Dienstag, 19. März 2024

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Verschmutzung durch Kläranlage
Aufregung um Plastikmüll in der Schlei

Für die Menschen in Schleswig-Holstein ist es eine Umweltkatastrophe: Das Klärwerk der Stadt Schleswig hat Millionen von Plastikteilchen ins Wasser der Schlei eingeleitet. Die Ufer des Ostseearms sind verschmutzt, Tiere gefährdet. Die Schuldfrage ist offen.

Von Johannes Kulms | 22.03.2018
    Städtische Arbeiter reinigen einen Uferstreifen an der Schlei von Plastikmüll.
    Monate, vielleicht Jahre könnten die Reinigungsarbeiten an der Schlei dauern. Die Plastikschwemme ist eine große Gefahr für Tiere und Natur. (picture alliance/ dpa/ Carsten Rehder)
    Es wird Ordnung geschaffen am Schleiufer. Der 88-jährige Hausbesitzer beugt sich mit einer Harke zu einem kleinen Maulwurfshügel hinab, während seine gleichaltrige Frau die Gehwegplatten kehrt. Das Ehepaar aus Schleswig besitzt seit 54 Jahren ein kleines Ferienhaus nahe der Halbinsel Reesholm. Vom Vorgarten aus geht der Blick über die Schlei.
    "Zauberhaft schön ist es."
    "Ja, zauberhaft schön."
    "Wunderbar ruhig, die schönsten Stunden sind frühmorgens."
    Doch diese Ruhe wird seit Wochen empfindlich gestört. Die gesamte Schleiregion in Schleswig-Holstein ist in Aufruhr, seitdem klar ist: Über Monate hat ein Klärwerk in Schleswig Millionen winziger Plastikschnipsel in den Ostseearm eingeleitet. Diese Partikel – einige nur wenige Millimeter, andere mehrere Zentimeter groß – werden in vielen Uferbereichen angespült. Auch hier, vor der Halbinsel Reesholm.
    Gerade sind Mitarbeiter einer Gartenfirma im Schilfgürtel unterwegs. Mit Harken und Mistgabeln kehren sie die Pflanzenhalme mit den Plastikschnipseln zusammen. Alles in Sichtweite des Ferienhauses des Rentnerpaars, das seinen Namen im Radio nicht hören möchte.
    "Ich habe nur gedacht: Wie kann man aus allem Geschäfte machen? Aus Essensresten plus Plastik? Das durch eine Mühle drehen sozusagen und dadurch Energie erzeugen. Und mit der Energie doch wieder eigentlich verdienen. Das ist doch unmöglich!"
    Landeskriminalamt ermittelt
    Das Klärwerk gehört den Stadtwerken Schleswig, ist also ein kommunales Unternehmen. Die Abwässer der 25.000-Einwohnerstadt werden hier nebenbei auch zur Energiegewinnung genutzt. Besser gesagt: die Klärgase. Um den Ertrag in der Biogasanlage zu steigern, wurden seit 2006 vergorene Essensreste beigemischt. Dieses Verfahren ist nicht ungewöhnlich.
    Ungewöhnlich ist jedoch: Neben den Essensresten wurden auch die Verpackungen in einer Hackmühle zerkleinert. Beides landete am Ende in den Filtern des Schleswiger Klärwerks. Wie sie dort hindurch in die Schlei gelangten und wer daran schuld ist, das versuchen nun Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt zu ermitteln. Im Ferienhaus hält sich die Wut noch in Grenzen:
    "Das möchte ich nicht beantworten, das kann ich auch nicht beantworten, dafür fehlen uns die Einsichten."
    "Wen sollen wir denn auch letztlich dafür verantwortlich machen? Also, es ist ja letztendlich auch immer dann nur derjenige, der an der Spitze steht, der das verwaltet, das leitet, der die Verträge abschließt."
    Der Mann an der Spitze der Schleswiger Stadtwerke heißt Wolfgang Schoofs: "Ich bin nicht manchmal fassungslos, ich bin die ganze Zeit schon fassungslos. Weil ich mir natürlich auch persönlich Vorwürfe mache. Kann sich jeder wahrscheinlich denken."
