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Versichert pro Kilometer

Allein 2,2 Millionen Mal krachte es 2006 auf Deutschlands Straßen, so weist es die Tabelle des Statistischen Bundesamtes aus. Immer ist das ein Fall für die Kfz-Versicherungen. Im Kampf um die günstigsten Konditionen soll moderne Technik helfen und die Benutzung des Autos exakt erfassen.

Von Detlev Karg | 19.05.2007
    "Pay as you drive" heißt das Angebot, das seit Herbst 2006 auf der Britischen Insel bereits regen Anklang findet. Einen festen Preis gibt es nicht. Es kommt immer darauf an, wann, wie lange, wohin und auf welchen Straßen ein Kunde unterwegs ist. Gezahlt wird monatlich. Die Tarife richten sich nach aktuellen Auswertungen gefahrener Strecken, wie Anthony Lovick, Aktuar der Norwich Union, erläutert:

    "Im Normalfall fragen Sie die Leute nach Ihrem Alter und welchen Wagen Sie haben, alle diese Faktoren sind gut bekannt. Aber für dieses Produkt haben wir eine ganz neue Datenbasis und die Kernfrage war: Was können wir mit diesen Daten machen, wo ist der unbekannte Faktor, der Faktor X?"

    Der Faktor X, das ist das, worauf das Prinzip des Pay as you drive basiert: Statistische Kenngrößen und Werte, die die Versicherung aus den gesammelten Fahrzeugdaten ermittelt, und auf denen die Tarife aufgebaut werden. Ausgewertet werden laut der Versicherung alle Daten, gespeichert werden sie unbegrenzt in den Datenbanken des Unternehmens. Das Ganze funktioniert ähnlich wie die Autobahnmaut, nur dass die so versicherten Fahrzeuge ständig über das Satellitensystem GPS überwacht und ihre Positionsdaten per GSM-Mobilfunk an die Zentrale übertragen werden. Der Versicherer kann also jede Fahrt nachvollziehen. Die Hardware, die so genannte Telematic Unit, liefert ein britischer Hersteller. Alle geographischen Punkte, die das Fahrzeug passiert, werden so registriert, ebenso die Uhrzeiten. Dabei arbeitet das System so exakt, dass sich sogar nachweisen lässt, auf welcher Straßenseite ein Auto parkt. Wer sich also auf diesen Tarif einlässt, muss sich im Klaren sein, dass seine Autofahrten lückenlos nachweisbar sind, auch Verkehrssünden:

    "Wer andere Leute in Gefahr bringt, sollte dafür bestraft werden. Man kann zwar seine Gene nicht ändern, aber man kann sich aussuchen, wie man fährt. Wenn die Black Box meine Prämien reduziert und die Straße von den Idioten freimacht, was soll man daran nicht gut finden?"

    Zunächst hatte die Norwich Union das System mit jungen Fahrern getestet. Diese gelten bekanntermaßen als Risikogruppe mit der höchsten Todesfallrate. 5000 Briten meldeten sich im Jahr 2005 freiwillig für den Versuch, der die erste Datenbasis lieferte. Acht Millionen Fahrten und 15 Milliarden angesteuerte Punkte wanderten in die Datenbank der Norwich Union. Diese erste, mehrere Terabyte große Datenbasis war die Berechnungsgrundlage für das heutige Angebot: Die Versicherung weiß heute, auf welchen Straßen zu welcher Uhrzeit die meisten Unfälle passieren. Das heißt etwa im Umkehrschluss: Auf der Autobahn zahlt man weniger als wenn man in der Rush hour in London unterwegs ist. Die mehrere Terabyte großen Datenmengen erlaubten es dem Versicherer, immer neue Zusammenhänge aufzudecken und auszuwerten. So fand die Versicherung etwa heraus, dass britische Radarfallen die Straßen keinesfalls sicherer machen, denn sie stehen nicht an den Orten, die laut den eigenen Daten Unfallschwerpunkte sind. Und die Datenbasis wächst täglich weiter. Auch britische Autodiebe sollten künftig besser nachsehen, ob sich nicht ein Sender der Versicherung in einem begehrten Auto befindet, wenn sie ihn denn finden:

    "Der Wagen wurde an diesem rot markierten Punkt hier auf dem Diagramm gestohlen, und dann fuhr der Dieb ers einmal dreimal im nächsten Kreisverkehr, um sicherzugehen, dass ihm keiner folgt. Am Samstagmorgen hat er dann eine Spritztour gemacht und seinen Kumpels gezeigt, was für einen tollen Wagen er geklaut hatte. Am Montag rief unser Kunde an und sagte uns: Mein Wagen ist gestohlen worden, haben Sie die Daten? Natürlich hatten wir Sie. Wir fragten, sollen wir sie der Polizei geben? Natürlich ja, sagte der Mann, ich bin nicht gefahren, ich will nur meinen Wagen zurück. Wir haben der Polizei den Ort genannt, sie fanden den Wagen und Fingerabdrücke und konnten die Jungs fassen, das ist doch gut."

    In Deutschland tasten sich erste Versicherer wie etwa die Stuttgarter WGV ebenfalls an kilometerabhängige Kfz-Versicherungen heran. Gegenüber dem Deutschlandfunk bestätigte das Unternehmen, dass noch Teilnehmer für den 1500 Fahrer umfassenden Test gesucht werden. Allerdings bieten die strengen Datenschutzbestimmungen hierzulande nicht die Möglichkeiten, die Tarife so exakt einzustellen, wie dies in Großbritannien bereits möglich ist. Statt Strecken zu speichern, wird die Einhaltung der Geschwindigkeit gemessen. Bei mehrfacher Übertretung ist die 30-prozentige Prämienrückerstattung am Jahresende verloren.