Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


"Vertrauensverhältnis doch sehr, sehr mit den Amerikanern belastet"

Es müsse verbindliche Absprachen in der EU und mit den USA über die Befugnisse der Geheimdienste geben, fordert die scheidende Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Sie kündigt an, sich auch weiter an der politischen Diskussion zu beteiligen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Gudula Geuther | 27.10.2013
    Gudula Geuther: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, es gibt in den USA einen schönen Brauch: Der scheidende Präsident hinterlässt seinem Nachfolger einen handgeschriebenen, verschlossenen Brief auf dem Schreibtisch. Wir wissen nicht wann, aber Sie werden in den kommenden Wochen Ihren Schreibtisch räumen. Welche Botschaft würden Sie Ihrem Nachfolger, Ihrer Nachfolgerin darauf hinterlassen?
    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Zunächst würde ich meinem Nachfolger oder meiner Nachfolgerin natürlich in einem persönlichen Gespräch die Dinge mitteilen, die auch das Haus betreffen, einfach wichtig sind, um möglichst zügig dann auch mit der Arbeit beginnen zu können. Aber in einem verschlossenen Umschlag würde ich kein Geheimnis schreiben, sondern eine Selbstverständlichkeit, nämlich die: Das Bundesjustizministerium ist Verfassungsministerium, Aufgabe ist Schutz und Achtung der Grundrechte und je nach Aktualität ist das Justizministerium mehr oder weniger gefordert, nach meiner Erfahrung immer mehr.
    Geuther: Und damit sind wir bei dem Thema, bei dem wir in den letzten Tagen ständig sind, nämlich bei der Abhöraffäre. Der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter sagte, er glaube nicht, dass die Bundesregierung die ganze Sache unterschätzt habe und ein schlechtes Gewissen haben müsse. Sehen Sie das genau so?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Die Bundesregierung hat, jetzt ja schon vor mehreren Monaten beginnend, gerade auch in Hinblick auf die Verantwortlichkeit von Geheimdiensten, Informationen vonseiten der zuständigen Minister eingeholt und sich intensiv damit beschäftigt. Wir haben Kabinettsberatungen, auch Beschlüsse – Acht-Punkte-Programm – gehabt. Ich war immer der Auffassung und habe das auch die ganzen Wochen und Monate hinweg gesagt, wir sind nicht zu Ende mit der Aufklärung. Wir haben vielleicht ein paar Erkenntnisse mehr gewonnen, aber insgesamt hat das eine Dimension, dass wir eigentlich immer mittendrin sind. Ich glaube, das sollte einfach heute die Grundlage sein. Es ist nichts beendet gewesen und ich glaube, man ist fast eher wieder zurück auf Null und muss sich noch mal ganz grundlegend überlegen, wie man in Gesprächen mit unseren Verbündeten in den Vereinigten Staaten doch mal ein paar Themen sehr viel intensiver anspricht mit dem Ziel von verbindlicher Vereinbarung und Klärung.
    Geuther: Um trotzdem noch mal kurz zurückzublicken: Bevor man zurück auf Null gekommen ist, war die Bundesregierung insgesamt sehr beschwichtigend und lau, zumindest nach außen hin. Sie selbst, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, waren da etwas forscher, Sie haben es auch eben gesagt, aber deutlich leiser auch als in anderen Fragen. Warum?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe mich natürlich sehr um diese Sachen, so weit meine Zuständigkeiten gehen, gekümmert. Die ist begrenzt in diesen Fragen. Leider habe ich auch keine Kompetenz für den Datenschutz insgesamt im Bundesjustizministerium ...
    Geuther: … da kommen wir gleich noch drauf …
    Leutheusser-Schnarrenberger: ... es – denke ich – ist schon so eine Wechselwirkung. Zunächst natürlich extremes Befassen und auch Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Ich habe auch dann in den Wochen und Monaten erlebt, dass trotz sehr, sehr vieler Pressegespräche, Redaktionsbesuche mit einem Mal dann ab Mitte August/Anfang September das Thema überhaupt nicht mehr nachgefragt wurde, also weder vonseiten der Bürgerinnen und Bürger, noch auch von denen, die die öffentliche Meinung auch ganz entscheidend mitprägen. Vielleicht ist das etwas, was schon auch kritisch Politik hinterfragen muss. Es darf nicht nur so ein Auf und Ab von Themen geben, sondern Kontinuität, auch nicht Überaufgeregtheit, aber auch auf keinen Fall Beschwichtigung und Wegräumen. Den richtigen Weg da zu finden, das kann man auch mit den Erfahrungen aus den vergangenen Wochen dann für die Zukunft hoffentlich leichter tun.

