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Versickern statt ableiten

Der Klimawandel kann Wetterextreme auslösen, die die städtische Infrastruktur vor neue Herausforderungen stellt. So sind die meisten Kanalnetze nicht für starken Regen ausgelegt. Doch es gibt Lösungsansätze, um Überschwemmungen in der Stadt zu vermeiden - und auch der Hausbesitzer kann vorsorgen.

Von Wiebke Schmidt | 03.06.2009
    Es ist ein Wetterereignis, das enorme Schäden anrichten kann: Starkregen. Wenn in wenigen Stunden so viel Niederschlag fällt wie sonst in Tagen oder sogar Wochen, können kleine Gewässer binnen Minuten über die Ufer treten und Wohngebiete überfluten. Auch die Kanalisation kann kapitulieren, Gully-Deckel werden dann hoch gedrückt, Keller laufen voll. Urbane Sturzfluten nennt man solche Überschwemmungen in der Stadt. Seit einigen Jahren sorgt das Phänomen immer öfter für Schlagzeilen, sagt der Diplom-Ingenieur und Abwasserspezialist Fritz Hatzfeld aus Aachen:

    "Wir haben solche Starkregenereignisse ausgewertet, die zu Schäden geführt haben, da ist in der Grafik ganz eindeutig eine steigende Tendenz in den letzten 25 Jahren zu erkennen, das hat aber auch teilweise einfach damit zu tun, dass jetzt besser darüber berichtet wird."

    Einige Klimaforscher rechnen damit, dass Starkregenfälle in Zukunft noch häufiger auftreten, denn:

    "Die Regenmenge, die in der Luft ist, die hat was mit den Temperaturen zu tun, die Luft kann umso mehr Wasser aufnehmen, je wärmer sie ist, das heißt, wenn ich insgesamt ein Niveau habe, ein steigendes Temperaturniveau in der Luft, habe ich das Potential, dass eben solche Starkregen öfter auch passieren können."

    Um die Kanalisation bei Starkregen zu entlasten, werden die Wassermassen in Regenrückhaltebecken oder in natürliche Gewässer abgeleitet. Wenn diese Entlastungsanlagen voll sind, steigt das Wasser im Kanal an und tritt schließlich aus den Gullydeckeln auf der Straße aus. Es kann sich aber auch bis in die privaten Hausanschlussleitungen zurück stauen. Die Räume eines Hauses, die unter der Straßenoberkante liegen, sind bei einem solchen Rückstau gefährdet. Das Wasser kann aus dem Klo, dem Waschbecken oder anderen Abflüssen heraussprudeln. Und das passiert gar nicht so selten, sagt Fritz Hatzfeld:

    "Ein sehr häufiger Schadensfall ist, dass das Wasser nicht oben in die Häuser hineinläuft bei solchen Extremereignissen, sondern dass die Häuser keine Rückstauklappen mehr haben, also dass die Verbindung von Häusern zum Kanalnetz quasi offen ist, und das ist sozusagen der erste und der verbreiteste Schadensfall und ich würde mal schätzen dass vielleicht nur 20 Prozent oder noch weniger Prozent der Häuser diese Rückstauklappen haben, obwohl sie in allen Ortsatzungen vorgeschrieben sind."

    Viele Elementarschaden-Versicherungen zahlen bei Überschwemmungen nur, wenn solche Rückstausicherungen eingebaut sind. Die Preisspanne liegt nach Herstellerangaben zwischen hundert und 2500 Euro. Das bestehende Kanalnetz zu vergrößern, damit es mehr Wasser fassen kann, kommt aus verschiedenen Gründen nicht infrage. Zum einen würde das enorme Kosten verursachen. Bereits die Sanierung des Bestandes ist ein Milliardenprojekt. Otto Schaaf von den Stadtentwässerungsbetrieben Köln:
    "Wir haben in Deutschland insgesamt ein öffentliches Kanalnetz mit rund 515.000 Kilometern Länge, und seit vielen Jahren wird der Zustand dieser Kanalnetze ausgewertet, wir wissen daraus, dass dort in der Größenordnung 19 bis 20 Prozent dieser Kanäle Schäden zeigen, die doch relativ bald zu reparieren sind."

    Zum anderen ist es nicht besonders umweltfreundlich, Regenwasser über das Kanalnetz zu entsorgen. Viele Städte haben eine Mischkanalisation, das heißt: Niederschlagswasser und Schmutzwasser landen in demselben Kanal. Wenn es stark regnet, muss die Kanalisation kurzfristig entlastet werden - die dreckige Brühe fließt dann in Flüsse oder Seen. Aber auch reines Regenwasser soll künftig seltener in die Gewässer eingeleitet werden, damit die bei Starkregen nicht so schnell überlaufen. Victor Mertsch vom nordrhein-westfälischen Umweltministerium:

    "Gerade durch den Klimawandel beschäftigen wir uns jetzt in den letzten zwei Jahren sehr intensiv mit der Frage: Wie müssen wir Kanäle in der Zukunft konzipieren, dass keine Schäden in den Kommunen auftreten können. Ein Weg dorthin ist, dass wir stärker als in der Vergangenheit auch versuchen, dass das Niederschlagswasser versickert wird, dass wir im Prinzip auf den einzelnen Grundstücken direkt das Niederschlagswasser ableiten und dem Wasserhaushalt wieder zuführen und nicht erst über lange Kanäle ableiten und den Gewässern zuführen."

    Versickern statt ableiten lautet also ein Teil der Lösung. Die Städte brauchen mehr unversiegelte Flächen, damit das Wasser in den Erdboden einsickern kann. Um Hausbesitzer anzuregen, über die Möglichkeiten der Regenwasserversickerung auch auf ihrem Grundstück nachzudenken, haben viele Kommunen mittlerweile die Abwassergebühren in einen Schmutzwasseranteil und eine Niederschlagsgebühr aufgeteilt. Faustregel: Je größer die versiegelte Fläche auf dem Grundstück, desto höher die Gebühr.