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Verteidigung und Verleumdung

Berlin-Kreuzberg, im Mittelkreis eines Fußballplatzes steht Tanja Walther-Ahrens und winkt ins Publikum. Sie ist 40 Jahre alt, trägt ein himmelblaues Trikot und eine weiße Sporthose. Früher war sie in der Bundesliga aktiv, heute spielt sie für den SV Seitenwechsel. Hier muss sie sich nicht rechtfertigen. Nicht dafür, dass sie als Frau den Männersport Fußball spielt. Und auch nicht dafür, dass sie lesbisch ist.

Von Ronny Blaschke | 12.06.2011
    "Und vor allen Dingen gibt’s da keine Männer, die irgendwie sagen: Nee, den Platz kriegt ihr jetzt nicht oder die Trikots sind leider zu teuer, ihr müsst was anderes machen, weil wir sind alle Frauen und wir sind alle gleichberechtigt, auch die unterschiedlichen Sportarten. Es ist einfach immer noch notwendig, sich ab und zu mal abzuschotten oder einfach mal ne Ecke zu haben, wo ich einfach ich sein kann."

    Der SV Seitenwechsel in Berlin ist der größte Lesbensportverein Europas. Viele der 700 Mitglieder tragen traurige Erinnerungen in sich. Von Verteidigung und Verleugnung. So wie Tanja Walther-Ahrens, die in einem Dorf in Hessen aufgewachsen ist. Ihre Großmutter will sie als Kind in Kleider stecken, möchte sie von Fußball fern halten. Ihre Großmutter stammt aus einer Zeit, die geprägt ist von Sexismus und Vorurteilen.

    Als Spielerin hört Tanja Walther-Ahrens sexistische und homophobe Sprüche. Nur Lesben würden Fußball spielen. Doch auf dem Rasen pflegt Walther-Ahrens auch ihre rebellische Haltung, bei TeBe Berlin, später bei Turbine Potsdam. Ohne vermeintlich weibliche Eigenschaften bestätigen zu müssen, wie Schwäche oder Emotionalität.

    April 2011, der Sportausschuss des Bundestages. Die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling forscht zu den Themen Homosexualität und Geschlechterordnung. Sie blickt im Anhörungssaal auf eine vollbesetzte Besuchertribüne. Die Sportpolitiker haben das Thema zum ersten Mal auf ihrer Tagesordnung. Spät, aber immerhin, meint Eggeling.

    "Sport überhaupt ist ja eine Möglichkeit, sich zu erproben, an die Grenzen zu gehen, auszuprobieren, was kann ich, was kann ich besonders gut. Und da glaube ich, dass viele Frauen den Fußballsport gewählt haben, vielleicht auch weil es sie gereizt hat, in eine Männerdomäne einzubrechen. Und es ist ja auch tatsächlich so gewesen, dass lange Zeit besonders für Lesben der Fußball attraktiv war, was wiederum manche Heteras davon abgehalten hat Fußball zu spielen, weil es sowieso eine Lesben-Sportart ist."

    Lesbische Spielerinnen bekennen sich nicht öffentlich, aus Angst vor Ausgrenzung und dem Verlust ihrer Sponsoren. Sie unterdrücken einen Teil ihrer Identität. Frauen wird im Männlichkeits-Reservat Fußball oft die Kompetenz abgesprochen. In Vereinsvorständen, Sportgerichten, Fußball-Redaktionen sucht man sie oft vergeblich.

    "Sexismus und Homophobie gegen Lesben sind immer ganz nah beieinander. Du wirst als Lesbe ja nicht nur deshalb diskriminiert in unserer Gesellschaft, weil du lesbisch bist, sondern gleichzeitig auch, weil du Frau bist. Das Männliche überhaupt bildet ja den Standard für alle Leistungsbewertung. Damit wird völlig ignoriert, dass es vielleicht tatsächlich auch physische Unterschiede gibt. Das heißt, eine Frau niemals zehn Kilometer so schnell laufen können wird wie ein Mann."

    Bei den Frauen findet Homophobie einen subtilen Weg. So erhielten die deutschen Nationalspielerinnen 1995 die Ansage, nicht an den schwullesbischen Europameisterschaften in Frankfurt teilnehmen zu dürfen. Doch klischeehafte Rollenbilder sind auch heute noch tief verwurzelt.

    In einem Fernsehspot fährt die Bundestrainerin Silvia Neid aktuell mit einem Einkaufswagen durch einen Supermarktes. Sieht so das Bild einer modernen Frau aus? Trainer suchen den richtigen Ton, aber dann wirken sie doch verkrampft, zum Beispiel Bernd Schröder von Meister Turbine Potsdam.

    "Das Problem Gleichgeschlechtlichkeit und Homosexualität ist ja ein gesellschaftliches Problem, das hat ja mit dem Sport nichts zu tun. Also haben sie auch da einen Anteil, wenn sie 24, 25 Leute haben, ist nicht zu verhindern, dass sie auch solche Situation haben. Es gibt ja Mädels, die sind mit 16 Jahren, haben sie das Gefühl, sie müssen sich erstmal selbst kennenlernen und bestimmte Dinge im sexualen Bereich auch mal zumindest ausüben. Und dann sind sie 18, 19, 20, 21, dann ist wieder die Situation anders."

    In der Bundesliga ist es fast unmöglich, eine Spielerin zu befragen. Nationaltorhüterin Nadine Angerer offenbart im Herbst 2010 ihre Bisexualität im ZEIT-Magazin. Ihre Stellvertreterin im Tor, Ursula Holl, wird im Juni 2010 von Journalisten beobachtet, damals feiert sie mit ihrer Freundin ihre "eingetragene Lebenspartnerschaft". Unfreiwillig ins Rampenlicht gezerrt werden die Nationalspielerinnen Inka Grings und Linda Bresonik. Die Bild-Zeitung berichtet 2006 über ihre Bisexualität. Das Blatt verkauft eine von vielen Lebensweisen als Skandal. Tanja Walther-Ahrens plädiert für Sachlichkeit, das Organisationskomitee der WM 2011 hat sie enttäuscht.

    "Und natürlich hätte ich mir auch gewünscht, dass das OK vielleicht ein bisschen mutiger mit dem einen oder anderen Thema umgeht und auch dazu bereit ist, zum Beispiel das Thema Lesben im Fußball offensiver anzugehen einfach."

    In einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung bescheinigt die Soziologin Nina Degele dem DFB eine Vermarktung der Weiblichkeit. Dazu passe der offizielle WM-Slogan: "20elf von seiner schönsten Seite". Dazu passe auch die neue Fußball-Barbie, eine Spielzeugpuppe mit dünnen Beinen und zierlichem Körper. Nina Degele wundert sich, dass auf den Hochglanzpostern die Rekordspielerin Birgit Prinz kaum auftaucht, dafür aber die attraktive Fatmire Bajramaj. Die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling.

    "Also wenn wir uns mal Spiele des deutschen Nationalteams heute angucken und vor, weiß ich nicht, drei bis fünf Jahren, heute ist da kaum noch eine, die einen Kurzhaarschnitt trägt. Die tragen alle eigentlich mindestens schulterlange Haare, gehen vielleicht auch geschminkt auf den Platz. Das hat ganz klar damit zu tun, dass sie dann besser vermarktbar und attraktiver sind, wenn sie auch als Frau auftreten. Sie spielen im Grund das Spiel auch wieder mit zu bestätigen, es gibt angeblich Eigenschaften, die typisch weiblich und typisch männlich sind. Damit zementieren sie aber im Grunde auch diese zweigeschlechtliche Ordnung."