    Mehr Befugnisse für das Parlamentarische Kontrollgremium
    Geuther: Das was wir mitbekommen von der Frage, das hören wir ja vor allem über die parlamentarische Kontrolle. Und die Kontrolle des Regierungshandelns hat ja hier ein besonderes Problem, nämlich dass das Parlamentarische Kontrollgremium – sinnvollerweise eigentlich auch - nur für die deutschen Dienste zuständig ist. Gibt es da ein Problem, an das man jetzt vielleicht jetzt in allgemeinerer Form noch mal ran müsste?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Das Parlamentarische Kontrollgremium in Deutschland ist in meinen Augen natürlich ein schon gut funktionierendes Organ, aber wir wollen auch, auch im Hinblick auf die Aufgaben, aber auch auf die Ausgestaltung, auf die Befugnisse, eine Ausdehnung. Die FDP, gerade auch unser Verantwortlicher Hartfrid Wolff in dem Gremium, hat diese Vorschläge in der letzten Legislaturperiode formuliert. Und ich glaube, wir kommen jetzt zu dem Punkt, wo man überlegen muss, wie kann über nationale Grenzen hinweg einmal eine verbindliche Absprache unter Verbündeten in der EU und dann mit den Vereinigten Staaten von Amerika erfolgen, um sich hier über Tätigkeiten, Befugnisse und Grenzen dessen, was die jeweiligen nationalen Geheimdienste können, zu verständigen. Und das geht natürlich nur auch einher mit einer wirksamen Kontrolle. Ich glaube nicht, dass ein "Super-EU-Überwachungskontrollgremium" jetzt der richtige Ansatz wäre, um die nationalen Nachrichtendienste zu überwachen. Die EU hat da keine Kompetenzen, aber die Regierungen können sich verständigen. Und ich denke, da muss jetzt dringend vorangegangen werden. Der Rat jetzt in den letzten Tagen – am Donnerstag und Freitag – hat ja das auch mal thematisiert, etwas sehr allgemein in einer Formulierung gefasst, aber immerhin etwas.
    Geuther: Und England hat gleich hilfreich darauf hingewiesen, dass diese Kompetenz nicht besteht.
    Leutheusser-Schnarrenberger: England hat darauf hingewiesen. Natürlich ist das – offen gesagt – mit den Briten sowieso ganz, ganz schwierig in diesen Fragen. Das sehen wir ja auch beim Datenschutz und vielen anderen Dingen, vor allem bei dem Bestreben der britischen Regierung, sich zu verabschieden aus weiten Teilen der europäischen Rechts- und Justiz- und Innenpolitik. Aber ich denke, die anderen europäischen Regierungschefs haben sich davon jetzt nicht beeindrucken lassen. Und es geht nicht darum, dass es ein harmonisiertes EU-Recht gibt, dazu gibt es derzeit keine Kompetenz in den EU-Verträgen, aber dass es eine Vereinbarung der Mitgliedsstaaten, sprich ihrer Regierungen gibt. Und das ist natürlich ohne jegliches Problem möglich, so eine völkerrechtliche Vereinbarung. Das gibt es ja auch in anderen Bereichen, so hat man mit Schengen und mit der Grenzsicherung angefangen. Und von daher ist dieser Hinweis von Herrn Cameron in meinen Augen schon eher ein Rückzugsgefecht und eine Botschaft nach Hause.
    Geuther: Aber selbst, wenn man es nur als Vereinbarung der Regierungen untereinander macht, hat man auch das Problem, dass in anderen Staaten, zum Beispiel auch in Frankreich, der Umgang mit Datensammlungen, auch nicht ganz legalen Datensammlungen, durchaus ein anderer ist, als das nach unserem Verständnis richtig wäre.