    Wer hätte die Plastikpartikel herausfiltern müssen?
    Das Klärwerk seines Unternehmens hat die Umweltkatastrophe verursacht. Da redet Schoofs gar nicht drum rum. Verantwortlich für die Zulieferung der Speisereste ist das Unternehmen Refood aus Nordrhein-Westfalen. Ein Refood-Sprecher sagte in einem Zeitungsinterview: Die Stadtwerke wussten, dass in der gelieferten Biomasse auch "Fremdstoffe" seien. Sprich: Kunststoffpartikel. Die Verantwortung zum Raussieben der Plastikschnipsel liege damit ebenfalls bei den Schleswigern.
    Wolfgang Schoofs verweist jedoch auf den Vertrag mit dem Zulieferer, "der klar sagt, dass die Kunststoffreste herauszufiltern sind vom Lieferanten."
    Schoofs rechnet damit, dass man die Frage über die Schadenersatzansprüche vor Gericht klären wird. Den Vertrag mit dem Zulieferer offen zu legen, lehnt er freilich ab:
    "Weil dieser Vertrag ein sehr komplexes rechtliches Werk beinhaltet. Damit sind wir mit unseren Rechtsbeiständen dabei, dies zu lösen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wenn jeder den Vertrag liest, jeder zu einer anderen Feststellung kommt. Und das sollte man ernsthaft den Leuten überlassen, die da Ahnung von haben, und das sind Rechtsanwälte."
    Einen Fall wie diesen habe er noch nie gehabt, sagt Thorsten Roos. Roos leitet beim Kreis Schleswig-Flensburg die Abteilung für Umwelt- und Naturschutz. 2016 und 2017 hat es bereits einzelne Hinweise auf Plastik in der Schlei gegeben. Allerdings nicht in der Menge, sagt Roos. Versäumnisse bei der bei der Überwachung der Kläranlage kann er nicht erkennen.
    "Weil wir um diesen vier Meter mächtigen Sandfilter wussten. Immerhin besitzt diese Sandkörnung einen maximalen Durchmesser von zwei Millimetern."
    Gefahr für Tiere, Natur - und den Tourismus
    Monate, vielleicht Jahre könnten die Reinigungsarbeiten an der Schlei dauern. Die Plastikschwemme ist eine große Gefahr für Tiere und Natur. Aber auch für den Tourismus, der vom Image des verträumten Ostseearms lebt. Viele Bürger wollen jetzt vor allem eines: anpacken. So wie Wiebke Hansen:
    "Und es gibt natürlich die Behörden, die sich schon drum kümmern. Die natürlich Mitverursacher sind, aber auch da, Landeskriminalamt ist eingeschaltet, ich finde das sehr gut, da glaube ich auch, dass unsere Strukturen funktionieren. Da wird jetzt genau nachgeforscht, wo der Verursacher ist."
    Wiebke Hansen ist bei Facebook aktiv geworden. Fast 200 Leute haben sich ihrer "Aktionsgruppe Unsere Schlei wird plastikfrei!" angeschlossen. So sollen die Leute zum Aufsammeln der Plastikreste animiert und Behörden und Stadtwerke unterstützt werden. Doch von genau denen ist Wiebke Hansen enttäuscht. Immer wieder würden Putzaktionen verschoben:
    "Es kommen immer so viele Kommentare der Bürger gegen die Verwaltung. Es ist immer ein Gegeneinander. Und dies wäre eine Möglichkeit, gemeinsam was zu machen. Und diese Gemeinsamkeit kann eben nicht diktiert sein. Dafür leben wir jetzt in einer anderen Zeit."
    Das Schleiufer sei gerade wegen der Vögel sehr sensibel, betonen die Schleswiger Stadtwerke und bitten Freiwillige, nicht einfach so eigenhändig loszuziehen. Doch Wiebke Hansen will sich nicht aufhalten lassen und sagt, es gebe ja auch außerhalb der Naturschutzgebiete genug Orte zum Säubern. Damit die Schlei wieder plastikfrei wird.