Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Verschärfung des Asylrechts
"Eine völlig abwegige Debatte"

Der frühere SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz hat die von der Bundesregierung geplanten strengeren Regeln in der Asylpolitik als "lächerliche Überlegung" bezeichnet. Dadurch, dass man den Flüchtlingen Geld wegnehme, ließe sich politisch nichts steuern, sagte Wiefelspütz im DLF. Gesetzesverschärfungen seien eine völlig falsche Botschaft.

Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit Jochen Spengler | 18.09.2015
    Der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz
    Der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Jochen Spengler: Kein Geld und auch keine Sachleistungen mehr, sondern nur Verpflegung und eine geringe Beihilfe zur Rückkehr in das EU-Land, in dem Flüchtlinge erstmals die EU betreten haben. Das ist nur ein Beispiel für die deutliche Verschärfung des Asylrechts, für sogenannte Dublin-Flüchtlinge, wie sie das Bundesinnenministerium angeblich plant. Verschärfungen, die allerdings innerhalb der Bundesregierung umstritten sind und zum Teil auch relativiert werden.
    Am Telefon begrüße ich nun den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Dieter Wiefelspütz, der lange Jahre der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion war. Heute sprechen Sie nicht mehr für die SPD, sondern als Privatmann mit enormer Expertise. Danke für Ihre Zeit und guten Tag, Herr Wiefelspütz.
    Dieter Wiefelspütz: Guten Tag, Herr Spengler.
    "Wir sollten auf jeden Fall die Nerven behalten"
    Spengler: Muss Deutschland das Asylrecht verschärfen, oder ist das bloß billiger Populismus?
    Wiefelspütz: Wir sollten auf jeden Fall die Nerven behalten. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit den Problemen, die ich nicht kleinreden will, fertig werden. Auch die Europäische Union wird mit den Problemen fertig werden können und müssen. Bitte bedenken Sie: Die Europäische Union besteht aus 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Deutschland besteht aus 81, 82 Millionen Menschen. Wir werden diese Probleme, die ich nicht kleinreden will, natürlich im Rahmen von Solidarität und auch unserer Kraft in Deutschland stemmen. Da wird es da und dort knirschen, aber mit Gesetzesverschärfungen oder so etwas - das sind ja schon die völlig falschen Botschaften -, da erweckt man den Eindruck, wir hätten ein Patentrezept - mitnichten. Wir müssen uns zusammensetzen, dieses Thema muss überdacht werden, das ist richtig, aber nicht, um Menschen zu drangsalieren, sondern um die Probleme in guter Ordnung und mit gutem Gewissen auch dann regeln zu können.
    Spengler: Herr Wiefelspütz, wäre denn die Botschaft "Abschreckung" keine gute Botschaft?
    Wiefelspütz: Der Druck auf Europa wird bleiben. Wir werden mehr Politik machen müssen. Wir nehmen die Menschen auf und tun das hier in Deutschland mit einer großartigen Haltung unserer Bevölkerung. Das hätte ich so nicht unbedingt für wahrscheinlich gehalten. Das ist Rückenwind auch für eine gute Politik, wie ich finde. Wir haben uns aber über Jahre hinweg nicht wirklich um die Ursachen gekümmert.
    Wichtig ist, was passiert da eigentlich in Syrien oder im Irak. Wichtig ist, wie geht die Türkei mit diesen Fragen um. Können wir an den Ursachen wirklich etwas ändern? Wie kriegen wir europäische Solidarität hin? Im Moment fühlen sich viele Länder - dafür muss man auch Verständnis haben - überfordert, auch - ich sage es mal sehr drastisch - überrannt. Deutschland wird nicht überrannt, aber Kroatien, Slowenien, kleine Länder, da hat es uns vielfach auch an Verständnis gefehlt. Wir haben seit Jahren Probleme mit dem Umgang von Flüchtlingen in Griechenland, auch in Italien. Die werden ja im Grunde alle durchgewunken. Dublin funktioniert ja auch gar nicht.