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ein deutsches G-10-Gesetz, das ja die Grundlagen schafft für die Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes, Bundesamt für Verfassungsschutz in gewissen Punkten mit anderen Gesetzen zusammen, gibt es in dieser Form in den anderen europäischen Mitgliedsstaaten nicht. Aber ich glaube, man muss sehen: Erst mal sollte man sich doch jetzt hoffentlich verständigen über das, was Geheimdienste befreundeter Staaten dürfen hinsichtlich der Befugnisse. Das heißt ja nicht, dass nicht auch irgendwo Informationen erhoben werden können – aber zu welchen Zwecken, zu welchen Aufgabenerfüllungen, unter welchen Voraussetzungen. Und wenn so was, was ja auch sich unter einem sogenannten No-Spy-Abkommen dann verbirgt, von dem jetzt wieder die Rede ist, was schon im Acht-Punkt-Programm der Bundesregierung auch als ein Punkt enthalten war, dann wäre das in meinen Augen etwas, was wirklich was ganz Neues wäre und wo jetzt ein Momentum da ist – Politik braucht immer den richtigen Zeitpunkt. Das kann in einem Dreivierteljahr schon wieder zu spät sein.
    David Cameron
    "Hinweis von Herrn Cameron in meinen Augen schon eher ein Rückzugsgefecht." (picture alliance / dpa /Facundo Arrizabalaga)
    Snowden als Zeugen vernehmen
    Geuther: Es gibt auf europäischer Ebene ja noch andere Themen, die hier reinspielen. Doch bevor wir dazu kommen, würde ich gern noch mal in einem Bereich nachfragen, der das Handeln deutscher Behörden betrifft. Die Bundesanwaltschaft hat einen weiteren sogenannten Beobachtungsvorgang angelegt. Ist es nicht langsam Zeit für ein Ermittlungsverfahren, und ist dann nicht spätestens auch der Zeitpunkt gekommen, in dem der befragt wird, von dem all die Informationen kommen – Edward Snowden?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Es trifft zu, die Bundesanwaltschaft hat einen Beobachtungsvorgang im Hinblick auf die jetzt jüngsten Informationen durch Herrn Snowden angelegt und sammelt damit Informationen, Erkenntnisse, fragt natürlich damit auch die zuständigen Institutionen in Deutschland. Und wenn sich, und es ist ja schon deutlich, dass das nicht etwas ist, wo man übermorgen zur Tagesordnung übergeht, wenn sich das verdichtet und dann zu einem Ermittlungsvorgang wird, dann ist auch der Zeitpunkt da, wo dann die zuständigen Bundesanwälte überlegen müssen, ob sie Herrn Snowden als Zeugen vernehmen würden und unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen das passieren kann.
    Geuther: Die Erkenntnisse sind hart genug für einen erbosten Anruf beim US-Präsidenten, die Erkenntnisse sind hart genug, um den Botschafter einzubestellen, aber nicht für ein – ich sage mal – bloßes Ermittlungsverfahren?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Also, das ist jetzt ja die Prüfung der Bundesanwaltschaft. Das eine waren jetzt die notwendigen richtigen, auch ersten politischen Reaktionen. Das ist jetzt Aufgabe der obersten Staatsanwaltschaft hier in Deutschland, des Generalbundesanwalts. Und er ist sich natürlich dieser Bedeutung und der Wichtigkeit dieses Vorgangs sehr, sehr bewusst, aber er muss nach den entsprechenden Anforderungen und Grundlagen vorgehen, die für seine Arbeit gelten. Aber wir werden ja in Kürze sehen, wohin das dann führen kann und ob da auch noch andere Erkenntnisse dann vielleicht in so einem Ermittlungsverfahren durch dann auch Zeugenvernehmungen gewonnen werden müssen und können.
