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Vertrauensabstimmung in Prag

Vor dem Hintergrund des harten Sparkurses und der Affären- und Korruptionsskandale der Regierung haben viele Tschechen das Vertrauen in die etablierte Politik verloren und fordern Neuwahlen. Ministerpräsident Necas will nun im Parlament die Vertrauensfrage stellen.

Von Stefan Heinlein | 27.04.2012
    Es war die stabilste Mehrheit seit der Revolution '89. Mit deutlichem Vorsprung wurde die Mitte-Rechts-Regierung vor zwei Jahren ins Amt gewählt. Doch das Vertrauen ist dahin. Nach etlichen Korruptionsskandalen und Affären hat sich die Dreiparteienkoalition aufgelöst.

    Ministerpräsident Necas kämpft heute um sein politisches Überleben:

    "Ich habe beschlossen, im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen. Das ist die sauberste Lösung. Jeder kann sagen, ob er für oder gegen die Regierung ist. Wenn wir verlieren, gibt es im Juni Neuwahlen."

    Die Abstimmung wird zu einer Zitterpartie für Petr Necas. Nach der Spaltung der kleinsten Koalitionspartei VV hat die Regierung ihre Mehrheit im Parlament verloren. In Prag wird deshalb jetzt der Rechenschieber ausgepackt. Der konservative Ministerpräsident hofft auf die Stimmen von Überläufern und fraktionslosen Abgeordneten:

    "Wir wollen eine Koalition aus drei politischen Subjekten. Meiner Partei der ODS, unserem Koalitionspartner der TOP 09 und einer neuen politischen Plattform, von der wir erwarten, dass sie bald eine Fraktion sein wird."

    Dieses riskante politische Manöver des Ministerpräsidenten sorgt für heftige Empörung bei der Opposition. Die Sozialdemokraten liegen in den Umfragen mit großem Abstand in Führung. Parteichef Sobotka wittert nun die Chance über Neuwahlen an die Macht zu kommen:

    "Die Existenz der Regierung hängt an einer Gruppe von Überläufern. Das ist der Weg in die Hölle. 80 Prozent der Bevölkerung haben genug von dieser Koalition. Wir fordern Neuwahlen."

    Tatsächlich sind die Umfragen eindeutig. Zwei Drittel der Tschechen sind für ein möglichst rasches Ende der Mitte-Rechts-Regierung. Der Prager Politikwissenschaftler Jiri Pehe rechnet deshalb mit einem Erfolg des Misstrauensvotums:

    "Die Überläufer werden mit Ja stimmen, nicht, weil sie inhaltlich von der Regierung überzeugt sind, sondern weil sie Angst vor Neuwahlen haben. Sie fürchten um ihre politische Existenz. Eine solche Regierung wird sehr instabil sein."

    In Tschechien wächst unterdessen der Druck der Straße. Auf dem Prager Wenzelsplatz demonstrierten am vergangenen Wochenende mehr als 100.000 Menschen gegen das Sparpaket der Regierung. Sie sind gegen die Mehrwertsteuererhöhung, die Einführung von Studiengebühren und die angekündigten Rentenkürzungen.

    Schluss mit den asozialen Reformen – stoppt die Regierung – fordern die Gewerkschaftsvertreter. Sollte Ministerpräsident Necas die Vertrauensfrage heute gewinnen, haben sie für die kommenden Wochen weitere Proteste und Streiks angekündigt, um die Regierung aus dem Amt zu jagen. Beobachter warnen deshalb vor den politischen Folgen der Vertrauensabstimmung. Jiri Pehe:

    "Das ist eine politische Tragödie. Wir erleben den Kollaps der Regierung auf offener Bühne. Das ist sehr gefährlich. Die Stimmung vieler Menschen richtet sich jetzt auch gegen das demokratische System, weil sie es für gescheitert halten."

    Vor dem Hintergrund des harten Sparkurses und der machtpolitischen Manöver der Regierung haben viele Tschechen das Vertrauen in die etablierte Politik verloren. Jeder Fünfte hält mittlerweile die orthodox-kommunistische Partei für die einzig echte Alternative zu den affären- und korruptionsbelasteten Rechtsparteien.

    "Ich glaube dieser Regierung nicht mehr. Sie hangelt sich nur von einer Korruptionsaffäre zur nächsten. Ich möchte lieber eine gemeinsame Regierung aus Sozialdemokraten und Kommunisten."
    Keine Einzelmeinung. Sollte die Regierung heute scheitern, rechnen alle Beobachter bei Neuwahlen mit einem deutlichen Linksruck in Tschechien. Die Sozialdemokraten schließen eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten mittlerweile nicht mehr grundsätzlich aus.