwischen einen Missionar geheiratet, auch er offenbar als Turner ausgebildet, mit dem sie auf die Marianen auswandern will.


    Dem Zuschauer, der dies alles mit Recht für absurd und albern hält, sei gesagt: Diese Versuchsanordnung war einst eines der moralischsten Stücke der Nachkriegszeit. Es wurde 1962 im Züricher Schauspielhaus uraufgeführt. Und Herbert Fritsch, der das Remake nun an gleicher Stelle inszeniert, bemüht sich nach Kräften, Dürrenmatts Dramentheorie gerecht zu werden – nach der der Zufall Regie führt und der Theaterabend die schlimmstmögliche Wendung zu nehmen habe. Diese Forderungen werden in Zürich vorbildlich erfüllt: Keine Pointe wird ausgelassen. Rein sprachlich heißt das, zum Beispiel, dass aus dem Planeten Uranus der Ur-anus wird. Und körperlich, dass das Publikum mit Veitstänzen beglückt wird und mit persiflierter Sexualität, die sich in Geröchel und aufgeklappten Schenkeln äußert.

    Denn die hingebungsvollen Krankenschwestern, die in der Kurklinik das Regiment führen und dann leider gemeuchelt werden, liegen und lehnen ständig in aufreizenden Posen auf der Bühne und unterstützen ihre pflegerische Tätigkeit mit viel Brust und Bein. Die Schwestern werden dann ersetzt durch eine Riege hünenhafter Männer, die das Theater offenbar beim Schweizerischen Turnerbund ausgeliehen hat und die uns mit possierlichen Salti beeindruckt. Und über allem thront die psychotische Irrenärztin, hier gespielt von Corinna Harfouch, die die Rolle zu einem Exerzitium der Exaltation macht.

    Es ist manchmal sinnvoll, zu fragen, für wen dieses Kasperltheater eigentlich veranstaltet wird. Nun, einerseits natürlich für die Kritiker, die den Marktwert des Züricher Theaters bestimmen sollen. Also: Zürich ist ganz toller Zirkus und er wird aufgeführt. Zweitens für die oberen Zehntausend, die im Foyer ihren Sekt trinken und dann wieder in ihre Banken in der Bahnhofstraße gehen, um die Welt zum Irrenhaus zu machen. So hat in Zürich alles seine Ordnung.

    Und wer falsch parkt, zahlt 40 Franken Buße.