    Geuther: Was Edward Snowden selbst betrifft, hat die Bundesregierung gerade erst wieder klar gemacht, dass die Frage des Asyls nicht im Raum steht, aber Deutschland könnte ihn ja nach wie vor aufnehmen, weil das die Interessen der Bundesrepublik entspricht. Das ist ja eine andere Konstruktion, eine andere Frage. Sollte die nicht noch einmal gestellt werden?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Damit haben sich Auswärtiges Amt und Innenministerium vor einigen Wochen beschäftigt und sind damals zu der eben auch genannten Einschätzung gekommen. Es hat ja schon im Vorgriff vonseiten der Amerikaner immer wieder auch das Ersuchen gegeben, dass die Bundesregierung doch jetzt schon entscheiden möge, in jedem Fall würde Herr Snowden, wenn er einen Fuß nach Deutschland setzen würde, auch dann sofort ausgeliefert. Das haben wir nicht gemacht als Bundesregierung. Ich habe auch ganz klar immer die Auffassung - und vertrete sie bis heute so -dazu deutlich gemacht: Das hat natürlich ganz, ganz viele Aspekte, Fragestellungen, Implikationen. Und von daher gibt es so etwas nicht, vorab mal eine Entscheidung zu treffen, um quasi den Wall auch sichtbar so hoch aufzubauen, dass niemand darüber kann. Das ist ja das politische Bestreben. Und ich denke, es werden die zuständigen Ressorts sich jetzt auch im Licht aller Erkenntnisse sich mit allen Facetten zu befassen haben.
    Geuther: Wenn wir bei Ermittlungsverfahren sind: Ermittlungsverfahren gegen US-Agenten sind in der Vergangenheit regelmäßig still eingeschlafen. Man denke da etwa an die Staatsanwaltschaft Zweibrücken, die bei Ermittlungen gegen CIA-Agenten wegen einer Rendition, einer Verschleppung, vor Ihrer Zeit auch vom Justizministerium ausgebremst wurde. Muss da grundsätzlich jetzt umgedacht werden?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, das war in den Jahren, glaube ich, 2003 bis 2008, wo dann der zuständige Staatsanwalt das Verfahren eingestellt hat. In Italien sind ja damals CIA-Agenten in Abwesenheit verurteilt worden. Ich habe mich in der Zeit intensiv in der parlamentarischen Versammlung des Europarates mit diesen Fragen der unerlaubten Rendition beschäftigt. Und da gibt es ja Berichte aus dem Europarat, auch von Dick Marty, die immer als absolut unglaubwürdig, nicht überzeugend, alles habe man da so mehr oder weniger erfunden, abgetan wurden. Jetzt sieht man, dass das alles ja doch alles einen noch tieferen Boden hat, dass da doch vielleicht mehr vorhanden ist. Das ist schwierig, denn es sind immer auch, so sieht es auch die Strafprozessordnung vor, immer auch in bestimmten Fällen politische Überlegungen, die mit einfließen.

    Deshalb darf ja auch in bestimmten Verfahren gesagt werden, jetzt wird jemandem keine Aussageerlaubnis erteilt, wenn das auch die politischen Interessen berühren kann. Das sind natürlich auch Dinge, die geheim gehalten werden sollen in Staaten. Also ist das schwierig. Ich glaube, wir haben mit unseren Regelungen die Möglichkeiten von Abwägung und in beide Richtungen zu gehen. Aber es liegt natürlich auch daran, wie sich dann gerade der Staat verhält, um dessen Staatsangehörige es geht. In diesem Fall waren es CIA-Agenten. Und ich könnte mir denken, dass jetzt im Lichte dessen, was wir debattieren und wo das Vertrauensverhältnis doch sehr, sehr mit den Amerikanern belastet ist, dass man vielleicht auch hier jetzt dann nach ernsthaften Gesprächen mit den Amerikanern zu anderen Gewichtungen kommt.
    Unternehmen in der Pflicht
    Geuther: Das Verfahren wurde ja noch mal eingestellt, 2011. War das auch auf der Grundlage einer politischen Entscheidung?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, da gab es ja jetzt nicht plötzlich neue Dinge, sondern da war ja ermittelt worden viele, viele Jahre lang in den 2000er Jahren.
    Geuther Verhältnis zu den USA: Deutschland und Brasilien wollen jetzt eine Resolution der UN-Vollversammlung auf den Weg bringen für einen besseren Schutz der Privatsphäre. Versprechen Sie sich davon Druck auf die USA?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist eine Möglichkeit, eine gute. Und man sollte jede ergreifen. Wir haben ja als Bundesregierung, besonders Guido Westerwelle und ich, schon vor vielen Wochen die Initiative gestartet, Artikel 17 des UN-Paktes für den Schutz bürgerlicher und politischer Rechte, da geht es auch um Privatsphäre, zu ergänzen, um hier den Datenschutz international zu verankern. Das ist jetzt genau auch so ein Ansatz nicht mit Blick auf vertragliche Regelung, sondern erst mal einer Resolution, die völkerrechtlich kein verbindlicher Vertrag ist, aber natürlich eine erhebliche politische Wirkung verbreitet. Das ist absolut gut, das kann für unser Anliegen, wo jetzt Staaten doch eher auch zögerlich sind, kann das noch mal viel mehr Druck geben. Also ich glaube, alle Möglichkeiten müssen erwogen und ergriffen werden.
