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Verteidigungsausgaben
Wehrbeauftragter hält Zwei-Prozent-Ziel für unrealistisch

Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Bundestages, geht nicht davon aus, dass Deutschland das von den USA geforderte Zwei-Prozent-Ziel für Verteidigungsausgaben erfüllen wird. Realistisch wäre ein Wehretat, der 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht, sagte Bartels im Dlf.

Hans-Peter Bartels im Gespräch mit Jasper Barenberg | 21.06.2018
    Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, am 14.12.2015 in Berlin.
    Die Bundeswehr müsse dringend neu ausgerüstet werden, sagte Hans-Peter Bartels im Dlf. (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
    Jasper Barenberg: Am Telefon ist der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels, der Wehrbeauftragte des Bundestages. Schönen guten Morgen.
    Hans-Peter Bartels: Guten Morgen.
    Barenberg: Herr Bartels, wir haben es gerade in dem Bericht gehört: Die USA bleiben dabei, es gelten zwei Prozent für die Verteidigung wie versprochen. Sind Sie eigentlich ganz froh darüber, dass die USA in diesem Punkt weiter Druck machen?
    Bartels: Ich glaube, es bräuchte den Druck der USA nicht, sondern wir haben ja schon den Druck der Probleme rund um Europa: Eine Nachbarschaft im Osten, die aggressiver geworden ist, sodass unsere osteuropäischen Partner einen größeren Beitrag Deutschlands brauchen. Wir haben den Druck in den afrikanischen Failed States, in Nordafrika und im Nahen Osten. Deutschland muss mehr für seine Verteidigung tun. Wir müssen in Europa insgesamt mehr strategische Autonomie erreichen, innerhalb der NATO, aber eben auch neben der NATO. Insofern: Man muss mehr tun. Das ist übrigens schon 2002 Mal vereinbart worden und 2014 war es nur eine Erneuerung dieses Versprechens.
    "Zwei Prozent ist nicht das, was im Moment realistisch ist"
    Barenberg: Und da ist Ihnen jeder Cent wichtig, den Sie für die Bundeswehr bekommen können, also auch die Ermahnungen aus den USA?
    Bartels: Wie gesagt, die braucht es nicht, und der Ton, in dem das von Trump kommt, ist für deutsche Politik schon manchmal schwer erträglich. Denken wir an die letzten Tage, wo sich der amerikanische Präsident wieder in die deutsche Innenpolitik, zum Beispiel Kriminalitätszahlen und Migration eingemischt hat. Aber man wird in der NATO mehr tun müssen, mit und ohne Trump. Im Übrigen: Dieses Versprechen 2014, da war Trump noch gar nicht Präsident. Da ist es ja noch mal erneuert worden.
    Andererseits: Zwei Prozent ist nicht das, was im Moment realistisch ist. Zwei Prozent wären über 70 Milliarden Euro für Verteidigung. Das wäre eine Bundeswehr, die ganz anders aussehen würde als heute, sehr viel größer sein müsste, ganz andere Dinge können müsste. Ich wäre froh, wenn die Bundeswehr das, was sie heute auf dem Papier können soll, denn könnte.
    Barenberg: Nicht realistisch, sagen Sie zu dem Zwei-Prozent-Ziel, zu dem Zwei-Prozent-Versprechen. Warum ist das eigentlich so? Schließlich schaffen das andere Mitglieder der NATO zunehmend auch. Bald wird Deutschland da in der Minderheit sein. Kann sich Deutschland das leisten?
    Bartels: Deutschland könnte sich nicht leisten, einfach bei den 1,2 Prozent zu bleiben, die wir heute haben. Es muss mehr sein und die Richtung ist klar. Es hat jetzt auch schon angefangen mit einer Verbesserung des Verteidigungsetats. Aber ich glaube, es ist auch gar nicht so einfach, schnell auf ganz andere Zahlen zu kommen, selbst wenn man es wollte. Wir haben gesehen, wie schwierig es ist, zusätzliche Ausrüstung für die Bundeswehr zu beschaffen, wenn im letzten Jahr dann wieder ein Teil des dafür vorgesehenen Beschaffungsbudgets nicht komplett ausgegeben werden konnte.
