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Versuch in der Freiheit

Das zeitgenössische rumänische Kino ist zu großen Teilen ein Kino der Frauen und ihres Überlebenskampfes in einer patriarchalischen, immer noch gewalttätigen Gesellschaft. "Periferic" erzählt die Geschichte von Matilda, die mit hypnotischer Verbissenheit ihren Weg der persönlichen Befreiung geht.

Von Rüdiger Suchsland | 12.07.2012
    Eine Frau auf Freigang. Matilda heißt die Hauptfigur in diesem Film, und wir, die Zuschauer, sind ganz auf ihrer Seite. Sie hat einen Tag in Freiheit, aber sie will nicht wieder zurück ins Gefängnis gehen. Sie will nur weg, weg, weg, ein neues Leben anfangen, fern von diesem Land. Sie kommt aus Rumänien.

    Vor fünf Jahren gewann Cristian Mungiu mit seinem Abtreibungsdrama "4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage" die Goldene Palme von Cannes - und seitdem sprechen alle vom rumänischen Filmwunder

    Auch Bogdan George Apetris Debütspielfilm "Periferic", der jetzt in die deutschen Kinos kommt, besitzt alle Tugenden dieser "Neuen Welle" des rumänischen Kinos: Genaueste, geduldige Beobachtung von Figuren und ihrer Situationen, zugleich deren clevere Zuspitzung bis hin zu einem klaustrophobischen Szenario aus langen Gängen, engen Räumen. Und zu eindringlichen Begegnungen Matildas mit einem Ex-Mann, mit ihrem Sohn, den sie lange nicht gesehen hat - und das alles immer unter Zeitdruck. Denn die Frau ist ja schon quasi auf der Flucht.

    Ihr Weg soll sie ans Meer führen, aber zunächst führt er sie aus der Hauptstadt Bukarest hinaus in die Periferie eines unspezifischen Umlands, zurück in die Vergangenheit einer verdrucksten Familie. Es gibt Streit, es geht natürlich um Geld und um Schuld, um unverarbeitete Verletzungen. Auch Schuld, auch Traumata sind Waren, mit denen man bezahlt und handelt, es gibt auch eine Warenwelt der Gefühle.

    Der Film ist sensibel, nimmt sich Zeit für seine Figuren und ist trotzdem spannend und intensiv, kurzweilig und mitunter dann plötzlich von einer absurden Situationskomik. Die Charakterstudie mischt sich mit einem klaren gesellschaftlichen Porträt von Rumänien im Jahr 22 des Post-Kommunismus.

    Apetris Rumänien ist schmutzig und korrupt, ein böser trister Ort. Aber der Regisseur moralisiert nie, er zeigt einfach.

    Die vor über 20 Jahren revolutionär beseitigte Ceausescu-Diktatur ist bei den Menschen immer noch präsent: In ihren Folgen für die Köpfe der Menschen, wo sie weiterlebt, und für die Obrigkeit.

    Vor allem ist "Periferic" eine Tour de Force für die beeindruckende Hauptdarstellerin Ana Ularu, die sich als heroische Anti-Heldin Matilda mit einer hypnotischen Verbissenheit und Sturheit durch die Szenen ihres Weges zur persönlichen Befreiung arbeitet. Das rumänische Kino ist zu großen Teilen auch ein Kino der Frauen und ihres Überlebenskampfes in einer patriarchalischen, immer noch gewalttätigen Gesellschaft.

    Das passt auch zum schnörkellos-atemlosen Stil der Inszenierung. Auch dies kennt man von anderen rumänischen Filmen: Hektik, Dynamik, Anspannung sind hier Trumpf. Und im Gegensatz zu manchem rumänischen Kollegen verweigert sich Apetri auch allzu metaphernschweren und symbolbehaften Bildern.

    So fügt sich "Periferic" in das Format der dringlichen, realistisch grundierten Außenseiterstudien, die mit ihrer Absage an die Illusionsmaschine Hollywood, aber auch an die Bevormundung durch das plump-sozialkritische Kino früherer Zeiten, mit ihrem Vertrauen auf die Bilder den Rumänien-Kinoboom ausgelöst haben: ein spannender, sehr stimmiger Film aus der Peripherie der europäischen Gegenwart.