    Geuther: Sie haben auch mit eine Initiative gestartet, und damit sind wir wieder bei der Europäischen Union, Unternehmen dazu zu verpflichten, offenzulegen, wem sie Daten weitergeben, also zum Beispiel Facebook zu verpflichten zu sagen, dass Daten an die NSA gehen, was Facebook dann wiederum das US-amerikanische Recht verbieten würde. Kritiker sagen jetzt, da würde der Konflikt mit den USA auf dem Rücken der Unternehmen ausgetragen und Europa könne nur den Kürzeren ziehen.
    Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, es wird ja kein Konflikt auf dem Rücken der Unternehmen ausgetragen, sondern das sind ja dann mehrere politische Entscheidungen, die getroffen werden. Nämlich einmal Datenschutz-Standards, und darum geht es bei diesem Vorschlag, innerhalb der Europäischen Union einheitlich zu schaffen und auch ausländische Konzerne zu binden. Die großen Internetkonzerne in den Vereinigten Staaten sehen ja, dass ihr Geschäftsmodell massiv in Gefahr gerät. Also von daher ist das ein Weg, dass damit dann auch in den Vereinigten Staaten, das was jetzt schon auch vor diesen Gerichten als Verfahren anhängig ist, und wo bisher noch das amerikanische Justizministerium sagt, sie wollen nicht, dass man von der eigenen Praxis abgeht, ja dahin kommen kann, dass eben durch entsprechende Änderung der Politik gerade diese Konzerne nicht in den Zwiespalt geraten. Von daher ist es in meinen Augen im Interesse des Privatsphärenschutzes der Bürgerinnen und Bürger wirklich ein erster auch mal wirkungsvoller Schritt. Und das genau wäre wirklich was Effektives.
    Datenschutz ins Justizministerium
    Geuther: Nun hängt diese Datenschutzgrundverordnung. Kritiker sagen, mit verantwortlich sei Innenminister Friedrich. Dem mag so sein oder nicht, aber in jedem Fall liegt auf der Hand, dass es Interessenkonflikte gibt, wenn jemand gleichzeitig für Datenschutz und innere Sicherheit zuständig ist. Sollte der Datenschutz unabhängig sein, sollte er ins Justizministerium?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich glaube, es passt sehr gut, wenn der Datenschutz, und das ist ja auch Grundrechtsschutzrecht, Recht auf informative Selbstbestimmung, Privatsphärenschutz im Justizministerium zuständig angesiedelt würde. Dann wäre eben Datenschutz nicht so ein Anhängsel von Sicherheitspolitik. Da ist ein Spannungsfeld, ganz klar. Man muss es immer wieder auflösen, abwägen. Es gibt auch nicht eine einseitige Entscheidung, auch keine einseitige Entscheidung immer nur für den Datenschutz, das ist ja selbstverständlich. Aber es wäre mehr Gewicht dabei. Aber wir haben ja gerade – Hans-Peter Friedrich und ich – wir haben ja diesen Vorstoß für die EU-Datenschutzgrundverordnung gemacht. Und es muss unbedingt diese Datenschutzgrundverordnung - die ist sehr, sehr umfangreich - unbedingt noch vor der Europawahl in den Kernpunkten verabschiedet werden. Sonst passiert 2014 wieder nichts, weil wir durch Wahlen, Neubildung, Kommission und allem anderen mehr dann einfach mehrere Monate keine Entscheidung und Entscheidungsgremien haben. Und deshalb mit allem Druck betreiben.

    Und wenn in den Koalitionsverhandlungen – auch die SPD hatte ja schon mal den Vorschlag in, glaube ich, ihren Papieren, im Wahlprogramm enthalten: Datenschutz ins Justizministerium; - wenn das jetzt thematisiert würde, ich glaube, es spricht vieles dafür. Und es schwächt nicht das Innenministerium, weil das sich ja mit Sicherheitsarchitektur, mit all diesen Fragen vollumfänglich diesen Themen zu widmen hat, und da gibt es genug zu tun.