    Barenberg: Ein kleiner Teil.
    Bartels: 600 Millionen von sechs Milliarden sind ärgerlich, aber das lässt sich durch besseres Management natürlich auch wieder hinkriegen. Aber das muss man jetzt erst mal machen. Man muss in die Lage kommen, die Verbesserung der Ausrüstung so zu organisieren, dass das Geld auch abfließt.
    "Das würde die Bundeswehr schon einen ordentlichen Schritt voranbringen"
    Barenberg: Sie wissen besser als viele andere, wie lang die Mängelliste ist und wie sehr das den Soldatinnen und Soldaten zusetzt. Stehen Sie denn an der Seite der Ministerin, wenn sie dafür kämpft, dass man die Ausgaben noch stärker erhöht, als das bis jetzt mit dem Finanzminister vereinbart ist?
    Bartels: Ich glaube, ich weiß es nicht, aber ich glaube, dass das, was man jetzt offenbar nach Brüssel gemeldet hat, 1,5 Prozent vom BIP bis 2024, dass das in der Regierung abgestimmt ist – kann ich mir jedenfalls anders gar nicht vorstellen, habe auch nichts Gegenteiliges von anderen Koalitionspartnern gehört. Das dürfte jetzt gemeinsame Position der Regierung sein. Und 1,5 Prozent ist auch das, was ich im Moment für realistisch halten würde. Das kann man ausgeben und das würde die Bundeswehr schon einen ordentlichen Schritt voranbringen.
    Bartels: Dann ist es gut, dass der SPD-Finanzminister, dass Olaf Scholz in diesem Punkt noch einen Schritt auf die Ministerin zugegangen ist?
    Bartels: Man kann ja nicht erwarten, dass der Finanzminister jetzt die Verteidigungspolitik macht und der Ministerin das Geld anbietet. Es muss schon gefordert werden. Es muss übrigens auch gegenüber dem Bundestag, der ja schließlich das Haushaltsgesetz beschließt, gefordert werden. Was das Parlament noch erwartet, ist jetzt mal ein mittelfristiger Investitionsplan, so dass man sehen kann, in welchem Jahr soll was beschafft werden, wieviel Mittel sind dafür erforderlich.
    Der Bundestag ist auch sehr bundeswehrfreundlich. Er weiß, dass es eine Parlamentsarmee ist. Ich erinnere mich: In der letzten Wahlperiode zum Beispiel gab es auf Initiative der Koalition im Bundestag zusätzliche Schiffe für die nun wirklich gebeutelte Marine, der schlicht die Plattformen fehlten. Man hat dann aus dem Bundestag heraus eine Initiative gestartet. Das wird jetzt nicht nötig sein. Ich glaube, das Bewusstsein ist auf allen Seiten inzwischen groß.
    Barenberg: Wie rasch wird denn etwas geschehen können, um die Dinge grundsätzlich zum Besseren zu entwickeln?
    Bartels: Man muss jetzt sofort damit anfangen, die Organisationswertschöpfung so zu verbessern, dass man zusätzliches Geld, das jetzt kommen wird, auch ausgeben kann. Ich würde sehr vorschlagen, jetzt mit Projekten zu beginnen, die sich unmittelbar auswirken, persönliche Ausstattung der Soldaten, von Stiefeln über Bekleidung bis hin zu Gehörschutz, Schutzwesten und Nachtsichtbrillen. Das ist alles schon erfunden, das gibt es alles, ist auch zertifiziert; man muss es nur kaufen in einer Stückzahl, die dann wirklich für die ganze Bundeswehr reicht, und nicht immer nur kleine Kontingente ausrüsten.
    Heute reden wir über die Aufgabe der kollektiven Verteidigung. Es wird kollektiv verteidigt im Bündnis, in Europa. Dafür braucht man die ganze Bundeswehr und nicht wie bis 2014 nur die Ausrüstung kleinerer Kontingente, die in multinationalen Auslandseinsätzen unterwegs sind, in Afghanistan, Afrika oder so. Die ganze Bundeswehr ist dann schon eine etwas größere Herausforderung. Das sind 180.000 Soldaten.
