Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Versandhandel
Verdi bestreikt Amazon am Schwarzen Freitag

Mit Streiks und Demonstrationen kämpfen Amazon-Beschäftigte an den großen deutschen Standorten für einen Tarifvertrag. Seit fast fünf Jahren versucht die Gewerkschaft Verdi vergeblich, dem US-Unternehmen den Versandhandelstarif abzutrotzen.

Von Anke Petermann | 24.11.2017
    Streik bei Amazon: Ein Teilnehmer einer Kundgebung hat am 24.11.2017 in Leipzig (Sachsen) vor dem dortigen Standort des Online-Versandhandels Amazon die Faust geballt. Die Gewerkschaft Verdi hat am Freitag die Mitarbeiter mehrerer Amazon-Standorte in Deutschland zum Streik aufgerufen. Der Ausstand fällt auf den Rabatt-Tag "Black-Friday", an dem Einzelhändler bundesweit mit günstigen Angeboten locken.
    Die Gewerkschaft Verdi hat die Mitarbeiter mehrerer Amazon-Standorte in Deutschland zum Streik aufgerufen (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)
    Im strömenden Regen ziehen rund 150 Amazon-Beschäftigte in neongrünen Westen durchs Koblenzer Zentrum. Sie wollen sich mit Monatslöhnen von 1.800 Euro im ersten und 2.200 Euro brutto ab dem zweiten Beschäftigungsjahr nicht abspeisen lassen. Die meisten verschweigen ihre Namen aus Angst um den Job, ein Packer gibt zu:
    "Der Arbeitgeber hat dieses Jahr gute Lohnerhöhung gemacht, aber es ist für eine Familie mit drei Kindern immer noch zu wenig. 1.800 im dritten Jahr - netto, meine ich jetzt."
    1800 netto, davon kommt der Familienvater nicht über die Runden. Mit einem Tarifvertrag der Versandhandelsbranche bekäme er, so rechnet Verdi vor, statt knapp 27.000 Euro brutto im Jahr mehr als 31.000, darin enthalten Urlaubsgeld, das Amazon nicht zahlt, 1000 Euro mehr Weihnachtsgeld als derzeit und zwei Tage mehr Urlaub, außerdem tarifliche Altersvorsorge. Amazon entlohnt die 12.000 Beschäftigten deutschlandweit angelehnt an den niedrigeren Logistiktarif. 2.200 brutto im Monat – Rainer aus der Wareneinlagerung fürchtet Altersarmut.
    "Das macht sich bemerkbar irgendwann in 40 Jahren, wenn es an die Rente geht, dass man die entsprechenden Sätze nicht erreicht und dann unter Sozialhilfe rutscht eventuell."
    Eine junge Mutter an der Bushaltestelle hat große Tüten mit Windeln und anderen Drogerie-Waren am Kinderwagen hängen und fühlt mit den Demonstranten, die durch die Koblenzer Innenstadt ziehen.
    Schuften für 'n Appel und 'n Ei
    "Die Leute haben eine Menge Arbeit, gerade an Weihnachten oder an Ostern, denn viele bestellen nur noch und sind zu faul in die Stadt zu fahren. Und die Leute rackern sich - auf Deutsch gesagt - den Arsch ab, im Schichtdienst, und verdienen 'n Appel und 'n Ei, wenn man das ausrechnet."
    Und die die angeblichen Topangebote, die man sich bei Amazon angeblich nur mit blitzschnellen Entscheidungen sichern kann? Die junge Frau deutet auf den voll beladenen Kinderwagen:
    "Einen tollen Rabatt hab ich jetzt auch erhalten bei Müller, ich hab 50 Euro gespart."
    Die Seniorin hinter ihr nickt und verweist auf ihre Schnäppchen im Kaufhaus.
    Verbraucherschützer warnen vor Fake-Rabatten
    Verbraucherschutzorganisationen warnen ohnehin, dass die Rabatte teilweise auf die Unverbindliche Preisempfehlung UVP berechnet werden. Und die liege meist oberhalb der handelsüblichen Preise. Teilweise fallen die angeblichen Super-Schnäppchen daher in die Kategorie Fake. Rolf Lunnebach ist vor seinen Möbelladen in der Koblenzer Fußgängerzone getreten, um sich den Verdi-Demonstrationszug anzuschauen. Wut auf Amazon und dessen Rabattschlachten hegt der Inhaber einer Möbel-Schreinerei:
    "Bei uns ist ein Verbot, bei Amazon zu bestellen. Wir bestellen nichts bei Amazon. Und das Werk ist ja direkt vor der Tür. Was die alles kaputt machen, das ist ja unvorstellbar. Wie sollen wir denn da noch hinkommen?! Wie sollen wir denn da mit unseren Produkten noch hinkommen?!"
    Bestellverbot und Beschäftigtenschelte
    Das heißt für Lunnebach aber nicht, dass er mit den Forderungen der Beschäftigten des US-Versandhändlers sympathisiert. Im Gegenteil:
    "Sobald es der Gesellschaft gut geht, meint man, man müsse mehr verdienen. Was ist denn, wenn es morgen wieder schlechter geht, es geht ja nicht immer so weiter. Deswegen kann ich das gar nicht nachvollziehen. Die wollen einen Tarifvertrag, die sind aber mit nichts zufrieden. Klar – jeder Mitarbeiter will sein Geld verdienen. Aber es ist teilweise gar nicht zu erarbeiten!"
    Und da ist der Schreinerei–Geschäftsführer dann doch irgendwie solidarisch mit dem US-Versandhändler, der stets behauptet, ein Logistiker zu sein, um nur auf diesem niedrigeren Niveau bezahlen zu müssen.
    Vorzeige-Arbeitgeber ohne Tarifvertrag?
    Man beweise jeden Tag, so erklärt der Konzern, dass man ohne Tarifvertrag ein fairer und verantwortungsvoller Arbeitgeber sein könne. Amazon lässt Verdi auflaufen, behauptet, dass einige Hundert Streikende von 12.000 Beschäftigten bundesweit weder Arbeitsabläufe noch Lieferzeiten beeinträchtigten. Zu den Gesprächen über einen Tarifvertrag lässt sich der Online-Händler nicht herab. Sind also knapp fünf Jahre regelmäßige Streiks bislang völlig umsonst? Die Koblenzer Gewerkschaftssekretärin Maria Rinke lässt sich nicht entmutigen.
    "Wir haben das Ziel, dass sie mit uns verhandeln, natürlich noch nicht erreicht. Aber solange, wie sie wissen, dass wir in der Öffentlichkeit sind, dass wir für unsere Ziele streiken, geraten sie natürlich auch unter Handlungsdruck."