    Geuther: Habe ich Sie richtig verstanden, Sie wollen den Teil abgetrennt wissen und vorab erst mal schon vorziehen?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Wenn es nicht gelingen sollte, weil es ein sehr umfangreiches Gesetzgebungsvorhaben ist, diese EU-Datenschutzgrundverordnung, und man sagt, das schafft man nicht alles – das wäre natürlich das allerbeste -, dann bin ich der Meinung, dann diese Kernpunkte beschließen. Diese Kernpunkte, weil sie einfach auch die Antwort sind auf das, was wir jetzt seit Wochen debattieren und eben den Schutz auch der Daten europäischer Bürger, damit auch deutscher Bürger einfach verbessern. Aber ideal wäre natürlich: das gesamte Paket verabschieden. Das europäische Parlament, das EP, hat dazu ja die Beschlussfassungen mit zigzig Änderungsanträgen gefasst, das ist eine tolle Grundlage. Wenn man die jetzt im Rat und mit Kommission in diesem Trilog-Verfahren, wie das so schön europatechnisch heißt, jetzt dann auch verabschiedet, um so besser.
    Geuther: Kritiker auch unter Datenschützern sagen: Hätten Sie sich in Brüssel stärker um Kompromisse bemüht, statt die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung in den Vordergrund zu stellen, dann wären wir vielleicht weiter. Jetzt kommt vermutlich mit der Großen Koalition auch die große Vorratsdatenspeicherung.
    Leutheusser-Schnarrenberger: Also, diese Kritik kann ich überhaupt gar nicht verstehen, im Gegenteil. Da hat mich manchmal auch der Bundesdatenschutzbeauftragte kritisiert, wenn ich Überlegungen angestellt habe, eine anlassbezogene Verwendung dieser Daten zu ermöglichen, da hat er mich eines Umfallens beschuldigt. Also von daher, diese Kritik, die nehme ich überhaupt in keinem Punkt an. Ich habe sehr, sehr viele Gespräche geführt in der Europäischen Union, denn die Richtlinie ist ja verabschiedet. Ich hatte diese Richtlinie leider nicht zu verhandeln, das hat meine Vorgängerin Frau Zypries gemacht. Ich habe dann aufgrund der Evaluierungsberichte, die vorlagen, gesagt: So, jetzt müsst Ihr – Kommission – endlich einmal Eurem Auftrag gerecht werden, nehmt die Evaluierung ernst und macht uns Vorschläge für Änderungen dieser Richtlinie. Denn wenn wir uns in eine Richtung bewegen weniger, ja wir sind doch bereit, konstruktiv zu verhandeln. Da ist nie irgendetwas, auch nicht von der zuständigen Kommissarin, Frau Malmström gekommen. Im Gegenteil. Sie hat hier in Interviews in Deutschland uns alle massiv kritisiert und hat gesagt, es gibt keine Notwendigkeit der Änderung. Also von daher, diese Kritik, die trifft natürlich von A bis Z überhaupt nicht zu.
    Neuanfang der FDP
    Geuther: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit der geschäftsführenden Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Ihre Partei war einmal die selbst erklärte, aber wohl auch tatsächlich die Rechtsstaatspartei in der Bundesrepublik. Sie würde sich das gern wieder ans Revers heften. Helfen Sie mir mal weiter. Wenn Gerhart Baum, Burkhard Hirsch und Sie nicht mehr mitmachen sollten, wer steht dann überhaupt noch für die bürgerrechtsliberale FDP?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Wir stehen natürlich dafür, weil wir auch als Justiz- und Innenminister auf Bundes- und Landesebene das auch durch Ämter mit verkörpern können und damit natürlich auch noch mal zusätzlich haben prägen können. Natürlich haben wir viele Politiker in der FDP - mit Gisela Piltz, unserer erklärten Datenschutzexpertin, mit Marco Buschmann, der jetzt vier Jahre im Rechtsausschuss genau diese Themen vehement vertreten hat. Aber auch Hartfrid Wolff in unserem Parlamentarischen Kontrollgremium.