    Spengler: Herr Wiefelspütz, darf ich da mal einhaken?
    Wiefelspütz: Bitte.
    "Dublin funktioniert nicht"
    Spengler: Genau um Dublin geht es ja jetzt, wenn wir den Entwurf aus dem Innenministerium betrachten. Da sollen ja vor allem den Dublin-Flüchtlingen, die zuerst in einem anderen EU-Land angekommen sind, die Leistungen gestrichen werden.
    Wiefelspütz: Das ist doch, Herr Spengler, eine völlig abwegige Debatte aus der Sicht von heute, weil Dublin funktioniert nicht, funktioniert auch mit unserer tätigen Mithilfe, wenn man so will, drastisch ausgedrückt, seit Jahren nicht.
    Spengler: Das heißt, man würde ein gescheitertes System wieder etablieren wollen?
    Wiefelspütz: Das System jedenfalls wird überhaupt erst mal ertüchtigt werden müssen, bevor man über die Dinge dann weiterredet. Aber jetzt so zu tun, als würde Dublin funktionieren - wir reden über Nirwana-Regelungen, die überhaupt nichts bewirken. Das ist ja die große Illusion, manchmal in der Politik gar nicht so selten, wir machen ein Gesetz und schon haben wir die Wirklichkeit geändert. Nichts verändern wir damit. Wir müssen im Grunde unser Krisenmanagement in Deutschland verändern, ertüchtigen. Wir müssen viel, viel mehr über europäische Zusammenarbeit reden. Wir müssen ganz intensiv eine Politik machen, die nicht nur passiv Flüchtlinge aufnimmt, sondern mal guckt, wie kann man denn Ursachen bekämpfen, wie kann man denn diese Konflikte in Syrien oder im Irak in den Griff kriegen Schritt für Schritt. Das sind die großen Aufgaben und nicht solch eine lächerliche Überlegung, über Geld den Flüchtlingen wegnehmen irgendetwas steuern zu können. Eine völlig abwegige Vorstellung. Deswegen sollte man das so rasch wie möglich versenken.
    "Läppische Regelungen über Geldzuwendungen für Flüchtlinge"
    Was ich für richtig finde, ist, was ja wohl offenbar auch in diesem Paket ist, dass der eine oder andere Staat als sicherer Staat etabliert wird oder festgelegt wird wie beispielsweise Kosovo oder Albanien. Das muss viel, viel schneller gehen, die Entscheidung, ob jemand in Deutschland bleiben kann oder nicht. Das kann mir niemand einreden, dass das nicht gehen sollte. Wenn ein Fall wirklich ein sehr leicht zu lösender Fall ist, dann muss das auch sehr, sehr schnell gehen. Auch Recht ist eine knappe Ressource. Wenn wir für Flüchtlingsverfahren Monate brauchen, manchmal Jahre, schaffen wir neues Unrecht. Da sind wir gefragt und nicht bei solchen läppischen Regelungen über Geldzuwendungen für Flüchtlinge.
    Spengler: Aber das Konzept sicherer Drittstaaten, das Sie gerade auch angesprochen haben, zum Beispiel alle Balkanstaaten dazu zu machen, erhöht das nicht die Gefahr, dass man wirklich Verfolgte zu schnell wieder zurückschickt, etwa nach Albanien, wo ihnen Blutrache droht? Wenn man pauschal Albanien als sicheren Drittstaat bezeichnet, dann ist doch diese Gefahr nicht von der Hand zu weisen.
