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Versöhnung mit Hindernissen

Seit knapp einem Jahr gibt es die Zugverbindung von Belgrad nach Sarajevo wieder: Für 400 km braucht der Reisende zehn Stunden. Die Zugverbindung mit ständigen Kontrollen zeigt, wie schwierig und komplex sich das Zusammenleben im ehemaligen Jugoslawien nach wie vor gestaltet.

Von Ellen Häring | 22.11.2010
    Es ist ein lustig-bunter Zug, der morgens um 8.15 Uhr in Belgrad von Gleis 2 abfährt: Die Lok ist grün und gehört den Serben, die Waggons sind orange, grau-blau und rot und gehören den Kroaten, den bosnische Serben und den Bosniaken.

    Der Speisewagen ist in serbischer Hand. Bei Kaffee und Zigaretten sitzen Männer und Frauen, die sich mit Vorsicht begegnen. Wo kommst du her? Wo fährst du hin? Wie heißt du? Die Antworten auf diese Fragen verraten, ob der Tischnachbar Serbe, Kroate oder Bosniake ist.

    Als im Dezember 2009 die Bahnstrecke Belgrad-Sarajevo wieder eröffnet wird, ist der Krieg zwar seit 14 Jahren vorbei. Aber die Wunden sind noch längst nicht verheilt. In den ersten Monaten fährt Niroljub, der Chef des Speisewagens, fast allein.

    "Die Leute fuhren anfangs gar nicht mit, sie hatten Angst vor Rache - wegen des Krieges, wissen Sie. Manche hatten sogar Angst in Belgrad verprügelt zu werden. Das hat bestimmt vier oder fünf Monate gedauert, bis sich die Leute trauten mitzufahren. Es ist jetzt viel besser, es gibt viele Leute, die aus Bosnien nach Belgrad fahren, zum Beispiel um sich im Krankenhaus behandeln zu lassen."

    An einem der vier Tresen hockt eine stämmige Frau Mitte vierzig. Soriza Godina hat in Belgrad ihre Schwester besucht, sie selbst wohnt in Sarajevo und arbeitet als Krankenschwester. Ihr Vater ist bosnischer Moslem, die Mutter Serbin. Nationalismus verabscheut sie. Dass er in ihrer Heimat zum Krieg geführt hat, möchte sie am liebsten vergessen.

    "Ich bin traurig, es ist besser ich erinnere mich nicht, und tatsächlich konnte ich vieles vergessen. Wir haben niemanden verloren, diejenigen, die Familienangehörige, Freunde oder womöglich Kinder verloren haben, die haben es viel schwerer. Aber wir müssen weiterleben, so wie früher, wie in Jugoslawien."

    Nach zwei Stunden der erste Halt. Kroatien. Passkontrolle. Der erste Lokwechsel. Durch Kroatien darf nur eine kroatische Lok fahren. Im Großraumwagen vergräbt sich ein Mann im Kapuzenpulli in seinen Sitz. Goran Masaladicz ist bosnischer Serbe. Er war während des Krieges in Deutschland und lebt jetzt in der Nähe von Belgrad auf dem Land.

    "Ich hab mir einen Bauernhof gekauft und lebe in Serbien, mit Bosnien bin ich fertig. lch habe nur schlechte Erinnerungen und habe genug von diesen ständigen Beschuldigungen, an allem sind die Serben Schuld."

    Goran gehört zu den "Tätern", obwohl er während des Krieges gar nicht hier war. Er hat sechs Jahre in Hannover als Hilfsarbeiter auf dem Bau geschuftet. Als bosnischer Serbe steht er unter Generalverdacht. Vertreibungen, Vergewaltigungen, Massenmorde - unzählige Kriegsverbrechen gehen auf das Konto von Karadicz und seinen Helfern, bosnische Serben.

    Drei weitere Lokwechsel folgen, im Speisewagen steigt der Alkoholpegel. Als der Zug durch die Berge der bosnischen Serbenrepublik tuckert, flirtet der serbische Speisewagenchef mit einer blonden Kroatin.

    Ein ausgebranntes Dorf ist die einzig sichtbare Erinnerung an den Krieg. Aber der Eindruck täuscht. Dort, wo die Fronten verliefen, liegen noch Minen. Spaziergänge in Bosnien sind gefährlich.

    Als der Zug nach zehn Stunden in den Bahnhof von Sarajevo einfährt, sind fünf neue Stempel im Pass. Soriza, die Krankenschwester, fällt ihrem Mann in die Arme. Kroate, Serbe, Moslem? Es ist egal. Sie hat es nicht erzählt.