    Also wir haben sehr viele junge Leute, die auch genau dafür stehen, das auch leben, aber eben im Moment nicht den Bekanntheitsgrad haben, den man auch natürlich dank eines Ministeramtes hat. Von daher: Die FDP ist die Bürgerrechtspartei. Ich habe auch nicht die Absicht, mich jetzt aus der politischen Diskussion zu verabschieden. Ich denke, dass jetzt außerparlamentarisch die FDP alles tun muss, um mit den Personen, wenn es die Partei auch so möchte, die auch bekannt sind, für dieses Profil der FDP zu stehen, also dieses Bürgerrechts- und Rechtsstaatsprofil, genau so wie auch in Wirtschafts- und Sozialfragen. Also, das muss vermischt werden. Aber wir haben gute, wir haben tolle Leute, und wir müssen alles tun, was natürlich schwierig ist außerparlamentarisch, um natürlich auch einen breiteren Bekanntheitsgrad zu bekommen.
    Geuther: Als bayerische Landesparteichefin, das haben Sie angekündigt, werden Sie im November nicht noch mal antreten. Hat denn Christian Lindner Sie inzwischen gefragt, ob Sie der Bundes-FDP weiter zur Verfügung stehen wollen?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bin mit Christian Lindner in engem Gespräch über diese Fragen auch der personellen Zusammensetzung des Führungsgremiums der Bundespartei. Und meine Haltung ist ganz klar, er möchte mich gerne dabeihaben. Meine Haltung ist ganz klar, er muss jetzt – eine ganz, ganz schwierige Aufgabe – sehen, mit vielen sprechen – wie soll dieses Präsidium aussehen, mit natürlich jungen Leuten, mit anderen, mit denjenigen, die nicht bisher in Verantwortung waren. Er muss dann sehen, wie kann er aus seiner Sicht dann auch Vorschläge auch dem Parteitag präsentieren, die dann auch dort Unterstützung finden. Und ich will ihn nicht in irgendeiner Form einengen. Wenn alle sagen, ich muss dabei sein, ja dann macht man ihm das Leben erst recht schwer. Von daher sind wir da in einem guten Gesprächsprozess und sind da auch voll d’accord. Und wir werden dann sehen, wir haben noch fünf Wochen bis zum Parteitag, wie das dann aussehen wird.
    Christian Lindner, Landesvorsitzender der FDP in Nordrhein-Westfalen, spricht beim Neujahrsempfang der FDP in Düsseldorf
    "Ich bin mit Christian Lindner in engem Gespräch." (picture alliance / dpa / Jonas Güttler)
    Weg zum Bundesverfassungsgericht nicht ausgeschlossen
    Geuther: Und egal, wie das ausgeht: Wie steht es mit anderen Plänen? Wird das erprobte Trio – Leutheusser-Schnarrenberger, Baum, Hirsch – noch öfter vor das Bundesverfassungsgericht ziehen?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Also, wir beide oder wir drei, wir sind natürlich wahnsinnig immer noch bürgerrechtsbewegt, aber natürlich auch mit dem ganz klaren juristischen und realistischen Blick versehen. Wenn sich Anlässe bieten, selbstverständlich würden wir dann - wenn natürlich auch eine Aussicht auf Erfolg besteht, nicht allein zur Beschäftigung des Bundesverfassungsgerichts - dann auch diesen allerletzten Weg gehen. Wichtiger ist ja davor die politische Debatte, die man auch außerparlamentarisch mitprägen kann. Vielleicht kommt außerparlamentarisch der Debatte jetzt auch noch eine größere Bedeutung zu, nachdem im Parlament ja die Opposition mit 20 Prozent und damit auch mit einem reduzierten Beitrag in den Debatten im Bundestag eher geschwächt ist und die Zivilgesellschaft, und da ist die FDP jetzt als außerparlamentarische Kraft natürlich noch viel näher dabei, sich einbringen muss und wir dann vielleicht da auch das eine oder andere Rad auch ein bisschen gemeinsam andrehen, gegen zu sehr großkoalitionäre Beeinträchtigungen von Bürgerrechten. Also, an all diesen Stellen, denke ich, kann man sich im Interesse der Bürger einbringen. Und wenn es das Verfassungsgericht als letzte Instanz mal wieder sein sollte, dann werden wir natürlich auch die benutzen.
    Geuther: Wir werden das beobachten. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, vielen Dank für das Gespräch.
    Leutheusser-Schnarrenberger: Danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.