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Verurteilte Journalisten in der Türkei
"Das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun"

Ein Gericht in der Türkei hat 14 Journalisten der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" zu Haftstrafen von bis zu acht Jahren verurteilt. Die Zeitung hält das Urteil für politisch motiviert - Anwälte und Journalisten geben sich kämpferisch.

Von Karin Senz | 26.04.2018
    Das Gerichtsgebäude in Silivri bei Istanbul, in dem der Prozess gegen die "Cumhuriyet"-Mitarbeiter stattfindet.
    Das Gerichtsgebäude in Silivri bei Istanbul, in dem der Prozess gegen die "Cumhuriyet"-Mitarbeiter stattfindet.(Bild vom 24.4.2018) (AFP / Yasin AKGUL)
    Normalerweise sieht man auf den Gesichtern der Cumhuriyet-Journalisten immer wieder mal ein verschmitztes Lächeln, es wird gescherzt. Beim Richterspruch waren sie allerdings ernst und schwiegen. Nur das hielt nicht lange bei Chefredakteur Murat Sabuncu:
    "Das Gericht hat mich zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt, und viele meiner Kollegen haben auch Haftstrafen gekriegt. Das macht weder mir, noch der Zeitung Cumhuriyet Angst. Man will uns einschüchtern, man will, dass wir unseren Beruf aufgeben. Für mich ist dieses Urteil ein Anschlag auf uns und die oppositionellen Medien an sich."
    Überraschend hohe Strafen
    Die Staatsanwaltschaft hatte zwar bis zu 15 Jahre Haft gefordert. Aber Prozessbeobachter waren von deutlich milderen Urteilen ausgegangen, auch Cumhuriyet-Anwalt Can Atalay:
    "Das Strafmaß hat selbst mich überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass das Gericht ein so hohes Maß ansetzt. Das ist im Fall der vier Angeklagten Akin Atalay, Murat Sabuncu, Aydin Engin und Ahmet Sik sogar etwas über dem, was angebliche Mitglieder der Gülen-Bewegung normalerweise bekommen."
    Das Gericht hatte es als erwiesen angesehen, dass 13 der 18 Angeklagten Terrorgruppen unterstützt hatten, unter anderem die Gülen-Bewegung, ohne aber selbst Mitglied zu sein. Drei Mitarbeiter wurden freigesprochen. Das Verfahren des früheren Chefredakteurs Can Dündar wurde abgekoppelt, es geht weiter – allerdings ohne Dündar. Er lebt seit längerem in Deutschland.
    "Das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun"
    Trotz der hohen Haftstrafen bleiben alle Verurteilten unter Auflagen erst mal in Freiheit. Auch der Cumhuriyet-Herausgeber Akin Atalay darf aus dem Gefängnis. Er war der Einzige, der noch in Untersuchungshaft war. Sie alle dürfen die Türkei aber nicht verlassen. Die Anwälte kündigten an, die Urteile anzufechten:
    "Da es heute im Gerichtssaal schon einmal gesagt wurde, habe ich kein Problem damit, es zu wiederholen. Es ist sogar nützlich, es zu wiederholen: Das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun."
    Schon während des Prozesses, der seit Sommer vergangenen Jahres lief, hatten es immer wieder Kritik von den Anwälten und Angeklagten gehagelt. Sie zeigten sich selbstbewusst, kämpferisch und unbeugsam. Im Abschlussplädoyer hatte einer der Cumhuriyet-Anwälte gestern erklärt, die Anklage enthalte keine Beweise. In dem Verfahren würden die Journalisten beschuldigt, Journalismus betrieben zu haben. Die Existenz der 'Cumhuriyet' selbst werde als Verbrechen wahrgenommen.
    "Wir machen unverändert weiter"
    Nach dem Urteil twitterte der verurteilte Investigativ-Journalist Ahmet Sik: "Den Krieg gegen die, die Recht haben, mit dem Ziel, sie zum Schweigen zu bringen, hat noch keine Diktatur gewonnen. Wir werden gewinnen. Wenn nötig gehen wir wieder hinter Gitter, aber wir werden weiter mit Mut Journalismus betreiben. Die Leser der Cumhuriyet brauchen sich da nicht zu sorgen, brauchen sich keine Gedanken zu machen. Wir machen unverändert weiter."
    Im Gegenteil, sie schmieden sogar Zukunftspläne, als hätte ihnen all das noch Aufwind gegeben. Die Cumhuriyet soll im Internet noch präsenter werden. Viel Zeit zum Feiern bleibt da nicht. Am 24. Juni sind in der Türkei Wahlen. Jeder unabhängige und kritische Journalist wird gebraucht.