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Vertrauensperson für NSA-Unterlagen
Was ein Blick in die Selektorenlisten wirklich bringt

Die Bundesregierung will die Liste mit Suchbegriffen des US-Geheimdiensts NSA nur einem Sonderermittler zeigen. Ob der dadurch wirklich neue Erkenntnisse bekommt, scheint aber fraglich, meint der Computer-Journalist Peter Welchering: Eine Einzelperson wäre mit der Anlayse zwangsläufig komplett überfordert.

Peter Welchering im Gespräch mit Manfred Kloiber | 20.06.2015
    Mit der Vernehmung eines Zeugen wird am 25.09.2014 im Paul-Löbe-Haus in Berlin eine öffentliche Sitzung des NSA- Untersuchungsausschusses fortgesetzt.
    Im NSA-Untersuchungsausschuss wird über die "Vertrauensperson" gestritten. (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Manfred Kloiber: Seit Donnerstag dieser Woche ist es ja amtlich: Die Bundesregierung wird einer Vertrauensperson Einsicht in jene Selektorenliste gewähren, die die NSA an den Bundesnachrichtendienst gab. Und diese Vertrauensperson soll dann wiederum das Parlament darüber informieren, was genau denn der BND mit den Selektoren gemacht hat. Mit dieser Untersuchung hängen viele Fragen zusammen, die die Abgeordneten beantwortet haben wollen, beispielsweise, ob der BND der NSA bei ihrer Industriespionage in Europa unter die Arme gegriffen hat. Kann der Beauftragte solche Fragen denn nach einem Blick in die Selektorenliste beantworten, Peter Welchering?
    Peter Welchering: Nur ein Blick in die Selektorenliste hilft da gar nicht weiter. Er muss klären, bei welchen Zielselektoren denn welche Suchselektoren angewendet wurden. Nur dann kann er herausbekommen, ob beispielsweise bei der EADS nach Handelsbeziehungen zum Iran gesucht wurde, um zu klären, ob der iranischen Armee beispielsweise Helikopter verkauft werden sollten. Oder ob bei der EADS nach Konstruktionsunterlagen gesucht wurde. Das wäre ja ein ganz anderer Vorgang. Und deshalb müssen unterschiedliche Selektoren miteinander gematcht werden. Wer das machen will, braucht Zugriff auf die entsprechenden Datenbanken. Er braucht Zugriff auf das komplette Material, auf alle Selektorenlisten. Und er braucht effiziente Analysewerkzeuge. Ein Ermittlungsbeauftragter oder eine Vertrauensperson ist mit einer solchen Prüfung völlig überfordert.
    Kloiber: Da müssen wir doch einmal klären, was Selektoren denn nun eigentlich sind. Man spricht da von Mail-Adressen, aber auch von Suchbegriffen. Was hat es also mit den Selektoren auf sich?
    Welchering: Der Leiter der BND-Außenstelle in Bad Aibling hat öffentlich immerhin gesagt, Selektoren seien Mail-Adressen und Internet-Protokolladressen. Also ein solcher Selektor kann etwa meine Mailadresse sein. Wenn die eingegeben wird, dann fischen die Überwachungsprogramme des BND heraus, mit wem ich so alles Mails ausgetauscht habe. Auch die Benutzernamen und Spitznamen auf Chat-Foren sind übrigens solche Selektoren. Da können sich die Schlapphüte dann heraussuchen lassen, was peterw alles in einem Chatforum wie 4chan gelästert hat. Telefonnummern, Mobilfunknummern und Gerätenummern von Smartphones zum Beispiel sind weitere Selektoren. Mit denen wird dann im Datenmeer der abgegriffenen Internet-Kommunikation oder Telefonie nach nachrichtendienstlich relevanten Daten gefischt.
    Kloiber: Wie kommen diese Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen eigentlich auf die Selektorenliste?
    Welchering: Entweder weil die Zielperson oder die Zielorganisation schon bekannt ist. Beispiel: Bundeskanzlerin. Oder weil sich aus der Musteranalyse der Metadaten ein verdächtiges Verhaltensmuster ergeben hat. Beispiel: terroristische Kommunikation. Wer durch sein verhalten als Zielperson eingestuft wird, landet eben auch auf dieser Selektorenliste. Das sind Selektoren erster Ordnung, und dann gibt es noch eine Selektorenliste mit Suchbegriffen. Das sind Selektoren zweiter Ordnung.
    Kloiber: Wären denn auch Firmennamen oder Produktnamen denkbar?
    Welchering: Ja klar, als Suchwort. Das wird ja auch gemacht. Eine zeitlang etwa hat die NSA tatsächlich die gesamte Kommunikation nach Stichwörtern durchsuchen lassen wie etwa Al Qaida. Aber das hat nicht viel gebracht, weil so nur Datenmüll produziert wurde. Da gabs millionenfache Fundstellen. Da haben sich Leute über Al Qaida lustig gemacht. Aber keine einzige verwertbare Fundstelle. Deshalb ist eine solche Suche nur sinnvoll, wenn sie mit Selektoren verbunden ist. Also die Suche nach einem Suchbegriff wie zum Beispiel Eurocopter führt zu Datenmüll. Die führt nur dann zu nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, wenn über einen Selektor, etwa meine Satellitentelefonnummer oder meine IP-Adresse, ermittelt werden kann, mit wem ich was über Eurocopter kommuniziert habe. Nr. 1 der meistgesuchten Suchbegriffe der NSA in 2013 war "Mostazafin", eine verdeckt arbeitende iranische Einkaufsorganisation für Rüstungsgüter. Wer das in seiner Mail stehen hatte, in einem Telefongespräch erwähnte, der wurde gesondert überwacht, dessen Mail-Adresse kam in die Liste der Selektoren. Die Liste mit solchen verdächtigen Suchstichworten soll übrigens 150.000 Verdachtwörter umfassen.
    Kloiber: Das heißt, die Überwachungspraxis der NSA hat sich da gewandelt?
    Welchering: Sehr schnell sogar nach 2001. Die wollten ja auch nicht im Datenmüll ersticken. Deshalb haben sie Suchwörter sehr gezielt in den Kommunikationsdaten bei bestimmten Zielpersonen der Zielorgansiationen, also Selektoren erster Ordnung gesucht und ausgewertet. Und diese Auswertung hatte drei Ziele: Wirtschaftsspionage, innere und äußere Sicherheit und die gezielte Überwachung von Medien, um die veröffentlichte Meinung in einem Land für die nächste Zukunft analysieren zu können.
    Kloiber: Das heißt, dass sich auch Journalisten auf dieser Selektorenliste befinden?
    Welchering: Aller Wahrscheinlichkeit nach ja. Der Fall Susanne Kölbl, die der BND in Afghanistan überwacht hat, zeigt, dass der Datenverkehr deutscher Journalisten analysiert wurde. Und die Dokumente von Edward Snowden lassen den kalten Schluss zu, dass die NSA aufklären wollte, wie Journalisten über bestimmte Themen denken, woran sie gerade arbeiten, was sie recherchieren. Solche Zusammenhänge müssen aufgeklärt werden. Aber genau das lässt sich nicht von einem Ermittlungsbeauftragten mit einem Blick in die Selektorenliste bewerkstelligen.