    Wiefelspütz: Herr Spengler, darüber sollte in Ruhe diskutiert werden, zügig, aber auch in Ruhe darüber diskutiert werden. Ich bin der Auffassung, wenn wir eine Anerkennungsquote aus bestimmten Ländern haben, die bei 0,5 Prozent oder 0,1 Prozent liegt, dann ist dieser eine unter 1000 oder unter 2000 als Flüchtling natürlich einer, der zu respektieren ist, der auch anerkannt werden muss, und den muss man hoffentlich auch finden. Aber in den 999 oder 1999 anderen Fällen müssen wir zu schnellen Entscheidungen kommen können. Das ist nicht immer einfach, glaube ich, diese Fragen zu lösen, aber wir brauchen im Moment viel zu lange, um, wenn Sie so wollen, Recht zu sprechen, und das kann nicht richtig sein.
    Spengler: Wer hat dafür die Verantwortung, der gestern zurückgetretene Behördenleiter Manfred Schmidt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder der Bundesinnenminister?
    Wiefelspütz: Ich denke, diese ja auch in Ihren Berichten, die ich habe mithören können, zu hörenden rituellen Anklagen kenne ich auch aus eigener aktiver Zeit. Die Opposition greift die Regierung an. In der Sache hilft das keinen Millimeter weiter. Herr Schmidt, den kenne ich aus meiner früheren aktiven Zeit, ist ein nobler, anständiger Beamter. Herr de Maizière ist ein liberaler Konservativer, ein ernst zu nehmender Mensch. Das müssen wir gemeinsam regeln. Ich denke, das kann man besser machen. Da muss man sich zusammensetzen. Ich würde eigentlich eher meinen, wir bräuchten so etwas wie ein Lagezentrum Flüchtlinge, wo alle Akteure an einen Tisch müssen, wenn Sie so wollen, die Bundesländer, die Bundesregierung, die Wohlfahrtsverbände, die sich um die Unterbringung kümmern.
    "Es droht uns ja, Europa um die Ohren zu fliegen."
    Deutschland ist ein so starkes großes Land. Wir wären noch zu ganz anderen Dingen fähig im positiven Sinne des Wortes, als diese 800.000 Menschen unterzubringen. Das ist alles nicht einfach, aber natürlich schaffen wir das. Da bin ich fest von überzeugt. Nur müssen wir mal ein bisschen gucken, dass wir von eingefahrenen Gewohnheiten auch mal absehen und das zusammen lösen, und dann geht das auch. Davon bin ich fest überzeugt, und auch unseren europäischen Nachbarn helfen. Da steht ja, wenn Sie so wollen, Herr Spengler, vieles, viel, viel mehr auf dem Spiel. Diese ganze Problematik ist hundertmal so wichtig wie die wichtige Griechenland-Krise, die wir gelöst haben oder wo wir auf einem guten Weg sind, denke ich, hoffentlich das in den Griff zu kriegen. Es droht uns ja, Europa um die Ohren zu fliegen.
    Das bedeutet aber nicht jeder für sich, sondern wir gemeinsam, und da brauchen wir jetzt auch ein bisschen Zeit. Deswegen ist es auch sicherlich richtig, vorübergehend als Notmaßnahme, um die chaotischen Situationen besser in den Griff zu kriegen, Grenzkontrollen einzuführen. Keine Patentlösung, aber wir brauchen Luft, um Politik machen zu können, um sich zusammenzusetzen, um mit den großen Ressourcen, die wir in Europa haben, vernünftig umzugehen.
    Ich sage noch einmal: Europa, Europäische Union, das sind 500 Millionen Menschen. Ja bitte schön, da wird man doch wohl zwei, drei Millionen Menschen unterbringen können, menschenwürdig und anständig in solch einem großen Raum. Und wenn wir nicht nur passiv die Dinge hinnehmen, sondern aktiv gestalten und gucken, dass wir an den Ursachen etwas bewegen, dann wird das alles ein gutes Ende nehmen.
    Spengler: ... sagt Dieter Wiefelspütz, lange Jahre Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion. Man merkt es ihm nicht an, dass er nicht mehr Mitglied der Fraktion ist. Herr Wiefelspütz, herzlichen Dank für das Gespräch.
    Wiefelspütz: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.