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Vertrauen - eine Frage des Alters

Rentner fallen häufiger auf Trickbetrüger herein als andere Bevölkerungsgruppen. Dabei wissen auch die meisten Senioren, dass man an der Haustür besser keine Verträge unterschreiben soll. Warum sie dennoch schnell Opfer leicht zur durchschauender Betrügereien werden, hat jetzt eine amerikanische Wissenschaftlerin untersucht.

Von Kristin Raabe | 04.12.2012
    Die 84-jährige Rentnerin ahnt nichts Böses, als plötzlich ein Scherenschleifer vor ihrer Tür steht. Am Ende des Tages sind zwei ihrer Messer tatsächlich geschliffen, die alte Dame ist 150 Euro los und der Betrüger kennt die Pin-Nummer ihrer EC-Karte. Täglich werden ältere Menschen in Deutschland Opfer von Betrügereien. Die Täter sind in Banden organisiert und handeln untereinander CDs mit Adressdateien von Senioren. Dass Betrüger sich auf ältere Menschen spezialisiert haben, ist ein weltweites Phänomen. An der Universität von Kalifornien in Los Angeles untersucht die Sozialpsychologin Shelley Taylor, warum ausgerechnet Senioren so leicht zu Opfern werden.

    "Menschen werden schon in ihren 40ern empfänglicher für finanzielle Betrügereien. Die größten Verluste erleiden typischerweise Männer von Mitte 50, die eigentlich erfahrene Investoren sind. Insgesamt gibt es unter den Opfern aber mehr Frauen, weil es in dieser Altersgruppe insgesamt einfach mehr Frauen gibt. Aber bei den Frauen sind die Verluste eher niedriger, es geht da eher um Trickbetrüger oder Lotterien und solche Sachen."

    Was wirklich hinter dieser scheinbaren Leichtgläubigkeit steckt, hat Shelley Taylor mit einem einfachen Experiment untersucht: Sie zeigte einer Gruppe junger und alter Versuchspersonen Fotos von Personen, die mal sehr vertrauenswürdig und mal eher wenig vertrauenswürdig aussahen. Ein unsicheres Lächeln oder ein fehlender Blickkontakt etwa macht die meisten Menschen eher misstrauisch. Tatsächlich unterschieden sich die jungen Versuchspersonen und die Über-60-Jährigen nicht in ihrer Einschätzung der vertrauenswürdigen Gesichter.

    "Als wir ihnen aber die nicht vertrauenswürdigen Gesichter zeigten, schätzten die älteren Versuchspersonen sie viel vertrauenswürdiger ein als die Jüngeren. Ältere Menschen haben also eine Schwäche bei der Einschätzung von nicht vertrauenswürdigen Gesichtern."

    Was tatsächlich dahinter steckt, konnte Shelley Taylor mithilfe eines Kernspintomografen herausfinden.

    "Was wir sahen, war, dass nur die jungen Versuchspersonen eine Aktivierung in der sogenannten anterioren Insel hatten, wenn wir ihnen die wenig vertrauenswürdigen Gesichter zeigten. Die Über-60-Jährigen aktivierten diesen Hirnteil nicht. Die anteriore Insel ist aber ein Hirngebiet, von dem wir wissen, dass es für die Einschätzung eines Risikos wichtig ist. Es vermittelt den Jungen also eine Art Warnsignal. "Achtung, sei vorsichtig!" . Ältere Menschen erhalten diese Meldung offenbar nicht."

    Dieses Ergebnis hatte nichts damit zu tun, wie hoch geistig rege die Versuchspersonen waren oder wie aktiv sie noch am sozialen Leben teilnahmen. Es scheint lediglich vom Alter abzuhängen, ob das Gehirn bei wenig vertrauenswürdigen Gesichtern ein Warnsignal gibt oder nicht.

    "Wir glauben, dass das Teil eines altersabhängigen Musters ist, bei dem das Gehirn dazu beiträgt, das Leben schöner, vertrauensvoller und emotional zufriedenstellender aussehen zu lassen."
    Eigentlich eine schöne Sache, die dazu führt, dass die meisten Senioren emotional ausgeglichener und zufriedener sind als jüngere Menschen. Wieso das ältere Gehirn so anders reagiert, will Shelley Taylor in weiteren Forschungsprojekten untersuchen. Es könnte sein, dass bestimmte Verbindungen zwischen verschiedenen Hirnteilen nicht mehr so gut funktionieren. Manche Hirnareale werden mit dem Alter auch kleiner. Das muss nicht unbedingt dazu führen, dass ältere Menschen geistige Fähigkeiten verlieren. Sie scheinen nur oft anders zu reagieren als jüngere. Solange sie nicht Opfer von Betrügern werden, ist das eigentlich kein Problem.