    "Komplett einsatzbereit ist keine einzige davon"
    Barenberg: Wenn wir unter anderem über Nachtsichtbrillen reden und über Schiffe, die nicht fahren, und Panzer, die nicht einsatzbereit sind, oder Kampfjets - wie dringend ist es da, dass jetzt unmittelbar etwas passiert, und wie falsch ist es von der SPD, in diesem Zusammenhang immer vor Aufrüstung zu warnen?
    Bartels: Um Aufrüstung geht es gar nicht. Es geht um Ausrüstung, um aufgabengerechte Ausrüstung, um eine Vollausstattung der Bundeswehr. Sie ist ja jetzt nicht mehr voll ausgestattet. Seit der letzten Bundeswehrreform gibt es keine 100 Prozent mehr, sondern auch programmatisch, so ist es vorgesehen gewesen, nur noch maximal 70 Prozent der Ausstattung, und man hat das auch sehr schnell erreicht, diese Reduzierungen – hätte auch vielleicht für die Auslandseinsätze reichen können.
    Für die heutige Doppelaufgabe, Auslandseinsätze und kollektive Verteidigung, braucht man die 100 Prozent. Und insofern: Man muss sich jetzt einfach dem wieder annähern, was eine normale Armee hätte, nämlich die Ausrüstung für alle ihre Einheiten und Verbände. Wir haben heute drei Divisionen des Heeres auf dem Papier, aber komplett einsatzbereit ist keine einzige davon.
    Barenberg: Das heißt, wenn die SPD – ich möchte das noch mal erwähnen – vor Aufrüstung warnt, dann ist das aus Ihrer Sicht ein Zerrbild?
    Bartels: Das geht nicht. Wer immer sagt, es ginge jetzt um Aufrüstung, verkennt die Notwendigkeit, überhaupt erst einmal wieder auf einen Normalstand, auf eine 100 Prozent Ausrüstung zu kommen. Über das reden wir. Aber natürlich: Wenn die Bundeswehr heute mit neuem Gerät ausgerüstet wird, dann soll das schon auch modern sein, dann soll das Stand der Technik sein und es sollte dann auch gerne bessere Technik sein als vor 20 oder 30 Jahren.
    Barenberg: Sie haben die Probleme in der internationalen Politik angesprochen, die zahlreichen Krisenherde. Wenn NATO-Generalsekretär Stoltenberg mehr Engagement von Deutschland verlangt und deutsche Führung, wie stellen Sie sich das für die Zukunft vor? Wie soll diese Führung aussehen?
    Bartels: Es gibt eine besondere Rolle, die Deutschland in Europa schon spielt. Deutschland ist Motor bei dem sogenannten Framework Nation Concept der NATO, dem Rahmennationen-Konzept. Da machen insgesamt 20 europäische Nationen mit, innerhalb der NATO, sind nicht alles NATO-Staaten, auch Finnland und Schweden zum Beispiel. Die machen mit, ihre Fähigkeiten gemeinsam zu verbessern, nicht alle das gleiche, sondern in unterschiedlichen Clustern. Das ist eine Initiative, die von Deutschland ausging, die seit 2014 läuft.
    Neuerdings gibt es jetzt Pesco, die permanente strukturierte Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union. Da machen 25 Länder mit. Das war eine Initiative von Deutschland und Frankreich. Wir gehen da schon voran, denn wenn wir 1,5 Millionen Soldaten in Europa haben, ist das ja nicht so, dass die Armeen zu klein wären. Sie sind zu uneffektiv. Wir haben 28 Mal in der Europäischen Union letztlich das gleiche. Wir haben in den NATO-Staaten Europas, 22 NATO-Staaten haben wir, 22 Mal nicht gut aufeinander abgestimmte Strukturen.
    Wenn wir da besser werden, wäre auch schon was gewonnen – entlastet uns nicht davon, selber besser zu werden, aber wenn man die Effektivität dieser großen Zahl von Soldaten so verbessert, dass es mehr ein gemeinsames Ganzes wird, dann wird es mit der Verteidigung Europas auch einfacher und am Ende nicht zu teuer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.